02 • 1 | Reyu

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“Zath. Hast du kurz?”
Der Leiter des Hospitals drehte sich zu mir um und wischte sich mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn. “Kurz.”

“Du brauchst sowieso frische Luft”, beschloss ich und gemeinsam zogen wir uns auf das Dach des Gebäudes zurück. 

Tief atmete ich die frische Luft ein und vertrieb den Geruch von starkem Alkohol und Blut aus meiner Nase. Zath setzte sich an die Kante und ließ die Füße in den Abgrund hängen. 

Unser beider Blick wanderte über die umliegenden Häuser nach Nordwesten, wo deutlich die Überreste der abgebrannten Halle zu sehen waren, umgeben von teilweise noch qualmenden Ruinen. Der helle Stein hatte sich schwarz gefärbt vor Ruß, die Metallgestelle ragten ohne das Holz gen Himmel und ähnelten einem Gerippe, von dem jeder Rest Fleisch und Muskel abgenagt worden war. 

Vier Tage war es her, dass die Explosion das Feuer gestartet hatte und noch immer gab es einzelne Glutnester und immer wieder Brandherde. Die einsturzgefährdeten Gebäude, die ab und an teilweise in sich zusammenfielen, machten den Löschvorgang nicht gerade einfacher. Man vermutete auch, dass die Rote Schar, die höchstwahrscheinlich hinter allem steckte, die Aufräumarbeiten sabotierte. Wir hatten schon mehrere Verletzte aufnehmen müssen, die sich beim Versuch zu helfen selbst verwundet hatten.

“Also, was gibt es?” Zath zog seine Schwingen wieder zurück und lehnte sich nach hinten, sodass er mit dem Rücken auf dem Dach lag und in den bewölkten Himmel blickte. Er sah erschöpft aus, was ich ihm kaum verdenken konnte. Die letzten Tage hatten wir alle nicht besonders viel geschlafen und uns nur wenige Stunden Pause gegönnt, bevor wir wieder an den Krankenbetten standen. Zath als Leiter war der, der sich am meisten forderte und sich am wenigsten Fehler und Schwächen verzieh. Glücklicherweise waren wir nun langsam dabei, die Lage zu beruhigen und hoffentlich würde es bald für alle wieder etwas entspannter werden.

“Du musst dringend mehr schlafen.”

Zath hob eine Augenbraue. “Darüber willst du mit mir reden?”

“Nein. Das ist mir gerade aufgefallen.”

“Du darfst da als Allerletzter etwas sagen, Reyu.”

Mit einem Schnauben setzte ich mich neben ihn. “Ich habe schon seit Jahren keinen Schlafrhythmus mehr. Ich bin das gewohnt und funktioniere auch mit einer halben Stunde Schlaf noch. Was ich aber eigentlich von dir wollte: Wann darf ich die Caraliv rauswerfen?”

“Im Ernst?”

Seufzend zuckte ich mit den Schultern. “Sie ist unfassbar nervtötend. Ich bin froh, dass ich die ganze Zeit hier bin, sonst hätte ich sie schon längst erwürgt.”

“Sie ist verletzt, Reyu. Du kannst sie nicht einfach auf die Straße setzen. So nervig ist sie sicherlich nicht, du kannst nur keine Caraliv leiden.”

“Aus gutem Grund”, entgegnete ich etwas gereizt.

“Den du mir noch nie verraten hast”, konterte er und für einen Moment trafen sich unsere Blicke. Wir beide wussten, dass ich nicht in der Position war, Zaths Entscheidungen und Befehle in Frage zu stellen. Er ließ mich hier arbeiten, ohne dass ich eine Heilerausbildung durchlaufen hatte, ohne dass ich ihm erzählte, wo ich herkam und was ich vor meiner Anstellung hier getrieben hatte. Außerdem drückte er oft ein Auge zu, wenn Patienten Beschwerden über einen schlecht gelaunten, unfreundlichen Heiler einreichten, und hielt die anderen Mitarbeiter davon ab, sich über den schweigsamen Eigenbrötler auszulassen. Zath wusste einige Dinge über mich, die sonst kaum jemand wusste. Nur eben nicht alles.

“Was macht sie denn, dass sie so nervig ist?”

Ich nahm den Themawechsel mit einem kurzen, dankbaren Nicken an. “Viel zu viel reden. Und sie braucht bei jeder Kleinigkeit Hilfe, weil sie ohne Flügel und mit ihrer Schulter ungefähr so agil ist wie ein eingegrabener Fisch. Außerdem denkt sie, sie hat viel mehr Ahnung als ich und meckert die ganze Zeit an meinen Methoden herum.”

“Denkt sie das nur oder hat sie wirklich Ahnung?”

Ich hob eine Augenbraue. “Das hast du da jetzt rausgehört?”

“Wir könnten zwei zusätzliche Hände gut gebrauchen.”

“Das kannst du sowas von vergessen.”

“Reyu.”
“Zath.”

Ich ahmte seinen mahnenden Tonfall so treffend nach, dass er belustigt den Kopf schüttelte. “Du darfst sie rauswerfen, wenn sie noch ein Zuhause hat, dort alleine klarkommen würde und regelmäßig zur Versorgung ihrer Wunde vorbeikommt. Unten im Büro ist eine Liste mit den nicht mehr bewohnbaren Häusern.”

“Und wenn ihres draufsteht?”

“Dann biete ihr an, bei uns zu arbeiten, sobald sie fit genug ist. Als Gegenleistung darf sie bei dir wohnen bleiben.”

“Und was habe ich davon?”

“Eine neue Kollegin die uns allen Arbeit abnimmt und eine hübsche junge Frau, die in deinem Bett schläft”, meinte Zath spöttisch und grinste mich an. “Ach komm schon, du humorloser Brummbart”, beschwerte er sich, als ich ihm einen gereizten Blick zuwarf.

Die einzige Reaktion, die er von mir bekam, war ein sarkastisches Lächeln, bevor ich mich mit den Händen von der Dachkante abstieß und theatralisch in die Tiefe stürzte. Auf halber Strecke entfaltete ich meine Flügel und segelte durch ein Fenster wieder ins Gebäude.

Zwar wollte ich eigentlich sofort nach der Liste suchen gehen, doch wurde ich mehrmals aufgehalten und so kam ich erst nach einigen kurzen Gesprächen im Arbeitszimmer Zaths an. Der Schreibtisch war so voll und so ungeordnet, dass ich schon eine lange Suche befürchtete, doch die Liste mit den unbewohnbaren Häusern lag glücklicherweise ganz oben. Während Zath ebenfalls wieder hereinkam und mich kurz grüßte, prägte ich mir die Hausnummern ein und hoffte inständig, dass der Giftzwerg bald wieder dort einziehen konnte.

Ein Klopfen an der geöffneten Tür ließ mich und Zath gleichzeitig aufsehen. Anaya stand dort, sichtlich nervös, und sah verunsichert in meine Richtung. Als ich ihr finster entgegen starrte, zuckte sie zusammen und wandte sich hastig von mir ab, was mir einen strafenden Blick von Zath einbrachte.

“Was gibt es, Anaya?”, fragte er seufzend, während ich ihn unschuldig anlächelte. Eines meiner liebsten Spielchen im Hospital war, die sowieso schon verunsicherten Neuen zu verschrecken, was in den allermeisten Fällen blendend funktionierte. Vor allem bei unfähigen Caraliv wie dieser hier.

“Ich … ähm … Es wurden wieder Medikamente gestohlen.”

Sofort war Zath auf den Beinen. “Gerade jetzt, wenn wir es am wenigsten brauchen können”, murmelte er, während er schon halb hinter der Caraliv aus der Tür war.

Ich warf noch einen letzten Blick auf die Liste und wiederholte die Nummern im Kopf, ehe ich den Raum verließ und mich wieder um die Patienten kümmerte, das Problem der gestohlenen Medikamente Zath überlassend.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt