Er hatte mich nicht gehört. Nochmal rief ich seinen Namen, doch noch immer entfernte er sich weiter von mir. Hastig bahnte ich mir meinen Weg durch die anderen Leute, schob mich zwischen Caraliv hindurch und wich fliegenden Lazaliv aus.
“Ashan!”
Endlich. Er drehte sich um. Der Blick aus seinen eisblauen Augen traf mich härter, als ich gedacht hatte und für einen Moment versagten meine Beine mir ihren Dienst.
Es war ein halbes Jahr her, dass ich diesen Blick gesehen hatte. Wir hatten uns im Streit getrennt und doch hatte ich ihn danach in jeder Minute mehr vermisst. Wie sehr hatte ich mich nach ihm gesehnt, nach seinem Sanftmut, nach seiner Vertrautheit.
Und nun stand er vor mir. Langsam brachte ich auch die letzten Meter hinter mich und blieb schließlich vor ihm stehen. Er hatte seinen Bart abrasiert, was ihn jünger wirken ließ, doch abgesehen davon sah er exakt genauso aus wie vor sechs Monaten noch.
“Valia”, flüsterte er und seine Stimme jagte einen Schauer meinen Rücken hinab. Es fühlte sich an wie ein ganzes Jahrzehnt, seit ich diese Stimme das letzte Mal gehört hatte.
“Ashan”, sagte ich leise und schüttelte den Kopf. War er wirklich hier? War er nicht nur ein Trugbild? Auf einmal wurde mir bewusst, unter welchen Umständen ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wir hatten uns voneinander verabschiedet. Ich hatte nicht eingeplant, ihn nochmal zu sehen. Das zwischen uns war beendet gewesen.
Wieso war ich ihm gerade hinterher gerannt? Er hatte mich noch nicht bemerkt gehabt. Ich hätte mir vorher überlegen müssen, ob ich ihn wirklich wiedersehen wollte, wenn ich doch gerade erst über ihn hinweggekommen war. Das hier machte alles so viel komplizierter.
“Was machst du hier?”, fragte ich und stellte erleichtert fest, dass man mir die Verwirrung und die Unsicherheit nicht in der Stimme anmerken konnte.
“Ich…” Ashan wirkte in dieser Situation genauso verloren und ratlos wie ich. Anscheinend hatte auch er sich noch nicht wirklich überlegt, was er sagen sollte. “Ich wollte dich sehen”, sagte er schließlich und seine eisblauen Augen sahen mich mit so viel Hoffnung an, dass ich beinahe vergaß, was zwischen uns geschehen war.
Kopfschüttelnd trat ich einen Schritt zurück. “Ashan-”
“Nein, bitte, lass mich zuerst alles erklären”, unterbrach er mich und hob beschwichtigend eine Hand. “Ich weiß, was du sagen willst. Ich habe nicht vergessen, was du an Lasyenin zu mir gesagt hast. Bitte, lass uns einfach nochmal reden. In Ruhe.”
Ich zögerte. Bis vor einer Minute hatte ich noch gedacht, ich hätte mit Ashan abgeschlossen. Was konnte er mir zu sagen haben, was unsere Situation noch ändern würde? Oder war das nur wieder einer seiner Versuche mich zu überreden, zurück in die Heimat zu kommen, zurück zu ihm, zurück aufs Land? Davon hatte ich schon mehr als genug bekommen, seit ich mich entschieden hatte, weiter als Soldatin im Krieg zu bleiben. Jetzt, da dieser beendet war, hatte Ashan sicher neue Argumente gefunden, wieso ich zurückkehren sollte.
Mit einem tiefen Atemzug fasste ich mich. “Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist”, sagte ich leise und wich seinem Blick aus.
“Aber-”
“Nein.” Nun war ich die, die ihn unterbrach. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich den verletzten Ausdruck in seinem Gesicht sah. Ich wollte nicht so harsch zu ihm sein. Aber ich durfte nicht weich werden. “Bitte, Ashan. Du hättest nicht herkommen sollen. Ich werde nicht zurück nach Arnarith ziehen und schon gar nicht nach Catavar. Das weißt du.”
“Ich weiß.” Eine Spur Verzweiflung schlich sich in seine Stimme und er setzte zu weiteren Worten an, als sich ein anderer Caraliv hinter mir vorbei drängte und mich kurz stolpern ließ. Ashan sah sich um und schüttelte den Kopf. “Können wir irgendwo reden, wo es ruhiger ist?”
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Burning Jade in a Sea of Amber
Fantasía// Band 2 // Knirschende Knochen, sickerndes Blut und qualvoller Tod - nichts als Alltag im Leben von Reyu, der seit dem Ende des Krieges in der lazalischen Kleinstadt Zintabur als Heiler im Hospital arbeitet. Kaum einer kennt ihn als mehr als einen...