04 • 3 | Valia

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Reyu war ein mürrischer Einzelgänger, mit dem so ziemlich jedes Gespräch irgendwie provozierend und beleidigend wurde. Aber eines musste man ihm lassen.

Er sah verdammt gut aus.

Aus dem Schlafzimmer hatte ich die Salbe geholt, mit der er auch meine Wunde behandelte, und in der Zwischenzeit hatte er sich ausgezogen. Kaluur draußen war die einzige Lichtquelle, die die Wohnung in ein dumpfes, rötliches Licht tauchte. Eine Fackel hatten wir noch nicht entzündet, was vermutlich auch die bessere Entscheidung gewesen war. Hoffentlich konnte Reyu als Lazaliv in der Düsternis dann nämlich nicht erkennen, wie mir die Hitze in die Wangen schoss, als ich ihn erblickte.

Das Hemd hielt er zusammengeknüllt in den Händen. Seine Hose saß locker um seine Hüfte, Waffengürtel und Schwerter hatte er abgelegt. Mein Blick wanderte über seine Brust, über seinen Bauch, blieb an den kleinen Narben hängen, die man nur aus der Nähe erkennen konnte, und an den zwei großen, die eine über seine linke Brust und die andere direkt über dem Hosenbund.
Mir fiel auf, dass auch viele dieser Narben nicht alt aussahen. Eher wie Wunden, die einfach besser verheilt waren als die auf seinem Rücken, aber zur etwa gleichen Zeit entstanden waren.

“Reicht dir dieses Licht?”, unterbach Reyu meine Gedanken und drehte sich um, was mir einen um einiges weniger erfreulichen Anblick bot. Es war etwa einen halben Monat her, dass ich sie zuletzt gesehen hatte, doch es sah nicht so aus, als wären die Wunden auch nur im Geringsten weiter verheilt.

“Ja. Das ist noch so ein Dämmerlicht, in dem ich praktisch genauso gut sehe wie bei Helligkeit”, meinte ich, als ich begann, die Wunden vorsichtig zu behandeln.

“Das ist unfair. Ich sehe fast gar nichts.”

“Irgendeinen Vorteil brauchen wir Caraliv ja auch”, meinte ich schulterzuckend.

“Du meinst, weil wir unsere Flügel haben?”

“Natürlich.” Ich legte leicht den Kopf schief. “Im Kampf gibt euch das eindeutig die Oberhand.”

“Und trotzdem haben wir jahrhundertelang Krieg geführt, ohne das eine Volk wirklich mal zu besiegen”, warf er ein.

“Das stimmt allerdings”, gab ich ihm recht und bemerkte dann die Spannung, die in seinen Schultern lag und die von den Schmerzen zeugte, die er sonst so gut verbarg.

"Andere würden mit diesen Verletzungen ein halbes Jahr im Bett flachliegen", stellte ich leise fest.

"Das kann ich mir nicht leisten."

"Dann solltest du sie zumindest öfter behandeln lassen", behauptete ich und strich vorsichtig über einen der Striemen, der vermutlich schon öfter wieder aufgerissen war. "Und jeder kann es sich leisten, nach einer solchen Tortur Pause zu machen. Wenn Zath davon wüsste, würde er dich selbst zur Behandlung ins Hospital schicken."

"Zath weiß davon", meinte Reyu, was mich überraschte. Die beiden waren mir nicht so vorgekommen, als wären sie außerhalb der Arbeit gute Freunde. Höchstens Bekannte. "Er behandelt sie mir normalerweise", fuhr er fort. "Die letzten Tage hatte er zu viel um die Ohren und ich will ihn nicht jedes Mal fragen."

"Dein Stolz tut dir nicht gut."

"Wenn du wüsstest", murmelte Reyu und lachte leise. "Mein Stolz ist das Einzige, was ich noch habe."

"Höre ich dich gerade lachen?" Ich machte mir gar nicht die Mühe nachzufragen, was er mit dem Kommentar meinte. Er würde mir sowieso nichts erzählen.

"Nein." Er räusperte sich übertrieben ernst. "Ich lache nie."

Nun musste ich grinsen. "Ich weiß. Du bist ein äußerst mürrischer Gastgeber. Der jetzt aber hoffentlich nicht mehr bei jeder Bewegung seinen Rücken spürt", ergänzte ich, während ich meine Hand in einer Schüssel mit kaltem Wasser abwusch.
Als ich mich wieder aufrichtete, hatte Reyu sich umgedreht, stand jedoch noch immer so dicht vor mir wie eben. Und das war sehr dicht.

Ich spürte die Wärme, die sein freier Oberkörper ausstrahlte, und konnte jedes Härchen auf seiner mandelfarbenen Haut ausmachen. Langsam sah ich auf und begegnete seinem Blick. Trotz meiner Nachtsicht konnte ich in diesem Licht nur schwer die Sprenkel ausmachen, die in Athkazrs Licht sonst so schön im restlichen Braun seiner Augen funkelten.

"Danke, Valia", murmelte er und es war das erste Mal, dass er meinen Namen aussprach. Nicht Giftzwerg, nicht Caraliv. Valia. Und er klang auch noch ehrlich dabei.

Meine Augen blieben an seinen Lippen hängen und ich fragte mich, ob sie wohl so rau waren wie seine Art oder so weich wie sein Gesichtsausdruck in diesem Moment. Dann blitzte ein anderes Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Eisblaue Iriden, die mich traurig anblickten, volle Lippen, die verzweifelt auf mich einredeten.

Das hier war falsch.

Mit einem tiefen Atemzug wich ich einen Schritt zurück und räusperte mich laut. "Immer gern. Ich hoffe, es hat geholfen", erwiderte ich und bemühte mich um die übliche Ruhe in der Stimme. "Bis morgen."
Ohne einen weiteren Blick zu ihm zu riskieren verschwand ich im Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt