15 • 2 | Valia

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Ein Tritt in die Kniekehlen brachte mich zu Fall und sorgte dafür, dass ich den Königen so meinen Respekt erwies. Als ich den Blick heben wollte, drückte eine Hand auf meinen Hinterkopf und zwang mich so, auf den Boden zu sehen, bis König Azvar das Wort an mich richtete.

“Valia aus Catavar, Tochter von Narwena.”

Die Hand ließ meinen Kopf los und ich hob meinen Blick, begegnete den kalten Augen des Königs, der neben seiner Frau und seinem Schwager auf seinem Thron saß.

Die letzten Stunden hatte ich in einer kleinen Zelle mit zwei anderen verbracht, hatte nun sowohl Hunger als auch Durst und meine Rippe schmerzte noch immer, sobald ich etwas tiefer einatmete. Ich hatte allerdings die Hoffnung, dass ich nach dieser Sache hier dann in eine richtige Zelle kommen und etwas zu essen bekommen würde.

“Ihr werdet beschuldigt, maßgeblich an der Organisation der Rebellengruppe Schwarze Krone beteiligt zu sein und so eine Gefahr für das Land und seine Bewohner darstellt. Ihr wusstet außerdem von einem Mitglied der Roten Schar, ohne es an die örtlichen Soldaten zu melden. Widersprecht Ihr?”

“Teilweise, Ar Mhlenae.” Bis jetzt bestand noch kein Grund unehrlich zu sein. Bestreiten würde sowieso nichts bringen. “Wir sind keine Gefahr für das Land und seine Bewohner. Wir helfen vielen Caraliv, die von der Roten Schar angegriffen werden. Wir wollen keinen Caraliv etwas Böses - nur den Lazaliv.”

Mir war vollkommen klar, dass ich hier mit dem Feuer spielte. Lügen würden vermutlich auffliegen und mich nicht allzu gut dastehen lassen, doch es war eigentlich auch keine gute Idee, vor zwei Lazaliv und dem Ehemann einer davon zuzugeben, dass man Lazaliv schaden wollte. Vor allem nicht, wenn alle drei die Macht hatten, mit einem Wort mein Leben zu beenden.

“Und dennoch seid Ihr in einer Beziehung mit einem Lazaliv, der zudem auch noch in einer verfeindeten Gruppe tätig ist.”

So dargestellt klang das tatsächlich etwas lächerlich. Ich räusperte mich, wusste nicht so ganz, was ich darauf erwidern sollte.
Azvar beugte sich in seinem Thron etwas nach vorn und musterte mich aus seinen schwarzen Augen. “Wie viel wisst Ihr über die Rote Schar?”

“Nicht viel. Ich habe mich nie eingemischt und er hätte mich auch nicht gelassen. Er ist nicht gerade der gesprächigste Typ.”

“Was wisst Ihr?”

Ich legte nachdenklich den Kopf schief. “Dass ich Reyu nicht verraten werde zum Beispiel. Genauso wenig seine oder meine Organisation.”

“Ihr sagt selbst, dass die Rote Schar vielen Caraliv schadet. Sie greifen sie auf offener Straße an, sperren sie ein, töten sie. Aus nichts anderem als Hass. Ich weiß, dass Euch unser Volk wichtig ist, Valia.” Azvars Stimme hatte einen ruhigeren, fast schon freundlichen Tonfall angenommen, der nun bittend wurde. “Helft uns, unser Volk zu schützen. Ihr seid jetzt in der Position, wirklich etwas zu bewirken. Arbeitet mit uns zusammen. Ihr könnt zahlreiche tote Caraliv verhindern.”

Was dachte er eigentlich, wie leicht ich zu beeinflussen war? Nur mit einem tiefen Atemzug konnte ich mich davon abhalten ungehalten ihm gegenüber zu werden.

“Ich möchte nicht respektlos sein, Ar Mhlenae, doch Ihr versteht Euer eigenes Volk nicht. Jedes Mitglied, egal welcher Rebellengruppe, hat seine Gründe, wieso es sich den Rebellen angeschlossen hat. Der Frieden hat seine positiven Seiten, das bestreite ich nicht - doch er hat auch seine negativen. Und Ihr, genauso wie Eure Frau und Ihr, König Najik, habt bisher noch nicht wirklich darauf geachtet.”

Azvar kniff die Augenbrauen zusammen, doch er unterbrach mich nicht. Ich nahm das als Zeichen, weiterzusprechen.

“Reyu wurde von den Caraliv traumatisiert. Ich kenne ihn und auch ihr wisst um seine Vergangenheit. Er ist hart im Nehmen. Der Krieg war sein Leben, wenn auch nicht an vorderster Front auf dem Schlachtfeld. Er wurde aus seinem Alltag gerissen, gefoltert und gedemütigt, um dann halbtot auf die Straße gesetzt zu werden. Von Caraliv. Und dann hat er erfahren, dass seine Frau umgebracht wurde und er das alles für nichts ertragen musste. Er hasst die Krone, hasst die Caraliv aus gutem Grund, Verzeihung für diese direkte Art. Ich erwarte nicht, dass Ihr uns als Rebellen versteht. Aber ich möchte Euch bitten, soweit mir dies zusteht, zumindest über seine, über unsere Beweggründe nachzudenken. Gleichzeitig möchte ich Euch versichern, dass uns unsere Beziehung nicht egal ist. Und dass sie unsere … meine Sicht auf den Frieden verändert hat.”

Ich war mir nicht sicher, ob ich mir hier zu viel erlaubte. Aber ich war definitiv der Meinung, dass sie diese Sichtweise einmal hören mussten. Und selbst wenn es zu weit ging - eine Gefangene war ich ohnehin schon.

“Was Ihr nicht bedenkt”, warf nun Kaira ein, “ist, dass nicht die Caraliv Reyus Frau getötet haben, sondern König Zokaar. Die lazalische Krone trägt ebenso viel Schuld an seiner Situation wie die caralische. Was gibt ihm das Recht, Caraliv für das zu bestrafen, was der lazalische König getan hat?”

Ich zögerte kurz, bevor ich antwortete. “Ihr überschätzt ihn. Er denkt nicht rational. Er wurde gefoltert und ist traumatisiert. Ihr könnt nicht von ihm erwarten, dass er darüber so fundiert und objektiv nachdenken kann.”

“Wir müssen es aber erwarten”, widersprach Azvar hart. “Er gefährdet mit seinem Verhalten zahlreiche Leben. Früher hat er sie beendet. Er hat versucht, meine Frau zu töten. Seine Folter war eine angemessene Strafe.”

Ich hob das Kinn. Wut brodelte in mir auf und ich begann, Salz in die Wunde zu streuen, von der ich wusste, dass ich sie lieber unerwähnt lassen sollte.

“Folter ist nie eine angemessene Strafe. Eure Schwester, Prinzessin Enlaya, wurde von König Najik getötet. Würdet Ihr sagen, er sollte gefoltert werden? Ar Lindrae”, wandte ich mich an Kaira, “soll Najik gefoltert werden, weil er Eure Schwägerin getötet hat? Oder soll Azvar gefoltert werden, weil er damals Euren Bruder eingesperrt und geschlagen hat? Ni Akumdr”, sprach ich Najik nun direkt an, “soll Eure Schwester gefoltert werden, weil sie Euren Vater tötete? Oder sollte man sowohl Euch als auch sie foltern, weil Ihr Eure Familie verraten habt?”

Die Stille nach meinen Worten schien schwerer zu wiegen als die davor. Doch ich war noch nicht fertig.

“Ihr alle habt einmal den Krieg angetrieben, bevor Ihr Euch für den Frieden entschieden habt. Und zu dieser Zeit sind sowohl mehr Caraliv als auch Lazaliv dadurch gestorben, als von Reyus Hand. Er hat Befehle ausgeführt und seine Rolle gespielt. Und Ihr wollt ihn wieder in diese Richtung zwängen, indem er mich töten muss - auch ich habe Freunde und Familie, die um mich trauern würden. Ist ihr Leid dann egal, weil mein Tod ein Befehl der Könige war? Das ist keine Gerechtigkeit. Reyu musste schon so lange für sich kämpfen und hat mit der Folter abermals alles verloren - seine Reaktion darauf ist nur natürlich.”

Für mehrere Minuten war es still. Azvar und Kaira tauschten einen Blick und ich glaubte darin zu sehen, dass sie ernsthaft über meine Worte nachdachten. Das war ein gutes Zeichen. Das hieß, dass ich nicht allzu viele Grenzen überschritten hatte.

“Er hat nicht alles verloren”, sagte Najik schließlich, klang etwas nachdenklich. “Er hat viel verloren, ja, aber einen Teil hat er auch weggeworfen.”

Verwirrt kniff ich die Augenbrauen zusammen, überlegte kurz, was er meinen könnte, blieb aber ratlos. “Verzeiht … Wovon sprecht Ihr?”

Der lazalische König setzte zu einer Antwort an, doch seine Schwester unterbrach ihn, indem sie mit erhobener Hand Einhalt gebot. Ihre silbergrauen Augen musterten mich. “Wenn sie nichts von ihm weiß, haben wir nicht das Recht, es ihr zu erzählen.”

Nun war meine Neugier geweckt. “Mir was zu erzählen? Von wem weiß ich nichts?”

Ein zögerliches, fast trauriges Lächeln umspielte Kairas Lippen und sie schüttelte den Kopf. “Ich fürchte, dass Ihr ihn das selbst fragen müsst." Sie wandte sich an die Soldaten. “Bringt sie in die Zelle.”

“Nein, wartet!”, protestierte ich, wollte darauf bestehen, zu erfahren, was sie meinten. Reyu hatte mir doch alles erzählt. Er hatte versprochen, er würde mir alles erzählen. Hatte er mich angelogen?

Doch die Soldaten griffen mir unter die Arme und bugsierten mich grob aus dem Thronsaal. Mein Widerspruch blieb ungehört.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt