07 • 1 | Valia

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Ich wachte auf, weil es draußen stürmte. Die Regentropfen prasselten gegen das Fenster, der Wind pfiff um das Haus und rüttelte an den Wänden. Donner krachte über mir und ließ mich aus dem Schlaf fahren.

Mein erster Gedanke galt den Ereignissen von letzter Nacht. Reyus Panikattacke, unser Gespräch, unser Kuss. Das Bett neben mir war leer, er war also schon aufgestanden.

Langsam richtete ich mich auf und schwang die Beine von der Matratze. Ich fragte mich, wie wir nun miteinander umgehen würden. Reyu war sicher niemand, der diese Beziehung an die große Glocke hängen wollte - falls es denn überhaupt eine war. Sicher, wir hatten uns geküsst. Aber zählte das? Wollte ich denn eine Beziehung mit ihm?

Seit Ashan hatte ich keinem Mann einen zweiten Blick zugeworfen. Bisher hatte ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, ob ich über ihn hinweg war. Ich vermisste ihn. Das konnte ich nicht leugnen. Ich vermisste sein Lachen, seinen sanften, liebevollen Blick. Der altbekannte Schmerz ergriff mein Herz und ich fragte mich einmal mehr, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, meine Heimat für das Heer aufzugeben.

Doch dann drängte sich ein weiterer Blick vor mein inneres Auge. Dunkel, im Schatten beinahe schwarz, im Licht hellbraun mit grün und gelb vermischt. Das Gefühl von Reyus Lippen auf meinen kam mir in den Sinn und unwillkürlich wünschte ich es mir zurück. Ob er sich genauso nach mir sehnte? Ob er nach dem Aufstehen auch darüber nachgedacht hatte?

Unwirsch schüttelte ich den Kopf. Ich war eine erwachsene Frau, keine Jugendliche, die das erste Mal in den Nachbarsjungen verknallt war.

Mit einem Gähnen verließ ich das Schlafzimmer und stellte schnell fest, dass die Wohnung leer war. Reyu war wohl schon im Hospital - hieß das, die Schicht hatte bereits begonnen? Wieso hatte er mich dann nicht geweckt? Oder war er woanders? Ohne die Sonne war es mir unmöglich, die Zeit zu ermitteln, und ob ich die Trommeln über diesen Sturm hören würde, war auch fraglich.

Seufzend stellte ich mich auf einen Stuhl, um einen Apfel zu erreichen - manchmal glaubte ich wirklich, Reyu machte das mit Absicht, um mich zu ärgern - und setzte mich dann an den Tisch. Wenn ich sowieso schon zu spät war, machten die wenigen Minuten auch nichts mehr aus.

Danach kleidete ich mich in meinen Umhang, wickelte ihn fest um mich und trat hinaus in den Sturm.

Ich war wohl wirklich etwas spät dran, denn auch alle anderen waren schon da. Wie immer herrschte ein geschäftiges Treiben in der Haupthalle, obwohl es im Vergleich zu einigen anderen Tagen noch relativ ruhig war. Nachdem ich mich bei Zath angemeldet und mich für die Verspätung entschuldigt hatte, machte ich mich auf die Suche nach Reyu.

Ich wollte klären, was das zwischen uns war. Ob wir es weiter verfolgen wollten. Ob er dasselbe für mich empfand. Ich hoffte, dass unsere beidseitige Abneigung gegenüber des anderen Volkes uns nicht im Weg stehen würde.

Als ich Reyu in der Haupthalle sah, wollte ich gleich zu ihm, doch gerade in dem Moment entfaltete er seine Flügel und verschwand nach oben durch eine der Türen, die für uns Caraliv ohne Flugdienste eines Lazaliv nicht erreichbar war. Hatte er mich gerade schlichtweg nicht gesehen oder ging er mir aus dem Weg?

Seufzend beschloss ich, dass wir uns irgendwann schon noch begegnen würden, und machte mich stattdessen an die Arbeit. Normalerweise hing ich währenddessen immer an Reyu, weil ich mit meiner Schulter kaum etwas alleine machen konnte, doch heute musste ich mich an Jefor halten, der mir rund um die Uhr von Anaya vorschwärmte und mich damit ziemlich nervte. Außerdem waren wir mit Abstand kein so gutes Team wie Reyu und ich, die uns inzwischen beinahe ohne Worte absprachen und mit aufeinander abgestimmten Bewegungen schnell und präzise handelten.

Die Bestätigung, dass es nicht nur Zufall war, dass Reyu und ich uns nicht begegneten, bekam ich gegen Mittag. Ich hatte gerade einer Mutter bei einer ziemlich lang andauernden Geburt geholfen und kam nun in den Mitarbeiterraum, um mich etwas zu waschen und kurz Pause zu machen, als er mir in der Tür entgegenkam.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt