Langsam machte die Müdigkeit sich doch bemerkbar, als ich die letzten Patienten für heute behandelte und mich dabei selbst für die einfachsten Aufgaben unfassbar konzentrieren musste. Im Hospital war nicht viel los, doch in der Roten Schar hatten wir gerade einige Herausforderungen zu bewältigen.
Tyrak war momentan in Rokthan, um sich um die Probleme dort zu kümmern, sodass ich den Oberbefehl über Zintabur hatte, und da sich vieles was die Rebellen anging nachts abspielte, kam das Ausruhen bei mir gerade etwas zu kurz. Und das obwohl ich es gewohnt war, auf wenig Schlaf zu funktionieren.
Mit einem Gähnen erhob ich mich in die Luft und machte mich auf den Heimweg. Kurz fragte ich mich, ob Valia wohl schon zuhause war, kam aber zu dem Schluss, dass sie sicherlich noch mit Ashan unterwegs war. So wie ungefähr jeden Tag, seit der Caraliv aufgetaucht war. Ich konnte ihn nicht ausstehen und ich wusste, dass auch er mich verabscheute, doch wir konnten beide nichts gegen den anderen ausrichten.
Ich wollte nicht, dass Valia wieder mit ihm zusammenkam. Er war viel zu unfähig zu allem. Ich bezweifelte, dass er ein Schwert halten konnte, geschweige denn damit umgehen. Sicher, er hatte die drei Jahre Pflichtzeit im caralischen Heer überlebt, aber das hieß ja nichts. Er war ein Weichei und Valia verdiente Besseres.
Mit einem Seufzen ging ich nun in den Sinkflug und steuerte so auf die Haustür zu, hielt aber ruckartig inne, als ich die zwei Gestalten davor stehen sah. Sofort war mir klar, dass es Ashan und Valia waren und ich brauchte auch nicht die Nachtsicht der Caraliv, um erkennen zu können, was die beiden taten.
Ohne, dass ich es bemerkte, ballte sich meine Faust um den Griff meines Dolches und für einige lange Sekunden stieg in mir das Bedürfnis auf, mich zwischen die beiden zu drängen. Ashan von ihr zu stoßen, sie aus seinem Bann zu befreien, sie für mich zu beanspruchen.
Doch meine Muskeln reagierten anders. Mit dem Gefühl von Watte in den Ohren drehte ich ab und glitt lautlos durch die Luft, ohne zurückzublicken, ohne mich nochmal der Enttäuschung dieses Anblicks aussetzen zu wollen. Ziellos flog ich durch die Stadt, achtete nicht auf meinen Weg und sah noch immer die eng umschlungenen Gestalten vor mir.
Hätte ich einschreiten sollen? Dann hätte ich ihnen zumindest diesen Moment zerstört und Ashan ein wenig des Triumphes genommen. Doch ich hätte auch Valia enttäuscht.
Es war nicht mein Platz, sie von ihm abzubringen. Ich selbst hatte es mit ihr beendet und wenn sie mit Ashan glücklich werden konnte, dann würde ich ihr nicht im Weg stehen.
Ohne auf meine Umgebung zu achten war ich nun vor dem Alten Greif gelandet. Das Schild wackelte leicht im kalten Herbstwind und gleichgültig beschloss ich, dass ich mich auch dort in der Gaststube aufwärmen konnte. Der alte Wirt neigte den Kopf, als ich eintrat, und schien meine schlechte Stimmung zu bemerken, denn er versuchte gar nicht erst mich anzusprechen. Ebenfalls wortlos durchquerte ich den Raum, gelangte durch die kleine Kammer in den ersten Stock und stellte genervt fest, dass der Hocker neben der Tür zum Schankraum mal wieder leer war.
Das hieß, ich hätte jetzt ein ausgezeichnetes Ziel, an dem ich meine schlechte Laune auslassen könnte.
Bevor ich eintrat, straffte ich meine Schultern, lockerte meine Finger und verhinderte so, dass man mir meine Emotionen anmerkte. Schließlich musste nicht die ganze Schar wissen, dass ich an diesem Abend gekränkt worden war. Dann trat ich mit bedacht neutralem Gesichtsausdruck ein.
Mit einem kurzen Blick nahm ich die Szene in mich auf und stellte fest, dass die Schankstube heute gut besucht war. Vermutlich verbrachten viele den kühlen Herbstabend hier in wärmender Gesellschaft.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie irgendjemand mich bemerkte und sich wie ein Lauffeuer die Nachricht durch den Raum ausbreitete. Vorsichtige Blicke wurden mir zugeworfen. Man testete, wie meine Stimmung heute war. Ich war so nett, ihnen bei der Einordnung zu helfen.
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Burning Jade in a Sea of Amber
Fantasia// Band 2 // Knirschende Knochen, sickerndes Blut und qualvoller Tod - nichts als Alltag im Leben von Reyu, der seit dem Ende des Krieges in der lazalischen Kleinstadt Zintabur als Heiler im Hospital arbeitet. Kaum einer kennt ihn als mehr als einen...