Schritte auf dem Gang rissen mich aus meinem unruhigen Halbschlaf, doch ich machte mir nicht die Mühe, durch das kleine Gitterfenster der Metalltür meiner Zelle nachzuschauen, wer kam. Leise Stimmen unterschieden die Neuankömmlinge von anderen Passanten, die sonst schweigend durch den Gang marschiert waren. Ich schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit, bis das Surren eines fliegenden Pfeils erklang und endete, als die Spitze mit einem schmatzenden Geräusch ein Ziel fand.
Der Soldat, der in der Nähe meiner Zelle stationiert war, fiel mit einem dumpfen Poltern zu Boden.
Langsam erhob ich mich und vertrieb die Klammheit aus meinen Gliedmaßen. Natürlich galt mein erster Gedanke den Rebellen. Waren sie da, um den König zu töten? Befreiten sie alle Gefangenen oder waren sie auf der Suche nach bestimmten? Nach mir?
“Valia?”
Der leise Ruf ließ mich sofort zur Tür stürzen. “Reyu!”
Zwei Paar Schritte kamen in meine Richtung geeilt, ein Schlüssel in das Schloss geschoben und ein paar Sekunden später wurde ich an eine vertraute Brust gedrückt.
“Reyu, meine Rippe”, murmelte ich und löste mich von ihm, musste aber unwillkürlich lächeln, als ich ihn sah. “Bist du mein Ritter in glänzender Rüstung, der mich aus den Verliesen befreit?”, fragte ich spöttisch.“So kennt man mich”, erwiderte er und grinste mich an.
Als wir auf den Gang hinaus traten, bemerkte ich erst, dass Tyrak uns ungeduldig entgegen blickte. Ich hob beschwichtigend die Hände und begann dem Soldaten, der ein paar Meter weiter reglos am Boden lag, die Waffen abzunehmen. Er trug zwei Messer, ein Schwert und Pfeil und Bogen bei sich. Letztere hielt ich Reyu mit einem fragenden Blick entgegen. “Willst du?”
Reyu schnaubte leise und schüttelte den Kopf. “Ich würde aus drei Metern niemanden treffen.”
Aus irgendeinem Grund brachte mich das zum Grinsen. “Du kannst nicht Bogenschießen? Du kannst doch sonst alles.”
“Das eben nicht”, sagte er kurzangebunden und klang nicht so, als würde er sich darüber aufziehen lassen wollen.
Gut, dass ich nicht auf ihn hörte.
“Weißt du, dass das sogar der einfachste Soldat lernt? Jeder Caraliv über einundzwanzig kann mit Pfeil und Bogen umgehen. Und der gefürchtete Rote Falke nicht”, neckte ich ihn, während ich mir den Bogen umhängte.
Reyu verdrehte die Augen. “Ich kann Messerwerfen, das reicht.”
“Ein Bogen hätte aber eine viel höhere Reichweite. Soll ich dir das beibringen?”, fragte ich spöttisch, wurde aber von Tyrak unterbrochen.
“Hört auf mit dem Quatsch, wir haben Wichtigeres zu tun.”
“Spielverderber”, murmelte ich, drehte mich aber zu ihm um. “Was ist der Plan?”
Nicht ganz unerwartet ignorierte er mich vollkommen und wandte sich Reyu zu. “Bist du dir sicher, dass wir ihr vertrauen können?”Reyu hob das Kinn. “Ich würde ihr mein Leben anvertrauen.”
Die beiden musterten sich ein paar Sekunden lang, dann sah Tyrak zu mir. “Wem gehören deine Loyalitäten?”
Ich hob eine Augenbraue, musste nicht lange über die Frage nachdenken. “Meinem Volk. Meinem Land. Reyu. Worauf willst du hinaus?”
“Alles, was ihr über den Plan zu wissen glaubt, ist falsch”, offenbarte Tyrak und behielt mich im Auge. “Das wissen die Mitglieder der Schwarzen Krone nicht. Sie denken, wir werden Najik töten. Werden wir nicht. Er ist unser König. Es sind Kaira und Azvar, die sterben werden.”
Stille breitete sich nach dieser Ankündigung aus und ich wollte nicht die Erste sein, die sie durchbrach. Zuerst wollte ich Reyus Kommentar dazu hören.
“Du fällst der Schwarzen Krone in den Rücken”, stellte er fest, warf nun mir einen flüchtigen Blick zu.
“Richtig. Die denken ernsthaft, wir würden unseren König umbringen.” Er gab ein verächtliches Schnauben von sich. “Unterbelichtete Maulwürfe.”
“Was ist der Plan?”, fragte Reyu, allerdings sah Tyrak zuerst zu mir.
“Ich will wissen, ob du mitkommst”, forderte er. “Wenn nicht, schließen wir dich hier wieder ein und du bleibst da, bis es vorbei ist. Reyu wird mich dich nicht töten lassen, aber ich werde nicht zulassen, dass du deine Artgenossen warnst. Wenn du uns nicht in die Quere kommen wirst, lassen wir dich mitkommen.”
Ich tauschte einen Blick mit Reyu. Natürlich wollte ich nicht, dass Kaira und Azvar starben. Aber genauso wenig wollte ich, dass Najik starb. Nicht, wenn das den Krieg wieder mit sich brachte. Reyus Ausdruck konnte ich nicht ganz deuten, doch eigentlich war ich mir sicher, dass er irgendetwas unternehmen würde. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde er nicht tatenlos danebenstehen und zusehen, wenn jemand genau das Gegenteil davon machte. Auch wenn dieser Jemand sein bester Freund war. Die Könige hatten nicht auf uns gehört, nun mussten wir eben selbst das Ruder in die Hand nehmen.
Tyrak schenkte ich ein knappes Nicken. “Ich werde mit euch kommen. Es ist mir egal, welcher der Könige stirbt, solange wir danach wieder Krieg haben.” Einige Sekunden blickte er mir direkt in die Augen, suchte nach der Lüge, doch ich hielt meinen Gesichtsausdruck so leer wie ich nur konnte.
Dann schien er zufrieden, denn er machte sich wortlos in die Richtung auf, aus der die beiden auch gekommen waren.
“Was ist der Plan?”, fragte Reyu erneut, während wir ihm folgten und wie zufällig unsere Hände so nahe beieinander hielten, dass sie sich sachte berührten.
“Das werdet ihr gleich sehen”, erwiderte Tyrak und ich konnte nicht ganz einschätzen, ob er einfach nur Reyus Spannung anheizen wollte oder mir nicht genug vertraute, um mich in ihre Pläne einzuweihen.
“Wie geht es dir?”, fragte ich leise an Reyu gewandt, als ich merkte, dass er in diesem schnellen Tempo, das Tyrak angeschlagen hatte, wieder zu humpeln anfing.
“Nicht so schlecht, dass du dir Sorgen machen musst”, murmelte er und warf mir einen Blick zu. “Was hälst du von der Planänderung?”, fragte ich weiter, wusste aber, dass wir uns für eine ehrliche Antwort weiter von Tyrak entfernen müssten.
“Azvar ist verantwortlich für die Folter. Najik hat von mir verlangt, dich zu töten, nachdem ich ein Jahr lang in Ruhe gelassen wurde. Ich hasse sie alle.”Ich hoffte, dass das nicht bedeutete, dass er einfach alle töten wollte, statt niemanden.
“Wohin gehen wir?”, fragte ich nach einer Weile, als wir schon die vierte Treppe nach oben stiegen.Draußen war es bis auf Kaluurs rötliches Licht dunkel. Der Palast war vom warmen Schein der Fackeln und Laternen erhellt. Es begegneten uns nur sehr wenige andere Leute, und die ließen uns alle passieren. Ich wollte lieber nicht wissen, wo die Bewohner und Besucher des Palastes waren.
“Ich denke, in die Gemächer des Königspaares”, erwiderte Reyu, der seinen Blick wachsam durch die Umgebung schweifen ließ. Inzwischen war sein Humpeln um einiges stärker geworden, doch ich wusste, dass jeder Kommentar ohnehin zwecklos sein würde.
Er behielt Recht, denn wenige Minuten später gingen wir einen langen Korridor entlang, der noch prachtvoller war als viele andere. Zwei Lazaliv standen vor einer großen Tür Wache, dort, wo wohl normalerweise die Soldaten standen.
Vor ihnen kamen wir zum Stehen. Ich wurde skeptisch beäugt, doch niemand von uns dreien beachtete die Blicke der beiden Lazaliv. “Ist alles nach Plan verlaufen?”, fragte Tyrak.
“Allerdings.” Auf dem Gesicht der Wache breitete sich ein zynisches Lächeln aus. “Bereit zur Schlachtung.” Und mit diesen Worten öffnete er uns die Tür zu den Gemächern des caralischen Königspaares.
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Burning Jade in a Sea of Amber
Fantasy// Band 2 // Knirschende Knochen, sickerndes Blut und qualvoller Tod - nichts als Alltag im Leben von Reyu, der seit dem Ende des Krieges in der lazalischen Kleinstadt Zintabur als Heiler im Hospital arbeitet. Kaum einer kennt ihn als mehr als einen...