Kaetrus Begeisterung bei der Aussicht auf ein bloßes warmes Essen erinnerte mich so sehr an mich selbst, dass ich ihn kaum allein lassen wollte. Doch ich kehrte nach Hause zurück und wusste, sobald ich durch die Tür trat, dass ich eine lange Nacht vor mir hatte. Ich würde nicht schlafen können.
In Gedanken versetzte ich mich zurück in dasselbe Alter, in dem Kaetru nun war, drei Jahre nachdem unsere Mutter meinen Bruder und mich verlassen hatte. Auch ich hatte zu dieser Zeit vor kurzem meinen ersten Mord begangen und litt unter regelmäßigen Alpträumen und Panikattacken.
Hatte sich ja nicht viel verändert in diesen fünfzehn Jahren. Nur der Grund war inzwischen ein anderer. Wäre schön, wenn ich nur ein Problem mit dem Morden hätte.
Mit einem Seufzer setzte ich mich vor den Kamin und begann zu schnitzen, ohne darüber nachzudenken. Dabei schaltete ich erfolgreich alle Gedanken aus und konzentrierte mich nur auf das gleichmäßige Schaben des Messers auf dem Holz.
Die Nacht war schon relativ weit fortgeschritten, als ich den Schlüssel im Schloss hörte und sich gleich darauf die Tür öffnete. Valia trat ein. Sie schien überrascht, mich noch nicht schlafend zu sehen, und schien unschlüssig, ob sie mich nun ansprechen sollte oder nicht. Seit ich sie abgewiesen hatte, waren unsere Interaktionen oft auf kurze Zweckgespräche begrenzt.
Dennoch brannte mir eine Frage unter den Nägeln, die ich nun stellen musste. "Wer war der Mann, den du auf dem Markt getroffen hast?" Glücklicherweise gelang es mir und meine Stimme klang so beiläufig, wie ich es mir wünschte.
Valia schien kurz innezuhalten, während sie ihren Umhang aufräumte. Zögerlich warf sie mir einen Blick zu. "Nur ein alter Bekannter aus Arnarith", antwortete sie schließlich und ihre Stimme war entschieden, doch der Blick, den sie mir zuwarf, sagte mir mehr als tausend Worte.
Das war mehr als ein 'alter Bekannter'.
"Ich habe ihn auf dem Markt getroffen und war danach noch spazieren, um den Kopf freizukriegen", erklärte sie und musterte mich nun mit einem Ausdruck, den ich nicht ausstehen konnte. Besorgnis. "Wieso bist du noch wach?"
Beiläufig zuckte ich mit den Schultern. "Wieso nicht?"
"Weil es mitten in der Nacht ist?"
"Du bist auch noch wach."
Sie seufzte und schnürte ihre Stiefel auf, was mir wieder kurz Zeit gab, mich auf mein Schnitzen zu konzentrieren. Die Ruhe hielt jedoch nicht lange an.
"Reyu?"
"Was?", fragte ich ungeduldig, ohne sie anzusehen.
"Nur weil..." Sie stockte kurz, kam dann jedoch näher und legte eine Hand auf das Holz, das ich gerade bearbeitete, was mich dazu brachte, zu ihr aufzusehen. "Nur weil wir etwas auf Abstand gehen, heißt das nicht, dass ich mich nicht um dich kümmern kann. Wenn es dir nicht gut geht, kannst du immer mit mir reden. Egal, ob wir ... ob wir zusammen sind oder nicht."
Obwohl auch sie ihre Gesichtszüge oft verschloss, war sie in diesem Moment ein offenes Buch für mich. Ihr Blick war zwar unsicher, doch nichts als ehrlich. So nahe waren wir uns seit langem nicht mehr gekommen. Ihre Hand berührte meine ganz leicht, als sie auf meiner Schnitzerei lag, und verursachte so ein sachtes Kribbeln in meinen Fingern.
Gegen meinen Willen überrollte mich eine Welle der Zuneigung für sie. Sie war so unfassbar ... gut. So viel wie sonst beinahe niemand wusste sie über mich, viele meiner Schwächen und Angriffspunkte, doch sie dachte nicht einmal darüber nach, sie gegen mich zu benutzen. Wie selbstverständlich behielt sie alles für sich und obwohl ich sie so verletzt hatte, obwohl ich sie von mir gestoßen hatte, hielt sie noch immer zu mir und war bereit, mir zu helfen.
Es war nicht das erste Mal, dass ich diese Art von Zuneigung erfuhr, doch das erste Mal seit einer langen Zeit und das erste Mal, nachdem eine Menge unschöner Dinge passiert waren. Ich war es nicht mehr gewohnt, dass sich jemand um mich sorgte, dass jemand wirklich bemerkte, wenn es mir nicht gut ging und mir dann auch wirklich helfen wollte.
Und mit jeder Faser meines Herzens sehnte ich mich danach, dieses Gefühl für immer bei mir zu behalten, mich auf sie zu verlassen und dem Drang in mir nachzugeben, sie näher zu mir zu holen.
"Es geht mir gut", sagte ich leise und löste mich schweren Herzens von der Berührung. "Es sind nur ein paar alte Erinnerungen aufgekommen."
Valia zögerte kurz, doch dann setzte sie sich neben mir auf den Diwan und blickte in die Glut. Ihr Angebot mir zuzuhören stand unausgesprochen in der Luft und mir war klar, dass sie sich jedes Wehwehchen von mir anhören würde, wenn ich es ihr erzählte.
Langsam nahm ich meine Arbeit wieder auf, das gelegentliche Knacken des Feuers und das stetige Schaben von Metall auf Holz die einzigen Geräusche in der Wohnung. Valia leistete mir still Gesellschaft und irgendwie genoss ich dieses ruhige Beisammensein, etwas, das ich mit niemand anderem je so erlebt hatte.
Nach einer Weile begutachtete ich im Schein des Feuers die Rose, in die ich den Holzblock verwandelt hatte. Vor diesem Abend war sie kaum mehr als ein grober Umriss gewesen, nun waren die einzelnen Blätter ausgearbeitet und mit ein wenig Detailarbeit würde ich sie noch glätten und die letzten Feinheiten perfektionieren.
"Woher hast du dieses Talent?", fragte Valia leise und ich sah, dass ihr Blick ebenfalls auf die Rose gerichtet war. "Die ist wunderschön."
"Ich habe angefangen, als ich mit meinem Bruder auf der Straße gewohnt habe und Holz eines der wenigen leicht zu beschaffenden Mittel war, mit denen man auch etwas Geld verdienen konnte. Im ersten Jahr habe ich uns so über Wasser gehalten. Inzwischen hilft es mir beim Abschalten. Wenn ich meine Gedanken zum Schweigen bringen muss", erklärte ich und räusperte mich dann. Wieso erzählte ich ihr das?
Auch Valia wirkte etwas überrascht, doch sie lächelte. "Es ist eine schöne Gewohnheit. Auch wenn der Grund ein fröhlicherer sein könnte." Von der Seite warf sie mir einen schelmischen Blick zu. "Und auch wenn zu einem harten Typen wie dir eher Messerwerfen oder so passen würde."
"Ich werfe gleich ein Messer nach dir", murmelte ich und stieß sie in die Seite. "Giftzwerg."
"Dummer Vogel", erwiderte sie und entlockte mir dadurch tatsächlich ein kurzes Lächeln. "Na, was war denn das?", fragte sie spöttisch. "War das ein Ausdruck von guter Laune in deinem Gesicht?"
"Nein", brummte ich. "Niemals. So etwas kann ich nicht."
"Muss ich mich wohl geirrt haben, ja", erwiderte sie und lachte. Das Geräusch ließ einen Blitz meine Wirbelsäule hinunterlaufen und ich sehnte mich nach mehr davon.
Ruckartig stand ich auf. "Wir sollten schlafen. Arbeit morgen", sagte ich knapp.
Valia sah zu mir auf und streckte vorsichtig die Hand aus, um nach meiner zu greifen. "Reyu-"
"Nein", unterbrach ich sie und vermied die Berührung. "Fang nicht wieder damit an. Bitte", ergänzte ich leise. "Ich habe dir meine Gründe genannt."
Niedergeschlagen sah sie zu Boden. "Ja. Ich weiß. Gute Nacht, Reyu", murmelte sie und verschwand dann im Schlafzimmer. Mich ließ sie wehmütig und mit schmerzhaftem Ziehen in der Brust zurück.
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Burning Jade in a Sea of Amber
Fantasy// Band 2 // Knirschende Knochen, sickerndes Blut und qualvoller Tod - nichts als Alltag im Leben von Reyu, der seit dem Ende des Krieges in der lazalischen Kleinstadt Zintabur als Heiler im Hospital arbeitet. Kaum einer kennt ihn als mehr als einen...