08 • 3 | Reyu

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Eine einzelne Holzstrebe der filigranen Gebilde, die die Marktstände in mehreren Metern Höhe trugen, diente mir als Stütze. In müheloser Balance kauerte ich auf dem fünf Zentimeter breiten Holz und beobachtete das Treiben um mich herum. So viele Stände wie noch nie waren am Boden aufgebaut, immer weniger ließen sich durch das Gerüst aus dünnen Holzbalken in die Luft erheben, wo sie nur für Lazaliv zugänglich waren. Einige Meter über mir auf der Holzplattform befand sich der Verkaufsstand für Lederwaren.

Er war spät dran. Ich mochte keine Unpünktlichkeit.

Ungeduld machte sich in mir breit, die ich jedoch in keinster Weise nach außen zeigte. Mein Blick folgte Valia, wie sie auf einmal von ihrem Platz am Tisch aufsprang und sich durch die Leute drängte. Es brauchte nicht viel Talent, um zu sehen, wohin sie wollte. Ein Caraliv, ein junger Mann, helles Haar und Augen, deren eisblaue Farbe auf diese Entfernung noch auffiel. Wer war er? Niemand aus dem Hospital. Niemand, den ich kannte.

Valia scheinbar schon, denn sie schienen sich nun zu unterhalten. Unwillkürlich erweckte das die Neugier in mir, mit welchem fremden Caraliv sie sich denn austauschte.

Ein kaum hörbares Knarzen hinter mir teilte meine Aufmerksamkeit wieder. “Du bist spät”, sagte ich und legte einen stählernen Unterton in meine Stimme.

“Ich weiß. Ich wurde aufgehalten.” Die Antwort kam sachlich, nicht entschuldigend. “Ihr seid aber auch noch damit beschäftigt, diese zwei Caraliv dort zu beobachten.”

So frech dieser Kommentar auch war, seine Auffassungsgabe beeindruckte mich. In einem so breiten Sichtfeld die zwei Gestalten auszumachen, auf die ich meinen Blick gerichtet hatte, war nicht einfach. Zu schade, dass er mir nicht auch verraten konnte, wer der Caraliv war und was Valia von ihm wollte.

Langsam drehte ich mich zu ihm um, ließ meine Kapuze aber noch auf, die einen Schatten über mein Gesicht warf. “Du solltest dir deines Ranges deutlicher bewusst werden, Kaetru”, erwiderte ich kühl.

Die gelblichen Augen erwiderten meinen Blick ungerührt, bis ich eine Spur Härte in meinen legte und meine Körperhaltung minimal veränderte, minimal feindseliger wirken ließ. Gestraffte Schultern, Spannung in den Beinen, als wäre ich bereit abzuspringen, die Flügel ein wenig weiter ausgebreitet.

Ich verfehlte die Wirkung nicht. Er schlug die Augen nieder, legte die Flügel an und zeigte mir damit, dass er mich als übergestellt anerkannte. Nicht, dass er wusste, wer ich wirklich war, er wusste nur, dass ich ihn in der Hand hatte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Valia und der fremde Caraliv zu zweit in einer Seitengasse verschwanden und den Markt verließen. Wie gerne würde ich ihnen folgen.

Ein Seufzen unterdrückend wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Jugendlichen vor mir zu. “Deine Fähigkeiten hast du ja schon unter Beweis gestellt, als du diesen Caraliv getötet hast.”

Kaetru wich meinem Blick aus, nickte aber. Ich sah ihm an, dass ihm dieses Thema unangenehm war, doch ich hatte ohnehin nicht vor, weiter darauf herumzureiten. Nur zu gut erinnerte ich mich an meinen ersten Mord und konnte demnach nachvollziehen, wie er sich fühlte.

“Ich habe aber auch erfahren, dass du ein Tjentani bist”, fuhr ich fort. “Davon würde ich mich gerne selbst überzeugen.”

Mit einem zögerlichen Nicken biss er sich auf die Unterlippe. “Muss ich es beweisen? Ich versuche es so weit wie möglich zu vermeiden.” Auf meinen auffordernden Blick hin seufzte er, schloss die Augen kurz und als er sie wieder öffnete, waren sie nicht mehr gelblich, sondern leuchteten in einem hellen Grau. Sobald ich ihm mit einem kurzen Nicken die Erlaubnis gab, ließ er die Veränderung wieder fallen und schlug einige Male mit den Flügeln, wie um sich zu vergewissern, dass die caralische Seite in ihm nicht die lazalische nun unterdrückte.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt