05 • 2 | Valia

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Langsam verließ ich meinen sicheren Posten neben dem Fenster und trat ins Licht, das von draußen herein schien. Mühsam widerstand ich dem Drang, den Griff meines Dolches zu umfassen, und hielt meine unverletzte Hand offen neben meine Schulter. Ich spürte, wie mein Herz flatterte und mir Hitze in den Kopf stieg.

Etwa drei Meter entfernt hielten sich die beiden Lazaliv ruhig in der Luft. Die Soldatin in mir übernahm die Kontrolle über mein Denken und automatisch begann ich zu analysieren.

Der Fremde, Tyrak, hatte dunklere Flügel als Reyu. Niedrigere Herkunft. Vermutlich war er etwa im gleichen Alter. Kindheitsfreunde? Zwei Dolche waren an seinem Gürtel neben der Schwertscheide befestigt. Das Oberteil war an seinem rechten Unterarm leicht verschoben, lag nicht ganz eng an. Vier Waffen. Linkshänder. Keine gezogen. Vertraut Reyu.

Reyu selbst sah genauso aus wie noch vor fünf Minuten, nur dass ich noch nie bemerkt hatte, dass er Wurfmesser bei sich trug. Ein weiteres davon hielt er in der Hand, bereit, mich bei einer falschen Bewegung auszuschalten.

Als er mich erkannte, ließ er die Klinge langsam sinken. “Wieso überrascht mich das jetzt nicht?”

“Du kennst sie?” Misstrauisch musterte Tyrak mich, doch als Reyu sein Wurfmesser wieder verschwinden ließ, löste sich langsam die Spannung aus meinen Schultern. Die neue Information, die ich gerade erhalten hatte, stürmte wieder in den Vordergrund und ich hatte Mühe, mir nichts anmerken zu lassen.

“Lass sie”, meinte Reyu. “Ich kümmere mich um sie.”

Langsam wanderte eine meiner Augenbrauen nach oben, als sie sich mit einem kurzen Blick weiter verständigten und Tyrak dann abdrehte und über dem Hospital verschwand. Reyu kam durch das Fenster in den Dachboden und sah mich dann mit verschränkten Armen an. “Ich nehme an, du hast nicht nur die letzten zwei Sätze gehört.”

“Allerdings. Rebell, Reyu? Wirklich?”, platzte es aus mir heraus.

Er lächelte säuerlich. “Irgendjemand muss diesen Idioten von Königen ja zeigen, was das Volk von ihnen hält."

Fassungslos sah ich ihn an. “Ausgerechnet die Rote Schar. Heißt das, du bist auch noch für die Explosion verantwortlich, die meine Wohnung zerstört hat und mir das hier hinterlassen hat?” Ich deutete auf meine verletzte Schulter.

“Nein. Das war Tyraks Idee. Ich habe widersprochen, weil mir klar war, wie viele Verletzte das geben wird, aber er hat es trotzdem durchgezogen”, sagte Reyu knapp.

“Das heißt, er ist der Anführer? Was bist du?”

“Wieso interessiert dich das?”

Ich verdrehte die Augen. “Du willst doch sicher, dass ich niemandem davon erzähle, oder? Also beantworte auch meine Fragen.”

“Du schuldest mir noch einen Gefallen. Also wirst du auch niemandem davon erzählen. Vor allem unter Anbetracht der Tatsache, dass ich dich andernfalls töten muss.”

Das war ein gutes Argument, musste ich zugeben. “Werde ich nicht. Aber du kannst mir trotzdem mehr erzählen.” Ich grinste leicht. “Du bist gerade interessant geworden.”

“Na, fantastisch”, brummte er und schüttelte den Kopf.

“Ihr Lazaliv habt doch immer eine Hierarchie. Also, was bist du?”

“Die Rechte Hand, wenn du es so willst”, erklärte er genervt. “Tyrak macht die schlauen Pläne, ich führe sie aus.”

Zufrieden grinste ich. “Was ich mich schon länger frage: Wie kommt man auf den Namen Rote Schar?”

“Sagt dir der Rote Falke etwas?”

“Klar. An dem habt ihr euch orientiert?”, fragte ich neugierig. Der Rote Falke war während des Krieges ein Meuchelmörder im Auftrag des lazalischen Königs gewesen, hatte sowohl hochrangige Caraliv als auch Lazaliv getötet. Den Namen hatte er sich eingebracht, weil man ihm nachsagte, schnell, lautlos und blutig zu handeln. Irgendwann war er jedoch verschwunden und man hatte nie wieder etwas von ihm gehört.

“Ja”, kam die knappe Antwort von Reyu.

“Heißt das, ihr kennt ihn? Ihr wisst, wer er ist? Wo er jetzt ist?”

Er schnaubte. “Das weiß keiner. Sitzt vermutlich in irgendeiner einsamen Hütte auf einem Berg und hofft, dass man ihn nicht findet.”

“Wieso heißt ihr dann so?”

“Tyrak fand die Ironie amüsant, dass wir jetzt als Rote Schar gegen den König arbeiten, nicht mehr für ihn.”

“Woher kennst du Tyrak?”

Reyu drehte sich so abrupt wieder zu mir um, dass ich automatisch innehielt, um mich wieder etwas von ihm zu entfernen. Er kam auf mich zu, bis ich die Wand im Rücken spürte. “Hör auf, so viele Fragen zu stellen”, fuhr er mich an. “Das geht dich alles nichts an. Schön und gut, dass du jetzt davon weißt, das heißt noch lange nicht, dass ich dir alles erzähle. Wenn auch nur das geringste Risiko besteht, dass du diese Informationen ausplauderst, schneide ich dir höchstpersönlich die Kehle durch. Ist das klar?”

Sein bernsteinfarbener Blick wirkte in der Düsternis des Dachbodens beinahe schwarz, als er sich in meinen bohrte und mich beinahe dazu brachte, meinen abzuwenden. Gerade so hielt ich mich davon ab, richtete mich auf und hielt den Augenkontakt. Sein Geruch nach gepflegtem Leder und frischem Harz stieg mir in die Nase und ließ mich einen tiefen Atemzug nehmen.

“Wir waren uns einig, dass dich nichts angeht, was ich treibe, und dass mich nichts angeht, was du treibst. Kein Grund, herrisch zu werden", sagte ich und begegnete seinem hitzigen Blick mit kühler Ruhe.

Ich erwartete, dass er sich jetzt von mir entfernen, mich allein lassen würde. Doch für einige endlos lange Sekunden blieb er noch stehen. Mein Blick wanderte von seinen Augen über die kleine Narbe an der linken Wange bis zu seinen Lippen. Unwillkürlich dachte ich an den Moment nach der Feier in seiner Wohnung.

Mir wurde bewusst, dass sein Oberkörper nur Zentimeter von meinem entfernt war und eine Wärme verströmte, die sich in mir zu sammeln schien und dann nach unten in meine Mitte sackte. Meine Finger zuckten und plötzlich hatte ich das Bedürfnis zu testen, wie sich seine Haut unter meinen Fingern anfühlte, ob sich dann auch die gleiche Gänsehaut ausbreiten würde, die nun meine Arme bedeckte.

Ruckartig stieß Reyu die Luft aus und trat einen Schritt zurück.

“Gut. Dann ist das ja geklärt.” Er wandte den Blick von mir ab, trat wieder zum Fenster und schwang sich hindurch.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt