14 • 1 | Valia

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Die Spannung lag so greifbar in der Luft, dass man sie vermutlich mit einem Messer hätte zerschneiden können. Meine Handflächen waren schwitzig. Alle meine Alarmglocken schrillten grell in meinem Kopf, doch nach außen hin ließ ich nichts davon durchscheinen.

Wir beschnupperten uns wie Tiere. Reyu und Tyrak standen mir und meinen beiden Gefährten gegenüber. Beide Parteien machten sich ein Bild von der jeweils anderen, eine Blöße wollte sich keiner geben. Mein Blick traf kurz den von Reyu, doch sein Gesicht war so verschlossen, dass ich nicht einschätzen konnte, was er dachte.

Ein oder zwei Minuten vergingen, in denen niemand sich rührte. Dann entschloss ich mich dazu, die Initiative zu ergreifen.

"Wenn wir zusammenarbeiten", begann ich und zog die Aufmerksamkeit damit auf mich, "dann werden wir mit offenen Karten spielen. Es bringt nichts, wenn wir uns immer noch etwas verheimlichen. Sind damit alle einverstanden?"

Tyrak schien etwas zögerlich, doch Reyu stimmte mit einem knappen Nicken zu. Auch Deysa und Gerwin neben mir gaben mit einem kurzen Zeichen ihr Einverständnis. Die beiden wohnten in anderen Städten, waren nach meinem dringlichen Ruf jedoch angereist und waren auf meine Bitte hin sogar bereit, sich mit den Anführern der Roten Schar zu treffen.

"Dann sollten wir euch mitteilen, dass ihr einen Verräter in euren Reihen habt", meldete sich Reyu zu Wort. "So haben die Könige von Valia erfahren."

Ich tauschte einen kurzen Blick mit Gerwin, der sich da vermutlich mit befassen musste, bevor ich wieder nach vorne sah. "Wir werden uns darum kümmern. Danke."

"Wir haben nicht viel Zeit", erinnerte uns Tyrak. Seine Stimme verbarg nicht im geringsten die Abneigung, die er gegenüber mir und den beiden etwas älteren Caraliv neben mir hegte. "Ich denke, es ist klar, dass wir entweder das caralische Königspaar oder den lazalischen König töten müssen."

Allgemeines Nicken war die Antwort.

Nun ergriff Gerwin das Wort. Wie immer waren seine Worte sorgfältig ausgewählt und er wirkte, als hätte er bereits jede Eventualität bedacht. "Azvar und Kaira sind diejenigen, die die Unterstützung des Volkes schneller verlieren werden. Einige ihrer Fürsten haben ihre Ehe noch nicht akzeptiert. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, wird jemand versuchen, den Thron an sich zu reißen."

Er machte eine kurze Pause, als würde er den beiden Lazaliv Zeit zum Widerspruch geben wollen, doch als niemand sprach, fuhr er fort.

"Najik regiert alleine, er hat keine Frau und keinen Erben. Wenn wir ihn töten, braucht das Land einen neuen Herrscher. Wenn die Rote Schar genug Einfluss hat, werdet ihr diesen neuen Herrscher stellen können. Dann liegt die Entscheidung über Krieg und Frieden in eurer Hand."

Tyrak kniff leicht die Augenbrauen zusammen. "Ihr erwartet also, dass wir unseren eigenen König töten?"

Deysa hob das Kinn, ihr stolzes Temperament deutlich spürbar. "Was ist euch wichtiger? Das Leben eines einzelnen Lazaliv oder die Ziele, für die ihr kämpft?"

Reyu und Tyrak tauschten einen Blick, schienen sich wortlos zu verständigen. Dann sah Letzterer wieder zu uns.

"Angenommen, wir töten König Najik. Was passiert mit Azvar und Kaira? Die beiden werden kaum ihren Traum vom Frieden aufgeben."

"Nein. Aber sie werden größere Probleme haben als die lazalische Regierung", begann Gerwin zu erklären. "Die Schwarze Krone hat viele Positionen in der Nähe der caralischen Fürsten besetzt. So vorsichtig das Königspaar ist, so unvorsichtig sind die Fürsten. Und es gibt einige, die noch skeptisch gegenüber dem Frieden sind. Wenn wir unseren Einfluss auf sie nutzen, können wir viele dazu bringen, sich gegen den König zu stellen. Und wenn ein caralischer König die Unterstützung der Fürsten verliert, vertraut ihm auch das Volk nicht mehr. Außerdem werden wir den Mord an Najik so aussehen lassen, als wären es ausschließlich Caraliv gewesen, um das lazalische Volk anzustacheln."

"Das heißt, die Caraliv werden sich gegen die Regierung auflehnen, während wir die Regierung der Lazaliv stellen", schlussfolgerte Tyrak. "Und die unzufriedenen Caraliv werden leichter wieder für den Krieg zu begeistern sein, worauf die Könige hören werden, um ihr Volk wieder für sich zu gewinnen. Die Frage ist nur, wieso wir nicht einfach alle drei töten. Wenn wir einen umbringen, sind die anderen beiden auch kein Problem mehr. Und dann gibt es in Ilatharis gar keinen engstirnigen Herrscher mehr, der sich für den Frieden einsetzt."

"Die Schwarze Krone-"

Deysa unterbrach mich und schüttelte knapp den Kopf. "Wir wollen kein komplettes Chaos. Wenn es überhaupt keine Regierung mehr gibt, wenden sich die Völker nur untereinander gegen sich, statt eines gegen das andere."

Tyrak runzelte nachdenklich die Stirn und wirkte nicht ganz überzeugt.

Nun war es an mir, Deysa einen strafenden Blick zuzuwerfen. "Wir haben vereinbart, nichts voreinander zu verbergen. Die Wahrheit ist, dass die meisten Mitglieder der Schwarzen Krone nicht bereit wären, ihren König zu töten. Kaira ja, Azvar nicht. Wir wissen, dass die Mitglieder der Roten Schar sehr viel extremer sind. Viele, die sich uns angeschlossen haben, sind nur gegen eure Kultur, eure Traditionen und harten Regeln. Nicht gegen unseren König."

"Werden sie dann mitziehen, wenn wir Najik töten?", fragte Tyrak mit erhobener Augenbraue.

Deysa hob herausfordernd das Kinn. "Willst du die Loyalitäten unserer Leute in Frage stellen?"

"Ja, will ich." Seine Stimme war kühl, begegnete Deysas Aggressivität mit eisiger Ruhe. Kurz nickte er zu mir. "Eines eurer untreuen Mitglieder kostet ihr hier das Leben.”

“Ich werde nicht sterben”, stellte ich kopfschüttelnd klar. “Und ich würde nicht ausschließen, dass es auch in den Reihen der Roten Schar den ein oder anderen Verräter gibt. Aber das ist nicht unser akutes Problem - wir müssen eher zusehen, dass wir einen Plan auf die Beine stellen, bevor auffällt, dass Reyu seinen Auftrag nicht ausführt.”

“Gut. Folgende Idee”, begann Gerwin und verhinderte so eine vermutlich provozierende Antwort von Tyrak.

Und damit begann die aktive Planungsphase am Mord des Königs.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt