Mein Kopf ruhte auf Reyus Schulter, die Arme hatte ich um seinen Bauch gelegt. Er roch wie immer nach dem alten Leder seiner Kleidung und dem Harz aus dem Holz, das er so gerne mit dem Messer bearbeitete. Es war ein Geruch, der mich beruhigte wie kein anderer.
Man hatte uns in luxuriöse Gemächer gebracht und eingesperrt, seitdem hatten wir nichts mehr von der Außenwelt gehört. Nicht, dass es uns groß interessieren würde. Reyu hatte kaum ein Wort gesagt, doch ich wusste, dass er um seinen besten Freund trauerte. Ich saß bei ihm in diesem viel zu breiten Bett und leistete ihm still Beistand.
Man hatte unsere Wunden zwar versorgt, trotzdem spürte ich wieder einen dumpfen Schmerz in meiner Schulter. Als hätte ich davon nicht schon genug gehabt.
Zum ersten Mal seit wir hier waren, wurde die Stille unterbrochen. Es klopfte. Langsam hob ich den Kopf und sah kurz zu Reyu, dann zur Tür. "Ja?"
Von zwei Soldaten wurde die Tür aufgeschoben und zu meiner Überraschung trat niemand anderes ein als alle drei Könige. Sofort wollte ich mich erheben und ihnen Respekt erweisen, doch Azvar hob eine Hand. "Bitte, bleibt sitzen. Ihr seid verletzt."
"Und da seid Ihr nicht die Einzigen", kommentierte Najik und blickte zu seiner Schwester, die nur die Augen verdrehte.
"Das ist kaum ein Kratzer. Es geht mir gut", beteuerte sie und klang so, als wäre es nicht das erste Mal dass sie diesen Satz in den letzten Stunden gesagt hätte.
Trotz Azvars Anweisung senkte ich den Blick und murmelte die Begrüßungsfloskeln, während Reyu den Königen einfach nur entgegenblickte.
"Wir schulden Euch den größten Dank, den man jemandem schulden kann", begann Najik und klang aufrichtig. "Ihr habt sowohl mir als auch Kaira und Azvar das Leben gerettet und damit das Land vor dem Chaos bewahrt. Beide Länder. Dafür gibt es keine Worte."
Ich lächelte ein klein wenig und setzte mich etwas aufrechter hin. "Es war uns eine Ehre."
"Ihr werdet für Eure früheren Vergehen nicht weiter verfolgt werden. Man wird Euch öffentlich ehren und einen Orden für Eure Dienste gegenüber Eures Heimatlandes überreichen", fuhr Najik fort.
"Nein", war das erste Wort, das Reyu seit dem Eintreffen der Könige sprach.
Verwirrte Blicke richteten sich auf ihn und er schien sich doch wieder daran zu erinnern, mit wem er es gerade zu tun hatte. "Verzeiht, Ni Akumdr, doch ich brauche keine öffentliche Aufmerksamkeit. Der Orden hilft mir nichts. Bitte spart Euch diese Mühe für mich."
Najik neigte den Kopf. "Eure Bescheidenheit ist beispiellos, Reyu, Sohn von Erean. Bitte sagt mir, wie wir Euch stattdessen etwas zurückgeben können."
Reyu zögerte keine Sekunde. "Nehmt mich aus dem Dienst. Macht öffentlich, dass der Rote Falke heute für seinen König gestorben ist. Schwört, dass Ihr nie wieder meine Familie und die, die mir nahestehen benutzen werdet, um Eure Ziele zu erpressen. Zeigt, dass Ihr nicht so grausam seid, wie Euer Vater. Der Rote Falke ist Geschichte." Er machte eine kurze Pause. "Ich möchte außerdem, dass Ihr die zwei Rebellen, die Euch, Azvar, auf meine Anweisung hin freigegeben haben, nicht zu hart bestraft. Sie haben lediglich Befehlen gehorcht, sind in Kaetrus Fall sogar noch zu jung, um wirklich über ihre Taten urteilen zu können."
Für einen kurzen Moment zögerte Najik, tauschte einen Blick mit seiner Schwester. "Die zwei Rebellen werden die gerechte Strafe für ihre Vergehen tragen", sagte er dann und Reyu neigte den Kopf.
"Daran zweifle ich nicht. Ich bitte Euch nur, Euren Frust über das fast gelungene Attentat nicht an diesen beiden Männern auszulassen."
Najik schwieg kurz, doch dann nickte er langsam und gab Reyu die Hand. "Einverstanden."
"Ihr seid ein ehrenhafter Mann", sagte Kaira leise und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Reyu erwiderte es nicht. "Bitte nennt mich nicht ehrenhaft. Der Frieden kümmert mich nicht. Alles, was ich will, ist Ruhe. Und Sicherheit für die wenigen, die mir etwas bedeuten", sagte er leise und seine Hand fand meine, unsere Finger verschränkten sich.
Mein Herz fühlte sich an, als würde es glühen.
"Und von uns wird keine Gefahr mehr für sie ausgehen", versprach Kaira und ihr Blick hing kurz auf unseren verschränkten Händen.
"Ich danke Euch", sagte ich, als Reyu wieder schwieg. "Er auch, er versucht nur sein Limit von hundert Wörtern am Tag nicht zu überschreiten."
Mit seiner freien Hand kniff Reyu mich grummelnd in die Seite, was mich zum Grinsen und Kaira zum Lachen brachte. Die Königin lehnte sich mit dem Rücken an die Brust ihres Mannes und sah zu ihm hoch. "Ich erkenne da eine gewisse Ähnlichkeit zwischen euch."
Azvar legte die Arme von hinten um ihren Oberkörper und beugte den Kopf nach unten, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Ich konnte mir vorstellen, in welche Richtung es ging, als Kaira scharf einatmete und ihre Wangen sich dunkelten.
"Nehmt euch ein Zimmer", murmelte Najik leise, das erste Mal, dass ich ihn etwas von seiner kühlen Disziplin ablegen sah.
Auch Kaira und Azvar sah ich gerade in neuem Licht - nicht als die Könige von Arnarith, sondern das liebende Paar, das sie waren. Ihre Arme waren fest ineinander verhakt, als sie sich von uns verabschiedeten und sich auf den Weg zur Tür machten, angeführt von Najik.
"Ar Lindrae."
Kaira drehte sich nochmal zu mir um, ein kleines Lächeln auf den Lippen.
"Herzlichen Glückwunsch", sagte ich leise und ihr vornehmes Lächeln wurde zu einem stolzen Grinsen, an dem Azvars Blick für einen Moment hängen blieb und so weich wurde wie ich es noch nie gesehen hatte.
Wie unbewusst legte Kaira eine Hand auf ihren Bauch, drückte ihren weiten Rock leicht an und offenbarte so die durchaus recht deutliche Wölbung. "Danke", erwiderte sie und ihr aufgeregtes Grinsen hatte nichts von der kontrollierten Königin, die sie sonst war. Es war das stolze Grinsen einer Frau, die bald einen neuen Lebensabschnitt beginnen würde.
Die Tür schloss sich hinter ihnen und ich musste Lachen über den fassungslosen Ausdruck auf Reyus Gesicht. "Hat sie dir das erzählt?"
"Nein." Ich zuckte mit den Schultern. "Sie ist meine Königin, ich rede privat recht selten mit ihr."
"Woher wusstest du das dann?"
"Weibliche Intuition?" Ich grinste schief und fing mir ein Augenrollen von Reyu ein. "Dafür, dass du sonst immer alles bemerkst, warst du wirklich blind. Wenn sie sitzt, ist es ziemlich offensichtlich dass sie kein Korsett trägt. Und Kaira trägt immer ein Korsett. Außerdem war das Erste, was Azvar gemacht hat, nachdem er vorhin zu ihr konnte, eine Hand auf ihren Bauch zu legen und zu prüfen, wo du sie verletzt hast."
"Du bist unmöglich", murmelte Reyu und ich lachte leise, legte den Kopf wieder an seiner Schulter ab.
"Ich freue mich für die beiden."
"Kinder sind ein Geschenk", stimmte er mir leise zu und ich wusste, dass wir beide nicht ausschließlich an den neuen caralischen Erben dachten. Ich fragte mich nur, ob er sich auch an die Vereinbarung halten würde, die wir in den Verliesen getroffen hatten.
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Burning Jade in a Sea of Amber
Fantasía// Band 2 // Knirschende Knochen, sickerndes Blut und qualvoller Tod - nichts als Alltag im Leben von Reyu, der seit dem Ende des Krieges in der lazalischen Kleinstadt Zintabur als Heiler im Hospital arbeitet. Kaum einer kennt ihn als mehr als einen...