09 • 3 | Valia

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Stimmengewirr und Gelächter umhüllte uns, der Geruch von frisch gebratenem Fleisch und Röstkartoffeln stieg mir in die Nase und lächelnd bedankte ich mich bei der Bedienung, die mir den Teller vor die Nase stellte und nach einem “Guten Appetit”, wieder davon wuselte. Ich wiederholte die beiden Wörter an Ashan gewandt und machte mich dann endlich daran, meinen grummelnden Magen zufriedenzustellen.

Doch ich wusste, dass Ashan etwas beschäftigte. Er war ungewöhnlich still und ich erwischte in öfter dabei, wie er mich mit nachdenklichem, besorgtem Blick musterte und hastig weg schaute, wenn ich ihn im Gegenzug ansah. Seine Antworten waren kurzangebunden und oft musste ich ihn mehrmals ansprechen, bis er überhaupt reagierte.

Zuerst dachte ich, er wäre sauer auf mich, und überlegte schon, was ich angestellt haben könnte, doch dann erinnerte ich mich an die Szene vorhin, als ich ihn und Reyu gesehen hatte. War es deswegen? Ashan hatte mir kein Wort darüber erzählen wollen.

Seufzend legte ich eine Hand auf seine. Das zog seine Aufmerksamkeit sofort an und er sah zu mir auf. Kopfschüttelnd nahm ich die Hand wieder weg. “Was ist los, Ashan?”

Er öffnete den Mund zu einer vermutlich ausweichenden Antwort, schien dann allerdings doch noch einmal darüber nachzudenken und zögerte kurz. Wie immer, wenn er unentschlossen oder nervös war, begann er mit dem Daumen über die Handfläche der anderen Hand zu reiben. “Du und Reyu”, platzte er schließlich heraus.

Na also. Hatte ich es mir doch gedacht.

“Ich habe ihn gefragt, ob etwas zwischen euch läuft, und er hat mir keine eindeutige Antwort gegeben. Ich dachte eigentlich, du hättest besseren Geschmack, als dich mit so einem Grimmvogel abzugeben, aber ihr wohnt zusammen. Seit zwei Monaten.” Herausfordernd hob er das Kinn. “Woher kann ich wissen, dass in dieser Zeit nichts passiert ist?”

Die Lüge lag mir schon auf der Zunge, die Versicherung, dass ich Reyu nicht ausstehen konnte und dass ich mich niemals länger mit ihm in einem Raum aufhielt als unbedingt nötig, dass ich liebend gerne bei ihm ausziehen würde. Doch dann wurde ich mir bewusst, dass es Ashan war, den ich hier vor mir hatte. Ashan. Ich konnte ihn nicht einfach anlügen.

Mein kurzes Zögern war scheinbar genug. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ich sah die Enttäuschung in seinen Augen, als er den Blick scheinbar beiläufig über die anderen Gäste in der Schankstube schweifen ließ. Vermutlich nahm er jedoch nichts davon wahr, sonst hätte er sicherlich kommentiert, dass hier typisch lazalisch nur Männer saßen und die einzigen Frauen die Bedienungen waren.

“Es ist nicht, wie du jetzt denkst”, begann ich mit meiner Erklärung und griff nun doch wieder vorsichtig nach seiner Hand. Ich war froh, dass er sie nicht wegzog. “Es war ein Kuss. Ein Kuss spät abends und am Morgen danach hat er kein Wort mehr mit mir gewechselt.” Die Demütigung darüber stach erneut in meiner Brust. “Wir sind wieder zurück auf Anfang. Zwischen uns läuft nichts mehr, hat es eigentlich noch nie.”

Ashan hatte seinen Blick wieder auf mich gerichtet und ich erwiderte ihn, sah ihm direkt in die Augen und hoffte, dass er mir glaubte.

“Er hat mit dir Schluss gemacht”, stellte er nach einigen Sekunden fest und ich wusste, welche Frage jetzt kommen würde. Ich wusste es und ich befürchtete es, denn mir war klar, dass ich ihn nicht anlügen konnte. Eine Spur Härte schlich sich in seine Stimme, als er die Frage schließlich aussprach. “Hast du Gefühle für ihn?”

Ich schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Wenn ich das wüsste, wären einige Dinge einfacher. Doch ich war mir ja selbst nicht sicher. Und was sollte ich Ashan sagen? Ich wusste, dass er schnell eifersüchtig wurde. Mir war bewusst, dass er Reyu sowieso schon nicht ausstehen konnte, wenn auch nur aus Prinzip, doch ich wollte ihn zu keinen Kurzschlusshandlungen treiben. Zumal mir ziemlich klar war, wer in einer Konfrontation überlegen wäre.

“Nein”, sagte ich leise. “Er ist mir nicht unwichtig, das gebe ich zu. Aber tiefer geht es nicht.”

Ashan musterte mich, suchte in meinem Gesicht nach einer Lüge. Ich ließ ihn machen, versuchte entspannt zu wirken und war dann doch erleichtert, als er nach einigen endlos langen Sekunden nickte.

“In Ordnung”, meinte er und strich mit dem Daumen über meinen Handrücken. “Danke.”

Ich lächelte, nickte und ließ mich dann von ihm nach Hause bringen. Wir verabschiedeten uns an der Tür mit einer kurzen Umarmung und er versprach, mich am nächsten Tag wieder vom Hospital abzuholen.

Selbstverständlich hielt er sein Versprechen - genauso wie am Tag darauf und am Tag nach diesem, bis es eigentlich zu einem täglichen Treffen wurde. Meistens gingen wir spazieren und aßen dann gemeinsam zu Abend oder frühstückten, je nachdem, welche Schicht ich übernommen hatte. Danach brachte er mich zur Tür und wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung.

“Danke”, meinte ich, wie immer, als wir vor Reyus Haustür standen und Ashan kurz davor war, sich wieder auf den Heimweg zu machen. Inzwischen war Athkazr schon untergegangen und nur das rote Licht Kaluurs erhellte die Nacht. “Auch dafür.” Lächelnd gab ich Ashan seine Jacke zurück, die er mir gegen den kühlen Herbstwind geliehen hatte.

“Du kannst sie behalten. Früher hattest du auch immer eine Jacke an, die du von mir geklaut hast, erinnerst du dich?”

“Natürlich. Wie könnte ich die vergessen. Egal, wie oft ich sie anhatte, sie hat immer noch nach dir gerochen.”

Ein kleines Grinsen erschien auf Ashans Gesicht und sofort spürte ich, wie mir die Hitze in die Wangen schoss. Sorgfältig verhinderte ich das Rotwerden mit meinen Fähigkeiten. “Ja ja, bild dir nur etwas darauf ein”, murmelte ich.

“Ich sollte mal in deinen Kleiderschrank schauen, vermutlich hast du sie sogar noch.”

Mit einem Schnauben boxte ich ihn gegen den Arm. “Ja, klar.”

“Na na, nicht so gewalttätig”, sagte er kopfschüttelnd und umschloss meine Faust mit seinen Händen, die sich angenehm warm um meine Finger schlossen.

“Ist dir nicht kalt?”, fragte ich und blinzelte im kalten Wind, der uns entgegen wehte.

Ashan schwieg kurz, grinste dann und schüttelte aber doch nur den Kopf. Er trat einen kleinen Schritt näher, um mich vor dem Wind abzuschirmen, und ließ damit seine sonst so ordentliche Frisur zerzausen.

“Woran denkst du?”, fragte ich neugierig und sah zu ihm auf.

“An einen viel zu schnulzigen Spruch, den ich jetzt sagen könnte.”

“Nein. Spar ihn dir. Ich weiß, dass ich so heiß bin, dass dir in meiner Gegenwart gar nicht kalt sein kann”, murmelte ich und grinste, als er lachen musste und fassungslos den Kopf schüttelte.

“Dein Selbstbewusstsein müsste man haben.”

Seine so stechend blauen Augen funkelten, als er lachte, und schickten damit kleine Blitze über meinen Rücken. Für einen Moment blieben meine Augen an seinen Lippen hängen.

“Du meinst, um sich Dinge wie das hier zu trauen?”, fragte ich leise und ohne weiter darüber nachzudenken, folgte ich dem Drang, der mich schon seit einer Weile vorwärts schob, indem ich mich auf die Zehenspitzen stellte und einen hauchzarten Kuss auf seine Lippen setzte.

Das Gefühl war so vertraut, so altbekannt, dass ich vielleicht einen winzigen Moment zu lang dort verharrte. Doch dann trat ich einen Schritt zurück und stellte fest, dass das Lächeln fest in mein Gesicht gebrannt war. “Bis morgen, Ashan.”

“Warte.”

Ich drehte mich wieder zu ihm um, rechnete schon fast damit und war doch etwas überrumpelt von der Wucht, mit der er wieder einen Schritt auf mich zu trat, mich mit einer Umarmung näher zu ihm holte und mich mit einem Kuss so einnahm, dass ich weder etwas anderes tun konnte noch wollte, als hier zu stehen und mich ihm hinzugeben.

Burning Jade in a Sea of AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt