9 | Oh werter Herr

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Keine fünfzehn Minuten später hauchte er mir ein "Wir sind da" in mein Ohr, was die vielen kleinen Härchen an meinen Armen zu Berge stehen ließ. Wieso verdammt, reagierte mein Körper auf ihn?

Tatsächlich sah ich ein Häuschen, was wohl das Ende unseres heutigen Reiseziels war. Wie froh ich war, endlich von dem Pferderücken absteigen zu können, um gleichzeitig auch von dem Typen hinter mir fortzukommen, konnte man sich denken.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich eines Tages auf einem Pferd reiten würde. Dafür hatte ich mich schlichtweg nie interessiert. Und das dann auch noch ohne Sattel und Zaumzeug. Vermutlich hätte ich demjenigen den Vogel gedeutet, der auch nur so etwas in die Richtung angedeutet hätte.

"Du bist etwas blass um die Nase." Der Kerl half mir von Gullfaxis Rücken und schaute mir dabei in die Augen. Na danke auch. Wäre ich nie drauf gekommen.

Seine Augen zogen mich kurzzeitig absolut in den Bann. In meiner Familie besaß jeder blaue Augen, aber so ein beeindruckend blau-graues Augenpaar wie er es hatte, kannte ich noch nicht.

Was war nur los mit mir? Ehe ich auf seine Aussage nichts mehr erwidern konnte, weil es zu spät zum Antworten wäre, sagte ich doch noch etwas.

"Ich musste zwischenzeitlich auch Todesängste ausstehen!"

Kurz zuckte es um seine Mundwinkel, dann wurde er aber wieder ernst. "Deshalb sind wir langsamer geworden."

"Woran hast du es gemerkt? Ich habe nichts gesagt."

Er tätschelte seinem Hengst leicht gegen den Hals. Danach ging das Kaltblut von alleine zu dem Platz, wo einiges an Heu auf dem Boden lag. Ich folgte Gullfaxi mit meinem Blick, und dachte mir, dass Greta sich dort auch wohlfühlen würde. Aber zuerst musste ich das natürlich noch mit dem Bauern abklären. Schließlich wollte ich nicht, dass Greta demnächst auf unseren Tellern landete. Wenn ich nur daran dachte, drehte sich mir der Magen um.

"Du musstest auch nichts sagen. Dein verklemmter Körper sprach für sich." Wir schauten uns abermals an, und plötzlich fand ich ihn nicht mehr so unsympathisch, wie ich mir die ganze Zeit einreden wollte. Ja, seine Gesellschaft konnte durchaus ungenießbar sein, doch ich war ebenso sehr froh über seine Anwesenheit.

"Dann hast du wohl eine gute Menschenkenntnis."

Er lachte knapp auf. "Jahrelange Erfahrung", entfuhr es ihm sonderbar kalt. "Ihr Menschen seid von Natur aus einfach ängstlicher. Und so durchschaubar."

Wie er über uns sprach! Gehässig, abwertend, und als könnte er keinen einzigen Menschen ausstehen. Mein Herz zog sich zusammen. Wie konnte diese Stimmung plötzlich so schnell kippen?

"Du sagst es schon wieder. Ihr Menschen", äffte ich ihn giftig nach. Wie hatte ich soeben noch denken können, dass ich ihn sympathisch fand? Lief da in meinem Oberstübchen was verkehrt? Nur weil er einmal halbwegs nett war ... "Ich frage dich noch einmal. Bist du etwa ein Stein?"

"Wieso weißt du eigentlich nicht wer ich bin?", stellte er mir beinahe verzweifelt eine Gegenfrage, ohne auf meine zu antworten. Jetzt ließ er sie schon zum zweiten Mal unbeantwortet, was mich gehörig nervte.

"Solltest du ein Prinz, angehender König, ein doofer Stein, oder sonst was sein, dann tut es mir leid, oh werter Herr, es nicht zu wissen. Du hast dich schließlich auch nicht bei mir vorgestellt, und ich bin keine angehende Geschichtsstudentin."

Der Idiot biss die Zähne hart aufeinander, sodass ich sie knirschen hörte. Ich wusste, dass er verärgert war, doch ehe er irgendetwas sagen konnte, stieß zum Glück der Bauer dazwischen.

Verknallt in einen Gott?! | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt