6 | Der Namenlose

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Zu meinem Glück dauerte es nicht lange, und der Blondhaarige kam zurück. Ich kannte noch immer keinen Namen, aber wenn ich ehrlich war, wollte ich es auch nicht wissen. Am liebsten wäre mir, wenn gar nichts von all dem wahr wäre.

"Zieh dich um", wies er mich an, als er mir ein braunes Kleid mit gewebten Ziegenköpfen darauf in die Hand drückte. Während ich das Kleidungsstück, aus Leinen gefertigt, an mich nahm, schnappte er sich den Krug und die Wolldecke.

"Wärst du so freundlich, und gehst in der Zwischenzeit in einen anderen Raum?", fragte ich spitz. Denn der Namenlose stand weiterhin in meiner Zelle und starrte mich an.

Jetzt hoben sich sogar seine Mundwinkel, und zu allem Überfluss lehnte er sich, für seine Art, lässig an die Gitterstäbe. Was sollte das jetzt?!

"Mein Großvater ist der Meinung, dass du aus der Zukunft stammst. Ich kann dir noch nicht so richtig trauen. Deshalb will ich sehen, ob du eine Frau bist. Ich bleibe hier stehen."

"Geht's noch?", stieß ich verärgert hervor, und verschränkte die Arme vor der Brust. Seitdem ich wusste, dass er nicht daran zweifelte, dass ich aus der Zukunft kam, und mein Magen ein klein wenig zu arbeiten hatte, war ich ihm gegenüber wieder mutiger geworden. Vorhin hatte er mich noch eingeschüchtert, aber jetzt war ich einfach nur erzürnt über sein Verhalten. "Das tust du bestimmt nicht!"

"Du kannst natürlich auch warten, bis mein Bruder dazukommt. Er wird sicher bald hier sein. Und falls das auch nichts wird, dann wird das vermutlich eine sehr kalte Nacht für dich. Die Wolldecke hast du schließlich nicht mehr." Er hielt sie provozierend in die Luft. "Deine Entscheidung."

"Was bist du eigentlich für ein widerlicher Idiot?", wollte ich empört von ihm wissen.

Einige Minuten standen wir einfach nur da und starrten uns abwartend in die Augen. Niemand wollte zuerst wegsehen. Vermutlich hätte ich das nicht sagen sollen, denn wer wusste schon, wie die Leute hier tickten? Aber mein Mundwerk war manchmal schneller, als mein Gehirn denken konnte.

Irgendwann seufzte mein Gegenüber schließlich auf. "Nur, dass du es weißt, aber ich gehe nicht weg. Ich traue dir wirklich nicht über den Weg. Das mit meinem Bruder gestern tut mir allerdings leid. Er hätte dir nicht so stark auf den Kopf schlagen sollen. Obwohl die Stille danach sehr angenehm war." Beim letzten Satz funkelten seine Augen schelmisch.

"Ich weiß echt nicht, in was ich hier reingeraten bin", fluchte ich. Doch dann zog ich mir ergeben mein Kleid über den Kopf. Immerhin präsentierte ich mich am See auch im Bikini. Was war also schon dabei, wenn ich mich vor diesem Vollpfosten in Unterwäsche zeigte?

"Was ist denn das?" Besagter Vollpfosten starrte mir ungeniert an die Brüste. Dabei schien er ehrlich irritiert.

"Das ist ein BH", brachte ich mühsam hervor. Ich wollte jetzt echt nicht eine Konversation mit ihm halten, während ich fast nackt vor ihm stand.

"Weg damit." Sein scharfer Tonfall ließ mich in meiner Bewegung innehalten. Ich war schon dabei gewesen, mir das neue Kleid über den Kopf zu ziehen.

"Sicher nicht." Er verlangte doch nicht von mir, dass ich ohne BH herumlief? Später würde ich noch einen Hängebusen bekommen, so wie meine Oma Herta zu sagen pflegte. Mit sechzig Jahren musste ich schließlich noch knackig und ansehnlich aussehen.

"Sicher doch." Nun kam er sogar auf mich zu. Ich wich zurück und schüttelte unmerklich den Kopf. "Entweder du ziehst das Ding jetzt aus, oder ich reiße es dir runter."

"Ich ... Ich ... Wieso?"

"Von mir aus behälst du das seltsame Teil unten an. Aber das Ding muss weg." Dabei zeigte er auf meinen weißen Spitzen-BH. "Das fällt zu sehr auf."

Verknallt in einen Gott?! | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt