55 | Übertrieben großer Hund

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Ich ließ die Worte des Fenriswolfes kurz sacken, doch ich konnte ihn sehr gut verstehen. Magni hatte mir während der Reise irgendwann von dem Fenriswolf, Tyr und Odin erzählt.

"Das kann ich verstehen", murmelte ich leise, doch der Wolf hörte mich. Ebenso wie Magni, der mich noch immer flehend anschaute.

"Willst du nun die zweite Aufgabe von Odin bewältigen, oder nicht?", fragte da der Wolf plötzlich erneut. Er öffnete sein Maul, und wieder sah ich zu, wie einige Speicheltropfen den Boden berührten.

"Magnolia", brummte Magni neben mir.

"Lass' mich bitte los", flüsterte ich, und schaute meinem Halb-Gott in die Augen. "Ich lasse mich nicht fressen."

"Oh, Magnolia. Du bringst mich um."

"Vertrau mir."

"Dir ja, aber ihm kein Stück." Er blickte zum Wolf, haderte mit sich.

"Bitte, Magni."

Nach schier endlosen Stunden ließ Magni mein Handgelenk sehr widerwillig los, woraufhin ich langsam auf den Fenriswolf zuging. Je näher ich ihm kam, desto schneller donnerte mein Herz gegen meinen Brustkorb.

Der Wolf beäugte jeden meiner Schritte, und als ich direkt vor ihm zum Stehen kam, atmete ich geräuschvoll aus. Ich formte meine zittrigen Hände zu einer Schale, und fing seinen Speichel auf.

Meine Augen wanderten langsam von meinen Händen zu seinem Auge. Er fixierte mich mit seinem Blick. Sein gelblich schimmerndes Auge ließ mich keine Sekunde los, was mich nur noch nervöser werden ließ. Verdammt, war das eine blöde Idee von mir gewesen! Besäße ich eine dritte Hand, würde ich mir eine Ohrfeige geben, damit ich endlich wieder zur Besinnung kam!

"Wenn ich jetzt Buh sage, fällst du dann um?", fragte mich der riesige Wolf mit seiner tiefen Stimme. War das etwa Schalk, den ich da heraushörte?

Ich konnte seinen strengen Atem nicht nur riechen, sondern ihn auch in meinem Gesicht spüren. Mein Körper stand seinem eindeutig viel zu nah. "Und was machst du mit meinem Speichel, jetzt, wo du ihn hast?"

"In mein Kleid wischen? Mir die Hände im Meer waschen? Vielleicht", wisperte ich zitternd.

"Hmmm", drang es dumpf aus seiner Kehle. Der Wolf neigte den Kopf ein Stück, legte sich dann gänzlich auf dem Felsen ab.

Ich stand bedröppelt neben ihm, schaute auf seinen Körper hinab. Vorhin hatte er sich hingesetzt, jetzt lag er sogar.

"Vielleicht sind Menschenfrauen doch mutiger, als ich dachte", meinte er unvermittelt.

"Uhm."

"Kannst du mich hinter meinem Ohr kraulen? Ich komme dort so schlecht hin."

Ich blinzelte kurz ungläubig, trat dann aber noch einen Schritt näher. Wenn er mich hätte töten wollen, dann wäre das schon längst geschehen. Also streckte ich vorsichtig meine Hand aus, spürte noch immer die Flüssigkeit auf meiner Handfläche, die ich kurz in meinem Kleid abwischte, und fasste dann das Fell des Wolfes an.

Hatte ich vorhin noch gedacht, dass es sich bestimmt rau anfühlte, so bestätigte er mir hiermit das Gegenteil. Obwohl er schon so viele Jahre alleine auf dieser Insel lebte, fühlte sich sein schwarzes Fell angenehm weich an. Und die Haut darunter war schön warm.

Ich kraulte den Wolf, wie einen Hund hinter seinem Ohr, und konnte mitansehen, wie er es genoss. Ohne es beeinflussen zu können, stahl sich ein echtes Lächeln auf mein Gesicht. Wäre er ein Familienhund, würde er vermutlich zusätzlich mit seiner Rute wedeln.

"Ich habe deine Schwester Hel kennengelernt", meinte ich plötzlich. Wieso ich auf einmal eine richtige Konversation mit dem Wolf aufbauen wollte, wusste ich nicht. Vielleicht, weil es mir leid tat, dass er stets alleine war? Wo er doch eigentlich nur ein übertrieben großer Hund war, der Liebe und Zuneigung brauchte?

Verknallt in einen Gott?! | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt