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-Erwins Sicht-

Ich hatte diesen Mann gebrochen.

Ich hatte Mike verletzt.

,,Ich werde die Kosten für die Klinik übernehmen", sagte ich. Mike und ich stiegen in mein Auto, nachdem wir die Klinik, in der er das Kind abtreiben lassen hatte, verlassen hatten. Dieses Mal hatte ich uns nicht von meinem Chauffeur fahren lassen.

Mike nickte zögerlich und blickte die ganze Autofahrt über auf seinen Schoß. Ich wandte meinen Blick immer wieder von der Straße ab, um ihn anzuschauen, selbst als wir über die Schnellstraße fuhren. Wir wechselten kein Wort miteinander.

Ich fuhr uns zu meiner Villa und noch bevor ich mein Auto parksicher in der Garage abgestellt hatte, stieg Mike aus und ging in meine Villa, ohne mir eines Blickes zu würdigen.

[...]

Ich fuhr zu meiner Firma und machte Überstunden. Die letzten Tage hatte ich meine Arbeit vernachlässigt, um bei Mike bleiben zu können. Ich hatte ihn nicht alleine lassen wollen, auch wenn er Abstand zu mir gehalten und kaum ein Wort mit mir gewechselt hatte. Ich zeigte Verständnis dafür.

Ich beantwortete ein paar E-Mails und las mir Bewerbungen durch. Eine Agentur hatte neue Models, für die es werben wollte. Während ich mir die Bewerbungen las, blickte ich immer wieder zu meinem Handy. Es waren schon acht Stunden vergangen, seit ich hier war. Ich schloss die E-Mail, nahm mein Handy in die Hand und lehnte mich zurück.

,,Wie geht es dir, Mike?", fragte ich, nachdem Mike meinen Anruf angenommen hatte. ,,Bist du immer noch auf der Arbeit?", wollte Mike wissen. Er verließ seit den letzten Tagen kaum sein Zimmer, daher wusste er nicht, ob ich zu Hause war oder nicht. ,,Ich komme erst heute Abend wieder, Mike."

Ich lauschte der Stille. Mike wollte nicht mit mir sprechen - Er konnte nicht mit mir sprechen.

,,Hast du schon etwas gegessen?", fragte ich nun. ,,Karina hat mir eine Kleinigkeit auf das Zimmer gebracht", antwortete Mike. Ich seufzte und versuchte es erneut. ,,Heute Abend wird ein kleines Feuerwerk veranstaltet. Ich werde einen Tisch in einem Restaurant reservieren, aus dem wir uns das Feuerwerk ansehen können, wenn du das möchtest", schlug ich vor. Mike schwieg, bevor er zu sprechen begann: ,,Mir fehlt die Kraft dazu, tut mir leid."

,,Meine Bediensteten werden gleich nach Hause gehen. Kommst du alleine zurecht?", wollte ich wissen. ,,Ich komme zurecht", sagte Mike. ,,Wenn du etwas brauchst oder wenn etwas ist, dann ruf mich bitte an."

Ich beendete unser Telefonat und versuchte, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Es dauerte nicht mehr lange, bis ich endlich fertig war. Ich wünschte meiner Sekretärin einen schönen Abend und fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage, in der mein Auto stand. Doch anstatt nach Hause zu fahren, verbrachte ich ein Bruchteil meiner Zeit in der Stadt.

Ich kaufte für Mike eine Kleinigkeit beim Bäcker, da er die letzten Tage kaum etwas gegessen hatte. Während des Essens war er oft aufgestanden und hatte das Badezimmer aufgesucht, weil ihn eine plötzliche Übelkeit überkommen hatte. Seine Schwangerschaft hatte ihn viel Energie gekostet und ich wollte, dass er wieder bei Kräften war.

Und auch wenn Mike bereits eine teure Uhr besaß, die ich ihn gekauft hatte, stattete ich einen kurzen Besuch bei einem Juwelier ab, der auf dem Weg lag. Goldschmuck sah an Mike wirklich gut aus. Ich schaute mich in dem Laden um, bevor ich schließlich nach Hause fuhr.

Ich parkte mein Auto in der Garage und machte mich auf den Weg zu Mikes Schlafzimmer.

Es dauerte einen kleinen Moment, bis Mike mir die Tür öffnete. Tiefe Augenringe lagen unter seinen Augen und er wirkte so, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen und in meine Arme fallen.

,,Darf ich eintreten?", fragte ich, obwohl das Zimmer, in dem er wohnte, meines war. Mike nickte, wenn auch zögerlich, und ließ mich eintreten. Er schloss die Tür hinter uns, als ich die Törtchen, die ich ihm beim Bäcker gekauft hatte, auf den kleinen Tisch stellte, an dem zwei Sessel standen. ,,Es würde mich freuen, wenn du wenigstens eine Kleinigkeit isst, Mike."

,,Ich habe keinen Hunger."

Ich setzte mich auf den Sessel. Mike hingegen stand hilflos im Raum und sah mich an. ,,Setz dich bitte zur mir", bat ich ihn und deutete auf den freien Sessel neben mich. Mike setzte sich zu mir, legte seine Hände in seinen Schoß und blickte auf die Kleinigkeiten, die ich ihm mitgebracht hatte. ,,Bitte iss etwas, Mike."

Mike erwiderte nichts, er starrte reglos vor sich hin. Seine Augenlider waren angeschwollen. Er hatte geweint. ,,Erwin...", brachte Mike beinahe schon kraftlos hervor. ,,Ich bin ein sehr geduldiger Mann, ich habe die ganze Nacht Zeit."

Mike antwortete mir nicht. Ich seufzte und versuchte es anders. ,,Wenn du nicht mit mir reden kannst, werde ich dir einen privaten Psychologen zur Seite stellen. Du hast eine Abtreibung hinter dir, es ist wichtig, dass du mit jemand professionellen darüber sprichst", erklärte ich.

,,Bist du glücklich darüber, dass es nicht mehr da ist?"

Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, was Mike mir mit seinen Worten sagen wollte. Tränen liefen ihn über die Wangen und ich wusste, dass ich ihm nicht die Antwort geben konnte, die er sich wünschte. Auch wenn das Kind nur wenige Wochen alt gewesen war - Mike war das egal. Es war sein Kind, das er nicht mehr auf die Welt bringen konnte.

Ich schloss meine Augen, erhob mich von dem Sessel und nahm Mike in meine Arme. Mike vergrub sein Gesicht in meiner Brust und legte seine Arme um mich.

,,Ich wünschte, ich könnte dir gerecht werden und dir all das geben, wonach du dich sehnst."

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Nothing more than... [ErwinxMike]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt