Kapitel 18 - Teil 1

8 1 0
                                    

-Cassie-

Unruhig trat ich auf der Stelle und musterte das unscheinbare, aber seit fast zwei Jahrzehnten verlassene Einfamilienhaus. Ich gönnte Bella die Ruhe und wollte ihr alle Zeit geben, die sie brauchte, aber Delia hatte mich durchaus neugierig gemacht. Sie war zuerst nach draußen getreten und hatte Ryan und mir erklärt, dass Bella soeben ganz schön aufwühlende, wenn nicht sogar schockierende Informationen erhalten hatte. Delia war dabei recht vage geblieben, was meine Neugierde natürlich nur befeuert hatte. Jetzt wollte ich auch wissen, was die wahre Geschichte von Bellas Eltern war, und hoffentlich würde ich das bald erfahren.

Bella hatte versprochen, uns gleich davon zu erzählen, doch zunächst bräuchte sie ein wenig Zeit für sich, um alles auf sich wirken zu lassen. Ihr Anblick hatte mich sehr mitgenommen und zutiefst beunruhigt. Bella war in Gedanken gewesen, beinahe apathisch, und der Blick ihrer blauen Augen war noch trauriger als sonst gewesen. Was auch immer sie erfahren hatte, es musste niederschmetternd gewesen sein. Sie tat mir leid und ich wollte sie trösten. Das würde ich auch, sobald sie aus diesem Haus kam.

Ein wenig wunderte ich mich, dass Ryan noch nicht herausgekommen war. Hatte er etwas Wichtiges mit Bella zu besprechen oder wollte er sich ebenfalls das Haus genauer ansehen? Gerade letzteres ergab Sinn. Scheinbar hatte so gut wie jeder Dämon von den Geschehnissen um Bellas Eltern gehört, doch für die meisten war es eher eine vage Erzählung, fast schon eine Legende. Natürlich nutzte Ryan die Gelegenheit, sich dessen Schauplatz anzuschauen.

Ich hoffte nur, dass die beiden bald fertig waren. Nicht, weil ich es so eilig hatte, Ryans Meister aufzusuchen. Der lief uns schließlich nicht weg. Nein, vor allem wollte ich hier weg, um Delia so schnell wie möglich zu verabschieden. Sie hatte immerhin bekommen, was sie wollte, und konnte uns nun hoffentlich unserer Wege gehen lassen. Obwohl sie scheinbar ihr Wort gehalten und Bella nicht in eine Falle gelockt hatte, misstraute ich ihr immer noch. Ich wurde das komische Gefühl einfach nicht los, dass sie Gefahr bedeutete.

„Hey, meinst du, das dauert noch lange bei Bella?", sprach mich Delia plötzlich von der Seite an und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Wenn man vom Teufel sprach oder besser gesagt, an ihn dachte... Ich warf der hübschen Dämonin einen skeptischen Blick zu. Sie wirkte noch unruhiger als ich, wobei ich nicht verstand, was sie überhaupt noch von uns wollte. Warum war sie so sehr auf Bella fokussiert? „Keine Ahnung, was die beiden so lange darin machen. Ich glaube, ich gehe mal nachsehen", bot ich schulterzuckend an und wollte die günstige Gelegenheit nutzen, um mich von Delia zu entfernen.

Ich zuckte erneut vor Schreck zusammen, als mich Delia mit Bestimmtheit zurückhielt. Sie packte mein Handgelenk und ich spürte sogleich, dass ich ihrem überraschend starken Griff nicht entkommen konnte. War es nun so weit? Griff Delia uns an? Mit ihren nächsten Worten hatte ich jedoch nicht gerechnet. „Warte! Ryan ist bei ihr? Die ganze Zeit schon?", fragte sie mit einer Dringlichkeit, die ich beim besten Willen nicht verstand.

„Äh, ja. Ich habe gedacht, er muss etwas mit ihr besprechen oder will sich ebenfalls das Haus anschauen...", antwortete ich verwirrt. Warum war Delia plötzlich so aufgeregt? Sie wirkte noch unruhiger als zuvor und stieß wirsche Flüche aus. „Oh, das ist schlecht...Das ist wirklich schlecht...", sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir, bevor sie in Richtung des Hauses stürmte. Ich verstand gar nichts mehr, aber instinktiv setzten sich meine Beine in Bewegung, um ihr zu folgen.

Also stürmte ich nach ihr in das verlassene Haus und sah dabei zu, wie Delia hektisch in jedes Zimmer sah. Mein Verstand wurde noch immer von Verwirrung regiert, aber eine Sache wurde mir nun klar: Bella und Ryan waren nicht hier...Nicht mehr...Als Delia diesen Fakt für sich bestätigt hatte, gab sie ihre hektische Suche auf und fluchte erneut ungestüm. „Was hat das zu bedeuten? Wo sind sie?", fragte ich sie drängend, wobei in diesem Moment meine Angst vor Delia zweitrangig war.

„Der Bastard muss sie überwältigt und mitgenommen haben!", stieß diese zornig aus und ließ mich in erneuter Verwirrung zurück. „Welcher...Meinst du Ryan?", fragte ich irritiert, während ich in meinem Kopf allmählich eins und eins zusammenzählte. „Wer denn sonst?! Gibt es noch einen ominösen Fremden mit zwielichtigem Meister, dem ihr in den letzten drei Tagen vertraut habt?", gab Delia harsch zurück. Delia war in ihrer Wut wahrlich furchteinflößend, aber ich war viel zu überrumpelt, um vor ihrem aggressiven Tonfall zurückzuschrecken.

Ich begann zu verstehen, wobei die sich wie ein Puzzle zusammensetzenden Erkenntnisse kaum schrecklicher sein konnten. Ich hatte von Anfang an recht gehabt mit Ryan! Er hatte tatsächlich böse Hintergedanken! Er hatte Bella entführt, um...Diesen Teil hatte ich noch nicht verstanden, aber Delia wusste vielleicht mehr. „Warum hat er sie verschleppt? Wo bringt er Bella hin?", fragte ich Delia eilig. Diese schnaubte verächtlich.

„Na zu seinem verdammten Meister! Ryan ist nur ein folgsamer Lakai, der diesem Mistkerl die Stiefel leckt!", entgegnete Delia geradezu gehässig. Ich hatte immer noch zu wenig Informationen, um die Situation in Gänze zu verstehen. „Und was will dieser Meister von ihr?", hakte ich weiter nach. Delia musterte mich mit hartem Blick. „Ihr hattet keine Ahnung, auf wen ihr euch da einlasst, oder? Nicht mal nach dem Namen dieses Meisters habt ihr gefragt, obwohl das wenig geholfen hätte. Ihr wart völlig ahnungslos und seid Ryan in die Falle gegangen!", antwortete Delia vorwurfsvoll.

Delia hatte recht. Wir waren zu unvorsichtig, zu vertrauensselig gewesen, aber ich hatte keine Zeit für Schuldgefühle! „Ich weiß, dass wir es verbockt haben, aber Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter! Klär du mich doch auf, was es mit Ryans Meisters auf sich hat!", forderte ich Delia auf und wunderte mich gleichzeitig, mit welcher Unerschrockenheit ich mit ihr sprach.

„Der Name des Mannes ist Kato Kogami, aber er ist besser bekannt als Der Sammler. Ein mächtiger Dämon, dessen Kräfte es ihm erlauben, die Kräfte von anderen Dämonen zu stehlen. Durch Berührung kann er ihnen Kraft entziehen und übernimmt die Fähigkeit seines Opfers. Je mehr Kraft er raubt, desto länger hält dieser Effekt an.

Er kann die Fähigkeiten der Dämonen jedoch auch dauerhaft stehlen, indem er ihnen die gesamte Kraft entzieht. Das Resultat davon ist - du kannst es dir wahrscheinlich schon denken - der Tod des jeweiligen Dämonen. Auf diese Weise hat der Sammler eine beträchtliche Menge an unterschiedlichen Fähigkeiten gestohlen, was ihn zu einem unheimlich mächtigen Dämonen macht", erklärte Delia, während mir bei jedem Wort übler wurde.

„Und das möchte er auch mit Bella machen? Ihre Kräfte stehlen und sie damit...umbringen?", sprach ich die grausame Vermutung aus, deren ich mir eigentlich schon sicher war. „Du hast es erfasst! Der Sammler ist immer auf der Suche nach seltenen und mächtigen Kräften und du musst wissen, dass Bella wirklich mächtig sein wird, sobald man ihr Siegel löst! Vielleicht tötet er sie, während wir gerade reden!"

Der Wink mit dem Zaunpfahl war angekommen. Delias Eile übertrug sich augenblicklich auf mich, als ich den Ernst der Lage erkannte. „Dann lass uns schnell gehen! Weißt du, wo dieser Sammler lebt?" Delia musterte mich eingehend. „Sicher, dass du dorthin willst? Ich habe dir gerade gesagt, wie mächtig Kato ist, und du bist nur ein schwacher Mensch. Es wäre Selbstmord für dich, dorthin zu gehen!", erinnerte mich Delia noch einmal an das, was ich selbst schon wusste.

Selbstmord...Hatte so nicht alles angefangen? Bella hatte sich umbringen wollen und jetzt dachte ich ernsthaft darüber nach, mein Leben zu riskieren, um ihres zu retten. Nein, ich dachte nicht darüber nach, ich hatte meinen Entschluss bereits getroffen! Zu viel war in den vergangenen Tagen passiert, um Bella nun im Stich zu lassen! Ich hatte ihr ein Versprechen gegeben! Ich hatte ihr versprochen, ihr Leben zu retten, und nun kannte ich immerhin die konkrete Gefahr.

War es das, was die Todesaura angekündigt hatte? Hatte sie sich von Anfang an nicht auf Bellas Selbstmord sondern auf die Gefahr durch den Sammler bezogen? Mir fehlte die Zeit, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen. „Ich lasse Bella nicht im Stich! Ich muss dringend zu ihr, auch wenn ich vielleicht nicht viel ausrichten kann! Also, kennst du den Weg?"

Verflucht - Der TodespaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt