Kapitel 15 - Teil 1

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-Bella-

Wie hypnotisiert folgte ich dem seltsamen Schauspiel, das sich direkt vor meinen Augen abspielte. Ganz unbefangen waren wir ins Gasthaus gegangen und hatten den dämonischen Besuchern gewiss keinen Grund zum Ärger gegeben. Dennoch war diese seltsame Dämonenfrau unvermittelt auf uns zugekommen und lieferte sich nun ein Blickduell mit Ryan. Alles daran erschien mir merkwürdig. Ich war gewiss nicht sonderlich bewandert in Bezug auf soziale Interaktionen, aber selbst ich merkte, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

Wer war diese Dämonin überhaupt? Sie hatte offensichtlich alleine im Gasthaus gesessen, doch hier gab es mehr als genug Platz für uns alle oder was verstand ich hierbei nicht? Ryan schien irgendetwas zu wissen, das Cassie und ich bisher übersahen. Zumindest war er der Dämonin instinktiv gegenübergetreten und hatte sie zum Gehen aufgefordert. Allerdings schien sie alles andere als gewillt, dem nachzukommen. Ihr stummes Blickduell dauerte weiter an, wobei noch unklar war, wer gewinnen würde.

Überraschenderweise war es tatsächlich die Dämonin, die zuerst das Schweigen brach. Ich sah deutlich die Veränderung im unergründlichen Blick ihrer schwarzen Augen. Die undurchdringliche Härte darin verschwand und machte einem spielerischen, aber zugleich nachdenklichen Ausdruck Platz. „Warum sollte ich gehen, wenn es doch gerade spannend wird? Na los, setzt euch. Lasst euch von mir nicht stören“, entgegnete die Fremde plötzlich seltsam freundlich. Dennoch meinte ich, einen beinahe provokanten Unterton in ihrer recht tiefen, melodischen Stimme herauszuhören.

Ryan musterte sie skeptisch, als sei er längst noch nicht von ihrer Friedfertigkeit überzeugt, lenkte dann aber ein. Er nahm in einer Sitznische Platz und bedeutete Cassie und mir mit einer Handbewegung, es ihm gleichzutun. Stumm setzte ich mich zu ihm und warf Cassie dabei einen hilfesuchenden Blick zu. Allerdings schien Cassie ebenso wenig zu wissen, was sie von dieser seltsamen Situation halten sollte, wobei sie ihre Unruhe weitaus besser zu verbergen wusste.

Damit war die unangenehme Situation aber noch lange nicht überstanden. Ich traute meinen Augen kaum, als sich die fremde Dämonin einfach ungefragt zu uns setzte. Sie hielt zwar einen respektvollen Abstand zu uns, aber wir drei waren viel zu perplex, um sofort darauf zu reagieren. Das alles war einfach zu absurd. Letztendlich war es erneut Ryan, der zuerst die Sprache wiederfand. „Ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber wir wären jetzt gerne unter uns. Wäre es vielleicht möglich, dass du…“, setzte er betont höflich an, wurde aber einfach von der Dämonin unterbrochen.

„Ach, sparen wir uns doch die Höflichkeiten! Ich bin viel zu neugierig, um jetzt zu gehen! Ich meine, man sieht nicht alle Tage einen Menschen auf dieser Seite der Mauer. Keine Sorge, ich bin euch nicht feindselig gesinnt, aber es würde mich durchaus interessieren, eure Geschichte zu hören. Betrachtet mich einfach als zufällige Bekanntschaft, als unbeteiligte Gesprächsteilnehmerin!“, erklärte die Dämonin, wie ich fand, beinahe frech. Selbst ich wusste, dass es sich nicht gehörte, sich ungewollt einer Gesprächsrunde aufzudrängen.

Ich sah, wie sich Ryans Miene verhärtete. Er schien beinahe gewaltsam seine Zähne aufeinanderzubeißen, während sein Blick geradezu gequält wirkte. „Sicher. Bleib doch“, brachte er mit gepresster Stimme hervor, die kaum seine inneren Aggressionen verbergen konnte. Weder Cassie noch ich protestierten, denn eines hatten wir inzwischen verstanden: Es gab einen eindeutigen Grund, warum Ryan dieser unbekannten Frau ohne weiteres nachgab.

Sie musste stärker sein als er, deutlich sogar. Alles an ihrem Verhalten und Auftreten stützte diese These. Diese Frau war durchaus gefährlich und das wusste sie. Sie wusste, dass sie sich nahezu alles leisten konnte, denn im Zweifelsfall wären wir ihr hoffnungslos unterlegen. Theoretisch gab es noch die Wächter, die Regelverstöße – und das umfasste vermutlich jegliche Straftaten – sühnen würden, doch ich wusste nicht, inwieweit das auf uns zutraf. Cassie war immerhin ein Mensch und ich gehörte auch nicht wirklich hierher. Vielleicht war die Sachlage für uns anders.

Verflucht - Der TodespaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt