-Bella-
„Zu den Wächtern?“, wiederholte ich fassungslos, was Cassie gerade gesagt hatte. „Zu den Wächtern“, bestätigte sie noch einmal. „Wie soll das überhaupt gehen?“, wandte ich ein. „Leben sie nicht in einer eigenen Dimension oder so?“ Delias Räuspern ließ mich zu ihr herumschrecken. Ich hatte beinahe vergessen, dass sie auch anwesend war, als Cassie und ich diesen innigen Moment gehabt hatten. An den Kuss konnte ich gerade aber nicht denken. Cassies letzte Aussage hatte mich viel zu sehr verwirrt.
„Das stimmt zwar, aber keiner hat gesagt, dass es zu dieser Dimension keinen Eingang gäbe“, antwortete Delia nun auf meine Frage. Irritiert blickte ich sie an. „Einen Eingang? Zur Dimension der Wächter? Wie ist das? Kann man um Audienz bei ihnen bitten?“, hakte ich mit gerunzelter Stirn nach. Ein spöttisches Lächeln umspielte Delias Mundwinkel und sie schüttelte den Kopf.
„Ganz so einfach ist es dann doch nicht!“, entgegnete sie. „Die Menschen beten die Wächter zwar an und haben dementsprechend großen Respekt vor ihnen, aber denkt ihr, sie haben Lust mit jedem dahergelaufenen Dämonen über jedes Detail der Gesetze zu diskutieren? Ich habe noch nie davon gehört, dass man einfach so mit den Wächtern sprechen darf.“ Diese neuen Informationen steigerten meine Verwirrung nur noch.
„Und wie verhindert man das? Ist der Eingang bewacht?“, fragte ich nach. Es wäre auch unlogisch, wenn man ohne Weiteres in die Dimension der Wächter, der Herrscher über Menschen und Dämonen, spazieren könnte. Mit Wachen mussten wir rechnen, aber es gab doch bestimmt einen Weg, zu den Wächtern vorgelassen zu werden. „Das kann man wohl sagen! Auf die bestmögliche Weise!“, antwortete Delia mit einem schiefen Grinsen. Sie schien es zu genießen, uns aufklären zu dürfen.
„Dieser Eingang, von dem die Rede war, liegt auf der anderen Seite der Mauer, im Reich der Menschen! Denkt einmal darüber nach, das ist genial! Die Menschen beten ihre Götter an und beschützen den Eingang vor unbefugten Eindringlingen, während sie es selbst nie wagen würden, ihn ohne Erlaubnis der Wächter zu betreten. Die Dämonen dagegen müssten erst ins Menschenreich eindringen, was ihnen von den Wächtern schließlich streng verboten wurde. Sofern jemand nicht explizit von den Wächtern herbestellt wird, aber das ist meines Wissens nach noch nie passiert“, erklärte Delia die Situation.
Cassie und ich wechselten schockierte Blicke. Wir wussten, von welchem Ort die Rede war! „Der Kamiyama!“, sprach Cassie das aus, was wir wohl beide dachten. Der heilige Berg tief im Fuji-Gebirge wurde im Volksmund auch „Götterberg“ genannt und war das Ziel vieler religiöser Pilgerfahrten. Ein Höhleneingang war für Besucher gesperrt und stand dauerhaft unter Bewachung. Ein Prophet sollte dort vor vielen Jahrzehnten eine Botschaft der Götter erhalten haben, so sagte es zumindest jener Glaube, dem ich mich nie wirklich angehörig gefühlt hatte.
All das war völliger Unsinn für mich gewesen, bis jetzt. Ich hatte auch gehört, dass es sich bei der Höhle um eine gewöhnliche, völlig unspektakuläre Höhle handelte, die lediglich aufgrund der Einsturzgefahr bewacht wurde. Man wollte es angeblich nicht riskieren, dass übereifrige Pilger und neugierige Touristen von herabfallenden Felsbrocken erschlagen wurden oder sich gar darin verirrten. Mit den neuen Informationen allerdings ergab sich ein gänzlich neues Bild.
Die Höhle war tatsächlich ein besonderer Ort, nämlich der Zugang zu einer anderen Dimension! Wer wusste davon? Wohl kaum die zahlreichen Gläubigen und Touristen, genauso wenig wie die ahnungslosen Wachen, die nur ihre Pflicht ausführten. Kannte die Regierung die Wahrheit? Nun ja, wenn Cassies Vater von dem Eingang zu einer fremden Dimension auf ihrem Gebiet wusste, hatte er seiner Tochter zumindest nichts davon erzählt.
Cassie und ich wechselten einen langen Blick. Wir wussten, was zu tun war. „Selbstverständlich ist es Dämonen verboten, die Grenze zu übertreten, aber ich bin ein Mensch und muss sowieso zurück auf meine Seite und Bella ist dort aufgewachsen. Wir sind das Schlupfloch dieser Regel!“, wandte sich Cassie nun an Delia, der das Lächeln augenblicklich verging.
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Verflucht - Der Todespakt
FantastikIn einer Welt, in der Menschen und Monster gleichermaßen leben, scheint es keinen Zweifel an der Zuordnung von "gut" und "böse" zu geben. Durch eine feste Grenze getrennt, führen Menschen und Dämonen eine weitestgehend friedliche Koexistenz, doch de...