Kapitel 16 - Teil 2

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Nachdem wir uns noch über einige Belanglosigkeiten austauschten, war es schließlich an der Zeit, schlafen zu gehen. Ich musste zugeben, dass Bella eine wirklich angenehme Gesprächspartnerin war. Sie war intelligent und empathisch. Sie hatte zwar wenig Erfahrung mit sozialen Interaktionen, aber vielleicht war es gerade das, was sie ihre Worte mit größter Vorsicht wählen ließ, als fürchte sie jederzeit, ihren Gesprächspartner verärgern zu können. Trotz meines Misstrauens gegenüber Delia und den Gefahren, die wie eine dunkle Wolke über uns schwebten, schlief ich seltsam glücklich ein. Hätte es nur so bleiben können…

Meine Träume waren wirr und unverständlich, bis zu einem gewissen Punkt. Es kam mir vor wie ein gewaltiges Déjà-vu. Grauer Asphalt unter mir, drückende Hitze. Ich befand mich in jenem paradoxen Zwischenzustand, in dem ich genau wusste, dass ich träumte, aber trotzdem nicht aufwachen oder den Traum verändern konnte. Ich wusste, was als nächstes passieren würde…Erwartungsvoll hob ich meinen Blick vom Grau der Straße und sah gerade noch, wie das Auto auf mich zuraste und im nächsten Moment in meinen Körper krachte.

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Nach Luft schnappend wachte ich auf und setzte mich unwillkürlich im Bett auf. Aufgeschreckt durch die plötzliche Bewegung wurde nun auch Bella aus dem Schlaf gerissen. „Cassie…Was ist…“, setzte sie völlig verwirrt an, bis ihr Verstand aus dem Halbschlaf erwachte. „Wieder ein Albtraum?“ Allmählich beruhigte sich meine Atmung. „Derselbe“, brachte ich schließlich hervor und wechselte einen beunruhigten Blick mit Bella. Derselbe Traum an zwei aufeinanderfolgenden Tagen! Das musste ein neuer Rekord sein!

„Na ja, jeder hat Albträume. Das ist vielleicht ein großer Zufall, aber…“, setzte Bella unsicher an, wusste dann aber selbst nicht, wie sie fortfahren sollte. Ihr Versuch, mich aufzumuntern, war zwar süß, brachte aber wenig. Nur zu gerne wollte ich weiterhin die Coole und Unbeeindruckte spielen, aber an diesem Punkt wurde mir alles zu viel. „Das ist aber kein normaler Albtraum! Es ist immer derselbe! Was ist, wenn das das erste Zeichen für meinen geistigen Verfall ist? Wenn ich wirklich langsam verrückt werde?“, entgegnete ich heftig und spürte im selben Moment die Feuchtigkeit in meinen Augen.

„Du wirst nicht verrückt, Cassie! Wir werden deinen Fluch los und dann wird alles gut! Du hast selbst gesagt, dass wir das schaffen, und ich glaube auch daran. Ich möchte daran glauben!“, redete Bella weiterhin beruhigend auf mich ein, während die ersten Tränen über meine Wangen rollten. Ich musste ihr nicht sagen, dass es sich um keinen Fluch handelte sondern um etwas anderes. Das wussten wir beide.

Es war nicht zu übersehen, dass Bella völlig überfordert mit der Situation war, doch sie gab ihr Bestes. Bella rutschte näher an mich heran und legte zunächst zögerlich einen Arm um meine Schulter. Sie hatte noch immer Berührungsängste, doch als ich ihre Intention erkannte, ergriff ich die Initiative und schloss sie in eine Umarmung. Bella stieß einen überraschten Laut aus, doch ich nahm keine Rücksicht darauf. Ihre unwillkürlich verkrampften Muskeln entspannten sich nach wenigen Momenten und ich spürte ihre Hände über meinen Rücken gleiten, als sie die Umarmung zaghaft erwiderte.

So verharrten wir eine gefühlte Ewigkeit, ohne auch nur ein Wort zu sagen, doch das war mir gerade recht. Von mir aus konnte diese Umarmung ewig andauern. Keine Delia, keine sich wiederholenden Albträume und keine den Tod ankündigende Aura. Doch das Leben musste weitergehen und so lösten wir uns schließlich voneinander. Bella sichtlich peinlich berührt und ich wieder einigermaßen gefasst. Ich konzentrierte mich auf das, was unmittelbar vor uns lag, und gewann so die Kontrolle über meine Emotionen zurück.

Es war bereits zu spät, um wieder schlafen zu gehen, und so bereiteten wir uns auf einen hoffentlich aufschlussreichen Tag vor. Im besten Fall würden wir beide die Informationen erhalten, nach denen wir uns sehnten, und wenn Ryans Meister mich außerdem von meinen schrecklichen Fähigkeiten befreien konnte, wäre das natürlich noch besser. An den schlimmsten Fall wollte ich gar nicht denken…

Wir trafen Ryan unten im Gasthaus und nahmen gemeinsam ein schlichtes Frühstück ein. Ich konnte ohnehin vor Aufregung kaum einen Bissen herunterbekommen und Bella schien es ähnlich zu gehen. Auch wenn Ryan immer noch alles andere als glücklich darüber war, warteten wir schließlich auf Delia. „Vielleicht kommt sie gar nicht. Wie vertrauenswürdig kann so jemand schon sein“, wandte ich gerade ein, als plötzlich eine bekannte Stimme ertönte.

„Jemand wie ich? Du solltest nicht vorschnell über Dinge urteilen, von denen du keine Ahnung hast“, empfahl mir Delia mit beängstigend ruhiger Stimme. Augenblicklich stellten sich die feinen Härchen auf meinen Armen auf und ich fand es umso unverständlicher, dass Bella mit solch einer Person gehen wollte. Dann musste ich jedoch zugeben, dass ich mich auch auf Ryans Meister einlassen würde, der ebenso ein völlig Fremder war, um meine lästigen Kräfte loszuwerden.

Ich ging nicht auf Delias Kommentar ein und warf stattdessen Bella einen bedeutungsvollen Blick zu. Als diese verstand, dass sie das Reden übernehmen musste, trat sie hektisch einen Schritt nach vorne. „Danke, dass du tatsächlich gekommen bist! Das bedeutet mir wirklich viel“, teilte sie Delia mit, deren Mundwinkel sich zu einem schelmischen Lächeln verzogen. „Natürlich bin ich gekommen! Ich halte mein Wort! Also, wollen wir uns das Haus anschauen? Ich führe dich zumindest dorthin, wobei es mir egal ist, wie viele von euch noch mitkommen wollen“, erklärte Delia schulterzuckend.

Bella gab eilig ihre Zustimmung und bald darauf folgten wir Delia durch das Dorf. Zu meiner Überraschung begleitete uns sogar Ryan. Auch wenn es mich beunruhigte, Bella mit Delia alleinzulassen, ließ ich mich bewusst zurückfallen, bis Ryan und ich hoffentlich außer Hörweite waren. Gleichzeitig achtete ich jedoch darauf, dass ich Bella und Delia nicht aus den Augen verlor. „Du kommst auch mit? Ich dachte, du hältst Delia für eine gefährliche Mörderin?“, fragte ich Ryan mit gesenkter Stimme.

„Ich halte sie nicht nur für eine Mörderin, sondern sie ist eine!“, zischte Ryan mit vorsichtigem Blick zu Delia, die sich völlig unbehelligt mit Bella unterhielt. „Aber gerade deswegen begleite ich euch! Ich weiß nicht, was Delia für ein Spiel spielt, aber es kann nicht gut für uns sein!“ Widerwillig musste ich einsehen, dass Ryan in diesem Punkt recht hatte. „Ich weiß! Ich kann vielleicht nicht kämpfen, aber ich werde Bella ganz bestimmt nicht aus den Augen lassen! Sie musste schon genug durchmachen, um jetzt in die Machenschaften einer Verbrecherin zu geraten!“, entgegnete ich entschlossen.

Verwirrung zeigte sich in Ryans Blick, während er mich skeptisch musterte. „Du traust ihr auch nicht?“, hakte er verwundert nach, als sei es ausgeschlossen, dass wir denselben Gedanken teilten. „Glaub es oder nicht, aber wir beide können auch einmal einer Meinung sein!“, erwiderte ich sarkastisch. „Außerdem wirkst du plötzlich richtig vertrauenswürdig gegen diese Delia, aber das ist wirklich nicht schwer!“

Ryan stieß ein verächtliches Schnauben aus. „Ich habe euch von Anfang an keinen Grund gegeben, mir zu misstrauen, aber du hast dich sofort auf mich eingeschossen!“, beschwerte er sich und irgendwie hatte Ryan auch recht. Ich stieß ein gedehntes Seufzen aus. „Das stimmt wohl. Ich bin einfach ein sehr vorsichtiger Mensch und vielleicht etwas schnell darin, über Leute zu urteilen. So war es schließlich auch bei Bella. Können wir uns jetzt zumindest darauf einigen, dass wir dieser Delia nicht im Geringsten trauen?“, gab ich mit einem seltenen Anflug von Selbstreflexion zu. Ryan wirkte ernsthaft überrascht und schenkte mir ein anerkennendes Nicken.

Der Fußweg führte uns lediglich zur nächsten Bushaltestelle, von der wir mit einem Bus in ein noch kleineres Nachbarsdorf fuhren. Nach einigen Minuten weiteren Fußweges standen wir schließlich vor einem auf den ersten Blick unscheinbaren Einfamilienhaus. Wenngleich es sich rein optisch nicht von den anderen unterschied, änderte sich doch augenblicklich die Atmosphäre. „Jetzt wird es ernst“, hauchte mir Ryan mit grimmigen Blick zu, während ich besorgt beobachtete, wie Bella mit Delia im Haus verschwand.

Verflucht - Der TodespaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt