„Tut mir ja leid, aber du bist jetzt die einzige Person, die mich sehen kann. Es wird auf Dauer ganz schön langweilig, wenn man mit keinem reden kann“, erklärte Ryan schulterzuckend und ich seufzte genervt. „Dann bring es endlich hinter dich! Berühre mich und du kannst wo auch immer hingehen, ins Jenseits, die Geisterwelt oder wie man das auch nennt! Da kannst du dich dann bestimmt genug unterhalten! Was hält dich davon ab? Warum bleibst du freiwillig hier?“, fragte ich Ryan verärgert.
So einen Fall wie ihn hatte ich noch nie erlebt. Ryan war tot! Er hatte auf dem Kellerboden des Sammlers sein Leben ausgehaucht und jetzt gab es nur noch eines für ihn zu tun: Er musste mich berühren und in die Welt der Toten überwechseln. Zumindest nahm ich an, dass das mit den Geistern der Verstorbenen passierte, die mich berührten. Doch Ryan weigerte sich beständig, diesen Schritt zu machen.
„Ich…Ich fühle mich einfach nicht bereit dafür…“, setzte er an und augenblicklich verging ihm das Lächeln. „Ich spüre unmissverständlich, dass ich durch dich ins Jenseits gehen könnte, aber…ich möchte noch nicht. Weißt du, da drüben ist auch keiner, den ich unbedingt sehen möchte. Keine Eltern oder Freunde…Stattdessen würde dort nur Kato auf mich warten, den ich schließlich verraten habe. Da bleibe ich lieber erst einmal bei euch, auch wenn nur du mich sehen kannst.“
Ich seufzte tief. „Aber das kann doch nicht die endgültige Lösung sein! Du musst weiterziehen“, entgegnete ich verärgert. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Ryan dauerhaft in dieser Zwischenwelt bleiben konnte, wenngleich es bisher möglich gewesen war. „Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass ich muss“, erwiderte Ryan schulterzuckend. „Vielleicht ändere ich auch meine Meinung, wenn es mir hier zu langweilig wird, aber für den Moment bleibe ich bei euch. Schließlich ist euer Vorhaben mehr als spannend. Ich meine, zu den Wächtern gehen…Welcher Dämon oder Mensch hat das jemals gewagt?“
Ich verdrehte die Augen, sah aber ein, dass ich Ryan nicht umstimmen konnte. Wenn er sich weigerte weiterzuziehen, musste ich seine Anwesenheit wohl oder übel ertragen. Ihn absichtlich zu berühren, kam aus meiner Position nicht in Frage. Vielleicht könnte ich das, aber es wäre nicht fair, Ryans Entscheidung zu übergehen. Immerhin war er gestorben. Das war schon schlimm genug, ohne dass ich ihn den letzten Kontakt zur Welt der Lebenden verwehrte.
„Meinetwegen, aber geh mir nicht auf die Nerven! Und, Ryan, falls du denkst, dass ich dir irgendwie helfen kann, zurück ins Leben zu kommen, das liegt außerhalb meiner Fähigkeiten! Da solltest du dir keine Hoffnungen machen!“, betonte ich noch einmal. „Schon verstanden, wobei wir strenggenommen gar nicht wissen, wie weit deine Fähigkeiten reichen…“, setzte Ryan schelmisch an, doch ich kam gar nicht mehr dazu, eine genervte Antwort zu geben.
Gerade noch rechtzeitig konnte ich den Mund schließen und mich von Ryan abwenden, als Bella wieder zu uns stieß. „Na toll, jetzt ignorierst du mich wieder! Willst du es Bella nicht so langsam sagen?“, rief Ryan gespielt theatralisch, doch wie er richtig festgestellt hatte, ignorierte ich ihn. Ich schenkte Bella ein aufgesetztes Lächeln und verstand, dass das ein weiterer Grund war, warum unsere Beziehung keine Fortschritte machte.
Ich hatte mich Bella gegenüber geäußert, dass ich bisher keine tiefergehende Beziehung hatte, da ich stets jeden um mich herum anlügen musste. Bella war die erste gewesen, zu der ich vollkommen ehrlich über meine Fähigkeiten und den vermeintlichen Fluch gewesen war, doch nun log ich auch sie an.
Ich verheimlichte ihr Ryans Anwesenheit, weil ich vor allen Dingen fürchtete, dass sie nicht damit umgehen konnte. Ryans Tod hatte sie schon genug mitgenommen und die Aussicht, dass er immer noch hier war und offensichtlich nicht seinen Frieden gefunden hatte, machte es gewiss nicht besser. Also schwieg ich ihr zuliebe und erschuf damit zugleich ein Geheimnis, das uns voneinander trennte. Doch das war gerade zweitrangig.
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Verflucht - Der Todespakt
FantasyIn einer Welt, in der Menschen und Monster gleichermaßen leben, scheint es keinen Zweifel an der Zuordnung von "gut" und "böse" zu geben. Durch eine feste Grenze getrennt, führen Menschen und Dämonen eine weitestgehend friedliche Koexistenz, doch de...