Epilog

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-Cassie-

Obwohl die frühen Morgenstunden hinter uns lagen, war die Luft noch immer frostig und mein Atem bildete feine Wölkchen. Über mir bedeckte eine hellgraue Wolkendecke den Himmel und sperrte die wärmenden Sonnenstrahlen aus. Ein leichtes Zittern hatte mich ergriffen, das sich jedoch nicht nur auf die Kälte zurückführen ließ. Wie angewurzelt stand ich da und starrte auf meine linke Hand, während ich in der rechten den zugehörigen Handschuh hielt.

Wir hatten die Dimension der Wächter verlassen, waren durch eine weitere Lichtspur hinausgeführt worden, doch auch jetzt noch, an der frischen Luft unserer gewohnten Welt, verfolgten mich ihre Worte. Sie hallten durch meine Ohren, drangen bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele und lösten dort etwas aus, das ich noch nie gespürt hatte: eine unentrinnbare Hoffnungslosigkeit.

Noch zu genau erinnerte ich mich an das, was sie mir gesagt hatten, nachdem Bella gegangen war. Ich sah sie Szene vor meinem inneren Auge, wie ich vor ihnen stand, diesen leuchtenden, gesichtslosen Gestalten, die so erhaben, so mächtig waren. „Es gibt etwas, das du wissen musst, Cassie Rose. Etwas, das wir dir besser allein mitteilen“, hatte ihre seltsam mehrstimmige Stimme durch die Unendlichkeit der Dimension gehallt und in wenigen Sekunden jegliche Hoffnung, jede Sicherheit, alles zu schaffen, in mir zunichte gemacht.

„Es gibt einen Grund, warum wir verstorbene Seelen nicht einfach so in ihre Körper zurückschicken können. Die sterbliche Hülle kann zwar geheilt und wieder funktionsfähig gemacht werden, aber die Seele weiß, dass sie nicht mehr in diese Welt gehört, dass sie tot ist, und wird den Körper früher oder später immer abstoßen. In unserem Bestreben, die Tore zu erschaffen, haben wir einen Weg gefunden, dieses Problem zu umgehen.

Wenn die Seele nicht weiß, dass sie gestorben ist, wenn sie sich für lebendig hält, kann die Harmonie zwischen Körper und Seele gewährleistet werden und es kommt nicht zur Abstoßung. Das ist der wahre Grund, warum wir die Erinnerungen der Tore unterdrücken. Sie müssen glauben, am Leben zu sein, damit die Seele die Täuschung nicht erkennt und hin zum Jenseits strebt“, hatten mir die Wächter mit bedrückender Ernsthaftigkeit erklärt.

„Was…was bedeutet das für mich?“, hatte ich die entscheidende Frage gestellt, während ich versucht hatte, die neuen Informationen zu verarbeiten. Dann hatte ich es zum ersten Mal gespürt. Ein seltsames Kribbeln erfasste meine linke Handfläche, ein Gefühl, das mir gänzlich unbekannt gewesen war. Irritiert hatte ich die Hand gehoben und zuerst gedacht, dass mir meine Augen einen Streich spielen würden.

Ein kleiner Riss war auf meiner linken Handfläche erschienen, höchstens einen Zentimeter lang, doch das war noch nicht das Sonderbarste. Der Riss schien zu leuchten, als läge unter der aufgerissenen Haut nicht Fleisch sondern gleißendes, grellweißes Licht. Erschrocken hatte ich die Luft eingesogen und hilfesuchend zu den Wächtern geblickt.

„Es beginnt…“, hatten diese verkündet. „Jetzt da du die Wahrheit über deinen Tod kennst, beginnt deine Seele den Körper, die sterbliche Hülle, abzustoßen. Das ist ein langsamer Prozess. Noch ist der Riss klein, aber er wird sich fortwährend ausbreiten, bis er den gesamten Körper unbrauchbar macht.“ „Und dann?“, hatte ich verzweifelt gefragt, obwohl ich schon geahnt hatte, die Antwort zu kennen.

„Dann wirst du sterben. Dieses Mal endgültig, denn ein auf diese Weise zerstörter Körper kann nicht neu besetzt werden“, antworteten die Wächter und ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich war in ein flaches, fast schon hyperventilierendes Atmen verfallen, während mein Verstand panisch die Möglichkeiten durchging. „Könnt ihr mir die Erinnerung nicht wieder nehmen? Erneut mein Gedächtnis löschen?“, hakte ich eifrig nach. In diesem Moment hätte ich alles akzeptiert, nur nicht die Zukunft, die sie mir in Aussicht stellten.

Verflucht - Der TodespaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt