Kapitel 11 - Teil 2

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„Hier habt ihr euer Geld wieder! Ihr seid wohl nicht von hier, oder? Die meisten Einheimischen kennen die Gefahr durch unsichtbare Taschendiebe, die offensichtlich zu wenig Respekt vor den Wächtern und dem Eigentum anderer haben“, erklärte unser unbekannter Retter und warf dem Jugendlichen, der sich inzwischen aufgerappelt hatte und schleunigst das Weite suchte, einen bösen Blick hinterher. Cassie nahm den Geldbeutel entgegen, schien aber noch nicht die Sprache wiedergefunden zu haben, während mir nur eine Frage auf der Zunge brannte.

„Hast du ihm wehgetan? Das sah ziemlich schmerzhaft aus“, fragte ich, wobei es ziemlich lächerlich war, sich um jemanden zu sorgen, der uns fast bestohlen hatte. Allerdings war der Dieb definitiv jünger als wir gewesen. „Ach was, ich habe extra eine geringere Spannung gewählt. Es hat ihm schon wehgetan, aber verletzt ist der Junge nicht. Vermutlich hat der Sturz sogar mehr wehgetan als der Stromschlag! Anders lernen solche Diebe es eben nicht!“, winkte der junge Mann ab.

Nachdem die Aufregung nun vorüber war, nahm ich mir endlich Zeit, um unseren Retter genauer in Augenschein zu nehmen. Es handelte sich um einen jungen Mann, vielleicht Anfang zwanzig, mit schwarzen Haaren und graublauen Augen. Er war schlank und wirkte sportlich, war aber nicht allzu muskulös. Dennoch – und da war ich mir inzwischen sicher – sagte das wenig über seine Kraft aus. Die Stärke von Dämonen war nicht allein in ihrer Muskelkraft begründet. Das hatte der Fremde gerade bewiesen.

„Ich weiß gar nicht, wie wir dir danken sollen! Ohne deine Hilfe, wären wir jetzt vollkommen aufgeschmissen!“, fand Cassie dann doch ihre Sprache wieder und kam ihren sozialen Verpflichtungen nach. „Lass mich dir als Dank ein wenig von dem Geld geben, das du gerettet hast!“ Der junge Mann wirkte etwas verlegen, als Cassie ihm tatsächlich einige Scheine hin hielt. „Das ist doch nicht nötig! Ich helfe gerne“, wehrte er peinlich berührt ab.

„Aber irgendwie müssen wir uns doch erkenntlich zeigen!“, behaarte Cassie, während mir selbst die Situation nur unangenehm war. Schließlich schien dem Dämonen eine Idee zu kommen. „Es gibt da etwas. Also, im Grunde kann ich euch bei etwas helfen“, setzte er sichtlich verlegen an.

„Es ist mir unangenehm, das zuzugeben, aber als ich vorhin den Dieb bemerkt habe, bin ich nicht umhin gekommen, einem Teil eures Gesprächs zu lauschen. Ihr habt von einem Siegel geredet, das andere Dämonen nicht lösen wollen, und ich schätze, ich habe die Lösung dafür. Mein Meister ist ein mächtiger Dämon und er ist zwar nicht übermäßig gierig, aber seine Furcht vor den Wächtern ist - sagen wir einmal - begrenzt. Er nimmt sich auch Aufträgen an, die andere ablehnen. Wenn ihr euch unbedingt bei mir bedanken wollt, dann gebt ihm das Geld, nachdem er das besagte Siegel gelöst hat natürlich“, schlug der junge Mann vor.

Überrascht sah ich den Fremden an, der uns einfach so eine Lösung für ein weiteres Problem anbot. „Echt? Dein Meister würde uns helfen? Das wäre großartig!“, setzte ich an, doch Cassie fiel mir sofort ins Wort, bevor ich verbindlich zusagen konnte. „Du wirst bestimmt nichts dagegen haben, wenn wir uns kurz darüber beraten. Unter vier Augen“, wandte sich Cassie an den hilfreichen Fremden und warf mir einen warnenden Blick zu. „Wir haben auch nur begrenzte Mittel und sollten unser Vorgehen genauestens planen, aber das verstehst du bestimmt.“

Cassies Stimme überschlug sich fast vor aufgesetzter Freundlichkeit und ich warf ihr einen verwirrten Blick zu. Der Fremde gab seine Zustimmung, sodass mich Cassie nun ungeachtet meines Protestes zur Seite zerrte. Wir bogen sogar um eine Ecke, damit wir gänzlich ungestört reden konnten. „Sag mal, was sollte das?“, verlangte ich zu wissen. „Dieser Dämon hilft uns erst und macht dann auch noch so ein gutes Angebot! Warum sollten wir es nicht annehmen?“

Cassie warf mir einen mehr als skeptischen Blick zu, bevor sie antwortete. „Warum hast du eigentlich keine Freunde, wenn du so vertrauenswürdig bist und einem dahergelaufenen Fremden sofort vertraust, der unser Gespräch rein zufällig belauscht hat und natürlich direkt die Lösung dafür hat? Auch dass er praktischerweise unser Geld gerettet hat und damit von Beginn an in einem guten Licht dasteht! Kommt dir das nicht auch ein wenig verdächtig vor?“, entgegnete Cassie reichlich sarkastisch.

Gerade ihr Kommentar, der meine lebenslange Einsamkeit betraf, ging mir gewaltig gegen den Strich. „Du hast gar keine Ahnung, wie schwer es sein kann, Freunde zu finden! Sei du doch einmal das seltsame Mädchen ohne Eltern, deren strenge Tante es nicht erlaubt, jemanden mit nach Hause zu bringen! Wenn man einmal keine Freunde findet, haftet einem dieser Makel immer weiter an, bis man als das komische Mädchen ohne Freunde gebrandmarkt ist! Dann will erst recht keiner mehr etwas mit einem zu tun haben! Aber was sollte jemand wie du schon davon verstehen?“, ließ ich mich zu einigen hitzigen Widerworten hinreißen.

Cassie wirkte überraschend nachdenklich, als sie mich daraufhin musterte. Ich konnte förmlich sehen, wie ihre Gesichtszüge weicher wurden und sich etwas in ihre hellblauen Augen schlich, das ich für Mitleid hielt. „Von der Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet…Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt haben sollte. Ich schätze, man sucht es sich in vielen Fällen nicht aus, ein Außenseiter zu sein“, entschuldigte sich Cassie und ich musste zugeben, dass ihre Worte völlig aufrichtig klangen.

„Können wir aber zum eigentlichen Thema zurückkehren? Ich traue diesem Typen nicht. Irgendetwas an seinem plötzlichen Auftauchen kommt mir komisch vor.“ Cassies Stimme hatte nun einen viel ruhigeren Tonfall angenommen, sodass ich auch das Gefühl hatte, vernünftig mit ihr reden zu können.

„Sein Timing war zwar schon auffallend praktisch, aber was sollte er damit schon bezwecken wollen? Hätte er uns ausrauben wollen, hätte er einfach den Geldbeutel behalten und wegrennen können. Oder uns eben mit seinen Blitzen überwältigen. Wir waren sogar schon in einer verlassenen Gasse. Vielleicht kann sein Meister wirklich mein Siegel lösen. Einen Versuch ist es doch wert. Wir kennen hier ohnehin keinen und das ist ähnlich seriös wie die Adresse auf diesem Zettel, zu der wir als nächstes gehen werden“, argumentierte ich dagegen und schien damit tatsächlich Erfolg zu haben.

Cassie musterte mich lange, bevor sie schließlich ein tiefes Seufzen ausstieß. „Na schön, dann geben wir diesem Typen und seinem mysteriösen Meister eben eine Chance! So ganz traue ich der Sache immer noch nicht und du musst auch bedenken, dass ich anders als du an meinem Leben hänge. Trotzdem hast du recht damit, dass wir niemanden hier kennen und somit bei jeder Person, an die wir uns wenden, ein gewisses Risiko eingehen. Also, versuchen wir es! Aber erst, nachdem wir die andere Adresse angesteuert haben, in Ordnung? Ich muss unbedingt wissen, was mit mir los ist, und möchte das möglichst bald angehen“, gestand mir Cassie schließlich zu, wobei ich ihr sofort zustimmte.

Wir hatten schon im Vorfeld geklärt, dass wir ihr Anliegen zuerst angehen würden. Ich konnte warten. Mit diesem Ergebnis kehrten wir dann zum fremden Dämonen zurück und teilten ihm unsere Entscheidung mit. „In Ordnung! Wir statten deinem Meister einen Besuch ab und schauen, ob er Bellas Siegel lösen kann, aber das muss warten! Zuerst müssen wir zu einer anderen Adresse, um ein anderes Problem anzugehen! Ich hoffe, dass ist kein Problem“, erklärte Cassie dem Dämonen in einem Tonfall, der eigentlich keinen Widerspruch duldete.

Von ihrer aufgesetzten Freundlichkeit war überraschend wenig geblieben, sodass sie ihrem Gegenüber ihr Misstrauen ziemlich deutlich machte. Das schien jedoch beabsichtigt zu sein und der Dämon störte sich nicht daran. „Das ist überhaupt kein Problem. Wo müsst ihr denn hin? Ich kenne die Stadt gut und könnte euch hinführen. Dann bestände auch keine Gefahr mehr durch dreiste Taschendiebe“, bot der Fremde sofort an.

Cassie und ich wechselten einen schnellen Blick. Während Cassie nicht gerade begeistert wirkte, sah ich sie geradezu flehend an. Ich fand den Dämon und vor allem seine Kräfte ziemlich interessant und außerdem hatte er recht. Mit ihm als Beschützer wären wir viel sicherer unterwegs als bisher. Deshalb war ich beinahe erleichtert, als Cassie widerwillig einlenkte. „Das stimmt wohl und es hat allgemein Vorteile, jemanden an unserer Seite zu haben, der sich hier – und damit meine ich das Dämonenreich generell – auskennt. Aber das Narrativ der schwachen Frauen, die vom starken Mann beschützt werden müssen, gefällt mir gar nicht, also schlag dir das schön aus dem Kopf!“

Da Cassies Wort so harsch und beinahe unfreundlich klangen, versuchte ich schnell, die Situation aufzulockern. „Da wir jetzt zusammen unterwegs sein werden, wird es wohl Zeit, sich vorzustellen! Das ist Cassie und ich bin Bella!“, holte ich die bisher versäumte Vorstellung nach. Dieser sozial notwendige Schritt schien auch unserem Gegenüber entfallen zu sein, was ihn für mich nur sympathischer machte.

„Oh, das war ziemlich unhöflich von mir! Euch mit Angeboten überhäufen, aber nicht einmal meinen Namen zu sagen! Ich bin Ryan. Freut mich, euch kennenzulernen!“, stellte sich der junge Mann verlegen vor. So lernten wir also Ryan kennen, der uns auf unserer Reise zumindest ein Stück begleiten wollte. Was Cassie noch immer skeptisch beäugte, war für mich fast so etwas wie ein Hoffnungsschimmer, ein freundlicher Dämon, der seine Hilfe anbot und uns unseren Zielen hoffentlich näher bringen würde!

Verflucht - Der TodespaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt