Kapitel 14 - Teil 2

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Hoffnungsvoll und guter Dinge schritt ich an Bellas und Ryans Seite durch die Stadt. Assarie, die Hauptstadt der Dämonen, die wir bald verlassen würden…Der Hochsommer zeigte sich heute von seiner besten Seite und es war sonnig und warm. Dieser Anblick löste sogleich Euphorie bei einer Sommerliebhaberin wie mir aus, doch zeitgleich brachte er auch eine gänzlich andere Empfindung mit sich. Die sonnenbeschienene Stadt, sonnengesprenkelter Asphalt, das waren dieselben Bilder wie die aus meinem Traum…

Augenblicklich verging mir die Unbeschwertheit und selbst die sommerliche Wärme erreichte mich nicht mehr. Mich fröstelte es, doch das wollte ich keinem meiner Begleiter mitteilen. Bella hatte sich heute morgen schon genug Sorgen gemacht und Ryan sollte gar nicht erst denken, dass ich mich von einem dämlichen Albtraum verunsichern ließ. Dennoch achtete ich jetzt bei jeder einzelnen Straße, die wir überquerten aufs Genauste auf meine Umgebung.

Das mochte womöglich abergläubisch anmuten, aber was wäre, wenn an dem Traum tatsächlich mehr dran war? Vielleicht handelte es sich um eine Vision? Eine mögliche Zukunft? Ich wollte den beunruhigenden Gedanken gar nicht so nah an mich heranlassen, weshalb ich ihn eilig verdrängte. Von diesem Standpunkt aus, war es vermutlich gut, dass wir die Stadt nun hinter uns ließen…

Das taten wir dann auch. Ohne Zwischenfälle stiegen wir in den Zug, zu dem uns Ryan navigierte. Ich hatte mich schon fast daran gewöhnt, dass die Dämonen so teilnahmslos mit meiner Anwesenheit umgingen. Ein Mensch lief durch ihre Mitte und es schien sie gar nicht zu stören. Vermutlich hielten sie es für die klügste Strategie, so zu tun, als würden sie gar nichts bemerken. Wenn nur die Wächter über mich richten konnten, hielten sie sich lieber aus der Angelegenheit heraus.

Vielleicht dachten sie jedoch auch, dass Bella und Ryan mich nach Hause bringen würden, wenn wir schon am Bahnhof waren. Allzu lange würde das auch nicht mehr brauchen! In diesem Punkt wollte ich hoffnungsvoll sein. Bestimmt würde Ryans Meister uns helfen können und dann könnte ich auch schon nach Hause zurückkehren, mit Bella! Die Details mussten noch geklärt werden, doch dafür würde noch Zeit bleiben.

Von den Wächtern hatten wir noch immer nichts gehört und falls sie wirklich so mächtig waren, wie alle Dämonen behaupteten, würden sie schon ihre Gründe haben. Wenn sie tatsächlich allwissend waren, wussten sie auch, dass ich so bald wie möglich zu verschwinden gedachte. Wenn ich meine Ziele erreicht hatte natürlich! Doch das stand hoffentlich kurz bevor!

Bella und Ryan unterhielten sich den ersten Teil der Zugfahrt lebhaft, wobei ich mich auch das eine oder andere Mal einmischte. Gerade die Stelle, als Bella Ryan über seine Kräfte ausfragte, weckte mein Interesse. Ryan erklärte uns, dass er in seinem Körper Strom erzeugen konnte. Damit konnte er anderen einen ordentlichen Elektroschock verpassen oder Blitze schießen, was wir schließlich beobachtet hatten.

Des Weiteren erfuhren wir von ihm, dass die Kräfte von Dämonen ganz unterschiedlich und individuell sein konnten. Man erbte zwar gewissermaßen die Kräfte der Eltern, aber wie sich diese individuell ausdrückten, war bei jedem anders. Ryans Kräfte eigneten sich besonders gut zum Angriff, aber es gab ganz unterschiedliche Arten von Kräften. Ich merkte scherzhaft und etwas stichelnd an, dass er im Grunde ein menschlicher Elektroschocker war, was Ryan mit einer weiteren stichelnden Bemerkung quittierte. Er sei alles, aber bestimmt nicht menschlich.

Ich wusste, dass das nur Teil unseres Schlagabtausches war, doch trotzdem stimmte mich dieser Kommentar nachdenklich. Die Gespräche waren abgeebbt, als uns die Müdigkeit, die die nachmittägliche Hitze mit sich gebracht hatte, allmählich einholte. Nun saßen wir schweigend in unseren Sitzen und gingen unseren individuellen Gedanken nach.

Interessiert musterte ich Bella, die soeben gedankenverloren aus dem Fenster sah. War es denn wirklich so? Sollten wir so verschieden sein, nur weil sie eine Dämonin war und ich ein Mensch? Bis vor kurzem hatte sie noch nicht einmal gewusst, dass sie eine Dämonin war. Wir waren zusammen zur Schule gegangen und natürlich war sie immer anders gewesen, aber das lag gewiss nicht an ihrem Dämonendasein.

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich Dämonen und Menschen viel ähnlicher waren, als beide Seiten es wahrhaben wollten. Was war, wenn letztendlich alles, das uns trennte, diese blöde Mauer war? Ich spürte, dass diese Gedanken für den Moment zu weit gingen. Sie warfen viel größere, ganz elementare Fragen auf, denen ich mich gerade nicht stellen wollte. War ich überhaupt die richtige Person, um diese Fragen zu ergründen?

Ich hielt es für sinnvoller, mich auf das zu konzentrieren, was direkt vor uns lag. Ich musste auch nicht mehr viel Zeit totschlagen, bis wir endlich unser Ziel erreicht hatten. Na ja, zumindest hatte ich das angenommen. „Wie jetzt? Wir gehen erst morgen zu deinem Meister?“, fragte ich Ryan entgeistert, als er uns das weitere Vorgehen erklärt hatte. Wir waren gerade an einem eher ländlichen Bahnhof ausgestiegen und ich war alles andere als glücklich über diese Wendung.

„Na ja, das Dorf, in dem der Meister lebt, ist zu klein, um einen eigenen Bahnhof zu haben. Die Busse fahren auch eher selten und außerdem ist es schon spät. Hier ist zumindest noch ein Gasthaus, in dem wir essen und übernachten können, und dann fahren wir gleich morgen zum Meister“, erklärte Ryan beschwichtigend und erntete damit nur ein genervtes Seufzen von mir.

Erst hieß es, dieser Meister sei in Assarie, dann in einem Vorort davon und jetzt in einem kleinen Dorf? Es war nur zu hoffen, dass dieser mysteriöse Meister überhaupt existierte! Bella schien in dieser Hinsicht aber versöhnlicher zu sein als ich. „Was macht schon ein weiterer Tag? Außerdem hat Ryan recht. Es wird spät und ich könnte durchaus etwas essen“, wandte sich Bella an mich und hatte mehr Erfolg als Ryan. „Na, schön! Dann bring uns zu diesem Gasthaus!“, lenkte ich ein, da ich ebenfalls keine Lust auf ausschweifende Diskussionen hatte.

Bald schon hatten wir das kleine Gasthaus erreicht, von dem Ryan gesprochen hatte. Das altmodische Gebäude mit den Holzelementen wirkte alt und auch ein wenig heruntergekommen, aber wir konnten es uns wohl kaum leisten, wählerisch zu sein. Ryan schien den Wirt zu kennen, denn er begrüßte ihn freundlich und bestellte uns sogleich etwas zu essen. Die Auswahl schien recht begrenzt zu sein, aber das sollte mich nicht stören.

Alles lief reibungslos, bis wir uns einen Platz suchen wollten. Das Gasthaus war so gut wie leer, doch als wir in den hinteren Teil gingen, erhob sich plötzlich eine dunkle Gestalt aus den Schatten. Unwillkürlich erfasste mich ein Schaudern, als eine große, dunkelhaarige Dämonin auf uns zu kam. Ich wusste nicht, was es war, aber irgendetwas an ihr gab mir sogleich ein ganz ungutes Gefühl.

Dabei war sie ziemlich schön. Sie war groß für eine Frau, sogar ein paar Zentimeter größer als ich, schlank, beinahe mager, wobei ich sie instinktiv ein paar Jahre älter als uns schätzen würde. Womöglich Anfang oder Mitte zwanzig. Ihr langes, tiefschwarzes Haar bot einen starken Kontrast zur bleichen, fast weißen Haut. Ihre Gesichtszüge waren schön, aber ich konnte ausschließlich auf den geradezu stechenden Blick ihrer tiefschwarzen Augen achten.

Ich hatte noch nie solche Augen gesehen, bei denen man Pupille nicht von Iris unterscheiden konnte, und befand, dass das ein dämonisches Merkmal sein musste. Wenn ich angenommen hatte, dass es sich bei der Dämonin um einen gewöhnlichen Gast handeln würde und sie einfach gehen würde, sollte ich mich gewaltig irren. Nachdem sie sich erhoben hatte, kam die seltsame Frau direkt auf uns zu, den harten, stechenden Blick auf uns gerichtet.

Unwillkürlich trat Ryan einen Schritt nach vorne, als wolle er uns vor der Fremden beschützen. Kurz sah ich den harten Blick seiner graublauen Augen und verstand mit einem Mal, dass wir soeben das Gleiche fühlten. Mein ungutes Gefühl war längst nicht so zufällig, wie ich angenommen hatte. Es schien tatsächlich eine unterschwellige Bedrohung von dieser hübschen und zugleich beängstigenden Dämonin auszugehen und Ryan spürte das ebenfalls.

Meine letzten Zweifel vergingen, als Ryan das anhaltende Schweigen brach. „Du solltest besser gehen. Wir wollen keinen Ärger.“

Verflucht - Der TodespaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt