Wie Louis vermutet hatte, schlug der Junge den Weg zum Big Ben ein. Es war ein warmer Tag und auf der Straße wimmelte es nur so von Touristen und Londonern, die gerade auf dem Weg in die Mittagspause waren. Da Louis nicht sonderlich groß war, um über die Köpfe der Passanten sehen zu können, verlor er den Jungen mehrmals aus den Augen, fand ihn aber zum Glück jedes Mal rasch wieder. Kurz bevor er die letzte Kreuzung der Whitehall passierte, bog der Junge nach links in eine ruhige Seitenstraße ab. Da Louis damit nicht gerechnet hatte, hätte er ihn beinahe verloren und beschleunigte seine Schritte, um den Abstand zwischen ihnen ein wenig zu verkleinern.
Der Junge steuerte einen kleinen Platz zu, der von hohen, alten Gebäuden umgeben war und in dessen Mitte sich eine ziemlich klägliche Grünfläche befand, die kaum der Rede wert gewesen wäre. Hierher verirrte sich kaum Jemand, denn die hohen Häuser warfen immer einen Schatten auf den Platz und sonderlich lauschig war es hier auch nicht. Nicht einmal Touristen traf man hier an, und das, obwohl sich der Hauptsitz von Scotland Yard in der Parallelstraße befand. Der Junge hielt an und setzte sich auf die Rückenlehne einer Bank. Louis versteckte sich in einem Hauseingang und hoffte so nicht gesehen zu werden. Direkt auf der anderen Straßenseite befand sich ein Gebäude mit großen Glasfenstern in deren Spiegelung er den Jungen weiter beobachten konnte. Der Junge zog die gestohlenen Geldbörsen aus der Hosentasche und durchsuchte sie. Seine Handgriffe wirkten routiniert, ganz offenbar tat er das nicht zum ersten Mal. Nachdem mehrere Geldscheine und eine handvoll Kleingeld den Weg in die Tasche des Jungen gefunden hatten, ließ er die Geldbörsen auf der Bank liegen und stand auf.
Louis machte sich innerlich schon wieder darauf gefasst, den Jungen weiter durch Touristenmassen verfolgen zu müssen, doch offenbar war der erbeutete Geldbetrag hoch genug, damit der Punk für heute Feierabend machen konnte und er schlenderte in Richtung Themseufer davon.
Auf einer Mauer, mit dem Rücken zur Straße aus der Louis und der Junge kamen, saß ein weiterer junger Kerl. Er wirkte noch ausgezehrter, als der, den Louis verfolgt hatte; auch er trug zerrissene, schwarze Hose, ein Shirt und darüber eine Jeansweste, die mit bunten Stiften bemalt worden war. Sein dunkles Haar war an einer Seite abrasiert und er drehte sich eine Zigarette. Der Junge mit dem Pferdeschwanz lies sich neben ihn auf die Mauer fallen und Louis setzte sich entspannt zwei Meter daneben. Er tippte auf seinem Handy herum und gab vor, seine Umgebung nicht wahrzunehmen. Doch in Wirklichkeit spitzte er die Ohren. „...hattest du Erfolg?" fragte der Dunkelhaarige, der beim genaueren Hinsehen auch deutlich älter aussah. „Bisschen. Ich hab etwa 75 Pfund und ein paar Münzen zusammen gekriegt." antwortete der Junge mit dem Zopf leise. Er bekam ein erleichtertes Seufzen als Antwort: „Super. Ich brauch neues Zeug. Meinst du, wir können ihn später noch treffen?" der Dunkelhaarige klang ungeduldig und Louis ahnte, dass er von einem Dealer sprach. Er sah zu den beiden hinüber: der Ältere hatte sich die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt und suchte seine Taschen nun nach einem Feuerzeug ab. Weil er keines finden konnte, wurde er ungeduldig. Louis zog rasch sein eigenes aus der Tasche und bot es dem Punk an. „Hier. Nimm meins." es wurde angenommen, was Louis die Gelegenheit verschaffte, die Beiden nun offen anzusehen. „Lebt ihr auf der Straße?" fragte er und der Lockenkopf schien antworten zu wollen, doch sein Freund schnitt ihm das Wort ab: „Warum willst du das wissen?" schnappte er in seine Richtung und sah ihn äußerst misstrauisch an. „Naja, ich bin Streetworker und mein Job ist es, obdachlosen Teenagern zu helfen." - „Wir brauchen keine Hilfe, uns geht es gut. Danke für das Feuerzeug." Es wurde Louis zugeworfen, als hätte der Punk Angst, es würde ihn vergiften, wenn er es nur allzu lange in der Hand hielt, dann stand er auf und nahm den Jüngeren am Arm: „Komm Hazza, lass und abhauen." sagte er, doch so einfach ließ Louis sich nicht abwimmeln. Es kam häufig vor, dass sich die Straßenkinder anfangs gegen Hilfe sträubten, weil sie Angst hatten, dass man sie zurück zu ihren Familien bringen würde.
„Hey, bleib doch mal cool. Ich wollte nur mit euch sprechen und euch meine Hilfe anbieten. Ich hab Hazza gesehen, wie er Geld von Touristen geklaut hat, es ist offensichtlich, dass ihr zwei Hilfe braucht." sagte Louis und sah den jüngeren Punk an, der ihm nicht ganz so feindselig gegenüber zu stehen schien, wie der Andere. Er hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und spielte an einem der beiden Ringe herum, die dort durch die Haut gestochen worden waren. Für einen Moment glaubte Louis tatsächlich, er würde darauf eingehen und Hilfe annehmen, doch dann öffnete er den Mund und sagte langsam:
„Danke, aber Zayn und ich kommen schon klar." Louis zuckte mit den Schultern und zog eine kleine Visitenkarte aus der Tasche, die er Hazza in die Hand drückte:
„Das ist die Adresse von dem Jugendhilfswerk, wo ich arbeite. Wir bieten medizinische Ersthilfe an und haben immer ein offenes Ohr für euch. Kommt einfach vorbei, wenn ihr etwas braucht." sagte er und Hazza nahm die Karte. Er las die Adresse und stupste Zayn an, der es ihm gleich tat und Louis finster ansah. Offenbar hatte er etwas gegen das Institut, für das Louis arbeitete. „Mit dir arbeitet nicht zufällig ein Liam Payne zusammen?" fragte er und Louis nickte. „Doch, er ist ein Freund von mir." - „Richte ihm von mir aus, dass er ein Arschloch ist." sagte Zayn und zog Hazza wortlos mit sich.
Kopfschüttelnd sah Louis den Beiden hinterher und fragte sich, was sie wohl gegen seinen Freund und Kollegen Liam hatten. Sein Blick fiel auf seine Uhr und er stellte fest, dass er in einer Stunde noch Dienst in der Herberge hatte, die von dem Hilfswerk betrieben wurde, also machte sich Louis auf den Weg zurück.
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Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...