Die Drei traten ein und Harry rannte sofort auf Zayn zu, der auf dem Fensterbrett saß und hinaus sah. „Zayn! Gott sei dank, es geht dir gut." sagte er und umarmte seinen Freund, der keine Regung zeigte und Harry dann sanft, aber bestimmt von sich schob: „Nein, mir geht's scheiße, Hazza." murmelte er und wandte den Blick wieder aus dem Fenster.
Louis blieb in einigem Abstand stehen und musterte den dunkelhaarigen Punk: er war blass, seine dunklen Augen waren gerötet und er hatte Augenringe. Seine Wangen waren eingefallen und die Haare verfilzt und stumpf. Er trug trotz der Kälte draußen ein kurzes T-Shirt und seine Arme waren zerstochen, die Adern traten stark hervor und wirkten ausgezehrt. Harry blieb bei ihm stehen, obwohl er ihn gerade abgewiesen hatte und sah ihn an: „Wieso hast du das gemacht?" fragte er leise und sah seinen Freund an, als wünschte er sich nichts sehnlicher, als die Antwort auf diese Frage zu erhalten. „Wieso ich das gemacht habe?" Zayn wandte den Kopf wieder Harry zu und sah ihn durch schmale Augen an. „Was glaubst du, wie es sich anfühlt, wenn man von zwei guten Freunden innerhalb von 3 Monaten verlassen wird? Wenn man sich tagsüber verabschiedet und am Abend kommen sie einfach nicht mehr zurück? Ich saß allein in unserem Lager und hatte mega Schiss, dass dir oder Niall was passiert sein könnte. Dass man euch abgestochen hat oder sonst was. Ich wusste vier Tage lang nicht, wo du warst, seit du das letzte Mal verschwunden bist. Ständig hab ich mir eingeredet, dass du dich vielleicht nur verlaufen hast oder so, aber ich konnte nachts nicht schlafen, weil ich bei jedem Geräusch gedacht habe, dass du wieder kommst." Zayn sog scharf die Luft durch die Nase ein und sah Harry vorwurfsvoll an. „Und dann...dann taucht sie auf." er nickte zu Eleanor hin. „Und sagt mir, dass du wieder im Hilfswerk bist, dass du einen Entzug machst und die Chance bekommst, wieder ein geregeltes Leben führen zu können, während ich hier auf der Straße sitze, mir den Arsch abfriere...und ich hab mich gefragt, wieso man sich nicht auch um mich sorgt...und wieso ich dir anscheinend so egal war..." Zayns Tonfall wurde bitter und er kniff die Lippen zusammen. Einen Moment schwiegen alle, dann sagte Harry: „Aber du hättest dich doch einfach melden können. Du wusstest, wo das Hilfswerk ist. Wieso bist du nicht hergekommen, als du gemerkt hast, dass du doch Hilfe haben willst? Ich hab es doch auch getan." - „Weil ich auch meinen Stolz habe, Hazza. Ich bin zwar ein Junkie, der kein Zuhause mehr hat, aber ich komme doch nicht wie ein Hund angekrochen. Ein bisschen Selbstachtung habe ich auch noch übrig!" fauchte Zayn, überkreuzte die langen Beine und streckte sie auf der Fensterbank aus. „Außerdem hab ich mich nicht getraut, mir einzugestehen, dass ich Hilfe haben will...nicht, nachdem ich Liam und Louis abgewiesen habe." - „Und dann hast du beschlossen das Schicksal herauszufordern und dir eine tödliche Dosis zu spitzen, mit dem Gedanken: wenn sie dich finden, hast du Glück gehabt und wenn nicht, dann ist es auch egal?" Harry klang fassungslos und auch leicht spöttisch, als er das sagte und setzte sich auf einen Stuhl, der in Zayns Nähe stand. Er vergrub das Gesicht in den Händen und seufzte.
„Zayn, du bist so ein beschissener Sturkopf." sagte er dumpf in seine Handflächen, woraufhin sein Freund nur gleichgültig mit den Schultern zuckte: „Na und? Dafür bist du ein untreuer Vollidiot...lässt mich einfach alleine auf der Straße sitzen..." Louis war kurz davor, dazwischen zu gehen, falls die Beiden sich noch schlimmer beschimpfen würden, doch dann fiel ihm das Lächeln auf, dass Zayns Lippen umspielte und ihm fiel ein Stein vom Herzen. Das schien offenbar die Art der Beiden zu sein, einander zu verzeihen. „Komm her, du Arsch." sagte Zayn, nahm die Beine vom Fensterbrett, sprang hinunter und schloss Harry in die Arme, der angefangen hatte zu weinen und Zayn so festhielt, als wollte er ihn nie wieder loslassen. „Oh Gott, das ist ja so rührend." hauchte Eleanor neben Louis und er sah zu ihr hinüber. Sie hatte die Hand vor den Mund geschlagen und blinzelte heftig. Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich heran, während sie die beiden Straßenjungen bei ihrer Umarmung beobachteten. Louis war froh, dass Zayn offenbar nun eingesehen hatte, dass er ohne Hilfe nicht weiterkam und nun hoffentlich bereit war, einen Entzug zu machen. Eleanor würde ihn betreuen können und dann würde auch Zayn eine neue Chance bekommen.
Die beiden Jungen lösten sich voneinander und Zayn strich Harry über die Wange. „Was hast du da gemacht?" fragte er und fuhr über die feine Kruste, die von dem Schnitt noch übrig war. „Bin mit Saint aneinandergeraten...ich hab ihm Smack geklaut..." gestand Harry und Zayn klappte der Mund auf.
„Deswegen das T...Thief...wow hast du ein Glück, dass du jetzt nicht mehr auf der Straße bist. Dir hätte Niemand mehr etwas verkauft....oh Harry." Der Lockenkopf senkte den Blick: „Ja, ich hab wirklich Glück gehabt. Ich bin dann in der Nacht noch in die Themse gefallen und Louis hat mich gefunden und herausgefischt." sagte er und warf Louis einen dankbaren Blick zu. Eleanor bemerkte das und sah zwischen den Beiden hin und her. Sie hatte etwas bemerkt, das war ihm sofort klar, denn der Blick, den Harry ihm zugeworfen hatte, hatte geradezu geglüht vor Begeisterung. Louis räusperte sich und sagte zu seiner Kollegin: „Willst du dir einen Tee holen, das war für dich heute sicherlich auch ein anstrengender Tag." - „Oh, ja das ist eine gute Idee. Bin gleich wieder da." sagte sie und verschwand aus dem Zimmer. Erleichtert atmete Louis auf und warf Harry einen vielsagenden Blick zu. „Was geht denn zwischen euch ab?" fragte Zayn, dem der Blick natürlich nicht entgangen war und sah Harry fragend an, der rot wurde und den Blick senkte.
„Nein." Zayn sah ungläubig drein. „Du und...er? Einen Streetworker? Im Ernst Harry? Ironischer hätte es wohl nicht laufen können?" Er klang belustigt und schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht glauben. „Ja, ich kann auch nichts dafür. Es ist einfach so passiert." verteidigte sich Harry und ging zu Louis hinüber, um nach seiner Hand zu greifen. „Es wäre aber nett, wenn du das nicht an die große Glocke hängst. Das weiß im Hilfswerk nämlich Niemand." sagte Louis zu Zayn, der mit den Schultern zuckte und nickte. „Willst du mitkommen? Zum Hilfswerk?" fragte Harry vorsichtig und Zayn nickte erstaunlich schnell: „Ja, nachdem was ich grade erzählt habe, kann ich wohl nicht mehr anders, nicht wahr?" Louis war froh, dass Zayn endlich den Schritt wagte und nickte ihm anerkennend zu. Der erwiderte seinen Blick und fuhr sich dann nervös übers Gesicht, er schien langsam nervös zu werden, was bedeutete, dass die ersten Entzugserscheinungen anfingen.
„Kannst du Zayn mitnehmen, Louis?" fragte Eleanor, als sie wenig später zu Viert auf dem Parkplatz standen. „Nein, das geht nicht, ich hatte Harry dabei und er sollte noch nicht wieder in die Öffentlichkeit gehen." sagte Louis und machte Anstalten, in den Smart zu steigen. Eleanor verschränkte die Arme und deutete mit dem Kopf zu Zayn hin, der nervös auf und ab ging:
„ER sollte auch nicht mehr in die Öffentlichkeit. Wenn er mir entwischt, darf ich nochmal anfangen nach ihm zu suchen.
Wenn er mit dir mitfährt, kann er wenigstens nicht abhauen und ich bin mir sicher, dass er heil im Hilfswerk ankommt." - „Aber ich will Harry nicht allein lassen." protestierte Louis und Eleanor seufzte: „Man, er wäre doch mit mir zusammen. Traust du mir nicht?" Doch, er vertraute ihr, aber Harry vertraute er nicht – zumindest nicht, was den Umgang mit dem normalen Leben anging. „Er vertraut mir nicht." sage Harry, der offenbar an Louis Gesicht gesehen hatte, was er dachte. „Kann ich nicht einfach im Kofferraum mitfahren?" fragte der Lockenkopf, öffnete die Klappe und sah hinein. „Wenn ich mich klein mache, dann müsste das doch gehen, oder?" - „Wenn uns jemand erwischt, hab ich ein Problem, das ist dir klar Hazza?" brummte Louis, der überhaupt nicht begeistert von Harrys Vorschlag war, jedoch zugeben musste, dass es der einzige Weg zu sein schien. „Naja, der Verkehr in London ist so lahm, da wird nichts passieren." warf Eleanor ein und fügte rasch hinzu: „Außerdem bist du doch nicht Liam. Der würde jetzt bestimmt sagen, dass das gegen die Vorschriften..." - „Können wir uns bitte einfach auf etwas einigen? Sonst kann es sein, dass ich es mir doch noch anders überlege!" platzte Zayn dazwischen und schien schon völlig genervt von der Diskussion zu sein. „Okay, dann steig ein, Harry." Der Lockenkopf krabbelte in den kleinen Kofferraum, machte sich ganz klein und Louis schloss den Deckel. „Wir sehen uns gleich." sagte er zu Eleanor und stieg dann ebenfalls ins Auto. Zayn ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, schnallte sich an und lehnte sich müde im Sitz zurück. „Alles gut bei dir, Harry?" fragte Louis nach hinten und aus dem Kofferraum war nur ein gedämpftes Kichern zu hören. „Dann mal los." sagte Louis und startete den Wagen, was Zayn nur mit einem: „Ja, mach mal hinne." kommentierte.
Der 22-Jährige schien noch grummeliger zu sein, als Harry bei seinem Entzug und Louis war sehr froh darüber, dass er nicht sein Betreuer war. Er fuhr aus dem Parkplatz heraus und es ging zurück zum Hilfswerk.
DU LIEST GERADE
Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...