„Mag sein, aber du brauchst mal ein bisschen
Sauerstoff" ,entgegnete Louis und drehte sich zu Harry um: „wie fühlst du dich?" Harry seufzte und schien kurz über die Antwort nachzudenken und sagte dann gar nichts. Weil er ihn nicht drängen wollte, schloss Louis einfach die Fenster und sagte dann: „Ich fahre jetzt nach Hause. Ich muss dringend duschen und mich umziehen. Du kommst solange ohne mich aus, oder? Meine Kollegin Eleanor wird nach dir sehen, bis ich wieder da bin, ja?" - „Ja natürlich...ich bin schließlich kein Baby mehr." murmelte Harry wickelte sich wieder in seine Decke, während Louis seinen Rucksack über die Schulter schwang und das kleine Zimmer verließ.Eleanor saß schon in ihrem Büro. Sie sah aus wie das blühende Leben: ihr braunes Haar hatte sie heute zu Wellen frisiert, die ihr über den Rücken fielen und sie trug einen Pullover der flauschig und kuschelig aussah und genau zum heutigen Wetter passte. Sie sah auf, als Louis anklopfte und eintrat. „Oh, was ist denn mit dir passiert? Nimm es mir nicht übel, aber du siehst aus, als hättest du nicht sonderlich gut geschlafen." sagte sie und zog die Augenbrauen hoch. „Hab ich auch nicht. Hör zu: ich war die ganze Nacht hier und habe auf Harry aufgepasst.
Du weißt ja, wie das mit den Junkies so ist..." Eleanor nickte wissend. „Naja und ich muss dringend nach Hause, mich umziehen und duschen. Wäre es möglich, dass du ein Auge auf Harry hast, wenn ich weg bin?" - „Klar, kein Problem, ich werde sowieso heute mit Rebeccas Therapie anfangen und sicher den ganzen Tag in der WG herumsitzen, da schau ich ab und zu bei ihm vorbei, ja? Muss ich etwas beachten? Ist er gewalttätig?" fragte sie und Louis schüttelte schnell den Kopf.
„Nein, er tritt nur gegen das Bett oder den Schrank. Die Agression äußert sich eher gegen Gegenstände statt Menschen. Danke Eleanor." sagte Louis und lächelte sie müde an. „Kein Ding, dafür sind wir doch Kollegen. Los, hau schon ab."
Er fühlte sich wie gerädert und gähnte unablässig, während er mit der Tube nach Hause fuhr. Er musste dringend duschen, um sich mal zu entspannen und den Kopf freizubekommen. Harry beschäftigte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte und er konnte nicht leugnen, dass er sich Sorgen machte, ob der Punk den Entzug schaffen würde. Es erforderte eine enorme Willenskraft, das durchzuziehen und wenn Louis auf die Erfahrungen zurückblickte, die er mit anderen Patienten gemacht hatte, würden die Symptome sich in den nächsten Tagen noch verschlimmern. Harry wurde also ziemlich auf die Probe gestellt, doch wenn er die ersten drei Tage überstanden hatte, wäre das Schwerste vorbei und es würde leichter werden. Die Frage war nur, ob es der Punk so lange schaffte. Drei Tage konnten verdammt lange sein, wenn es einem dreckig ging.
Louis hoffte sehr, dass Harry nicht rückfällig wurde und fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, dass er für ihn nicht mehr tun konnte, als ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Man konnte Niemanden dazu zwingen, clean zu werden.
Nachdem er ausgiebig geduscht und das kleine Badezimmer komplett eingenebelt hatte, war er wieder frisch. Sowohl körperlich, als auch im Kopf. Louis war zu dem Schluss gekommen, dass es am Sinnvollsten wäre, wenn er in den nächsten Tagen im Hilfswerk blieb um Harry rund um die Uhr im Auge behalten zu können. Frisch umgezogen stand Louis jetzt vor seinem Kleiderschrank und packte einige Sachen in eine kleine Reisetasche, die geöffnet vor ihm auf dem Fußboden stand. „Wo willst du denn hin? Wieso packst du?" Tom war aus seinem Zimmer gekommen. Fertig angezogen, stand er in Louis Tür und musterte ein wenig verwirrt die Reisetasche. „Ich muss ein paar Tage auf der Arbeit übernachten. Ich hab da einen Junkie, der einen kalten Entzug macht und ich kann ihn nicht alleine lassen." - „Oha, das klingt ziemlich heftig. Ist das nicht gefährlich? Der könnte dich doch sicherlich angreifen, oder?" Tom wirkte beunruhigt, doch Louis schüttelte den Kopf: „Ich kann mich wehren. Außerdem ist Harry erst 19, den krieg ich schon gebändigt." - „Gut, dann bin ich ja beruhigt", sagte Tom, grinste ihm noch einmal zu und griff dann nach seiner Umhängetasche: „Wir sehen uns!" rief er und verließ die Wohnung. „Ja, bis dann", erwiderte Louis abwesend, in Gedanken schon wieder beim Packen der Tasche.
Mit einiger Verspätung, weil er Zuhause doch noch ein wenig getrödelt hatte, kam Louis erst gegen halb zehn zurück ins Hilfswerk. Er stellte seine Tasche im Gemeinschaftsraum ab und nahm dann den direkten Weg hinauf in die WG. Auf halbem Weg die Treppe hinauf, kamen ihm Liam und Niall entgegen. Sie trugen Jacken und Turnschuhe und machten den Eindruck, als seien sie gerade auf dem Sprung. „Wo wollt ihr denn hin?" fragte Louis neugierig und Niall antwortete strahlend: „Liam und ich gehen ins National History Museum, damit ich mal wieder ein bisschen raus komme." Er schien total aufgeregt und konnte es kaum abwarten. Liam machte ein stolzes Gesicht und erklärte, dass Niall sich so gut in der Therapie machte, dass er eine Belohnung verdient hatte. Es war gut, dass man den Jugendlichen solche kleinen Ausflüge in Begleitung nach und nach erlaubte, damit sie den Kontakt zur Außenwelt nicht verloren und lernten, dass es „draußen" auch andere Dinge außer Diebstahl und Drogenkonsum gab. „Liam, los beeil dich, sonst müssen wir so lange anstehen!" rief Niall und sprang die Treppe hinunter, wie ein aufgeregter Hundewelpe. Amüsiert nickte Liam zu ihm hin und sagte: „Du siehst; ich muss dann mal los." - „Viel Spaß!" rief Louis ihnen nach und brachte die letzten Stufen hinter sich.
Mit dem optimistischen Gefühl, dass Harry irgendwann genauso weit sein würde wie Niall, betrat Louis die WG. Hier drin war es still. Alle Türen waren geschlossen und nur aus dem Zimmer von Rebecca konnte er leise Musik und Eleanors ruhige Stimme hören – offenbar waren die Beiden gerade in der Gesprächstherapie. Leise schlich er an der Tür vorbei, bis er das Ende des Flurs erreicht hatte und klopfte leise an die geschlossene Tür von Harrys Zimmer.
Er bekam keine Antwort und drückte die Klinke einfach herunter. Ein säuerlicher Geruch schlug ihm entgegen und sein Blick fiel auf Harry, der in einer Ecke auf dem Boden saß und einfach furchtbar aussah. Er zitterte am ganzen Körper, seine Haut war mit einem feinen Schweißfilm überzogen und sein Pullover und die Jeans hatten sich mit dem vollgesaugt, was Harry offenbar erbrochen hatte. Er hob den Kopf, sah Louis und sagte: „Es tut mir Leid....du hast die Schüssel weggenräumt und...ich habs nicht rechtzeitig ins Badezimmer geschafft...es hat mich total überrascht..." Er ebbte ab und es war deutlich zu spüren, dass es ihm unglaublich peinlich war, dass Louis ihn so vorgefunden hatte. Doch Louis hatte schon so Einiges gesehen, was weitaus schlimmer war, als in seinem eigenen Erbrochenen zu sitzen und so stieg er umsichtig über eine Pfütze am Boden, griff Harrys Arm und zog ihn auf die Beine. „Komm, du musst in die Dusche und aus diesen Klamotten raus." Langsam ging es ins Badezimmer und Harry schwankte ab und zu, doch Louis hatte ihn fest am Arm gepackt und bugsierte ihn zielsicher in die Duschkabine, die ebenerdig zu betreten war. „Bleib einfach stehen, ich mach das." wies er Harry an und zog ihm vorsichtig die schmutzigen Klamotten aus. „Nein, das mach ich selbst, du musst das nicht machen, Louis", stammelte Harry und drehte den Pullover beim Ausziehen auf links, sodass Louis den nassen Stoff nicht direkt anfassen musste.
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Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...