Mit einem Stadtplan in der Hand, auf dem Niall ihm die Plätze und Straßen markiert hatte, verließ Louis am Abend das Gebäude und wollte sich noch einmal auf den Weg machen.
„Louis, warte mal!" rief eine Stimme und Eleanor kam durch den dunklen Flur auf ihn zugerannt, schlüpfte durch die Tür hinaus ins Freie und atmete erleichtert aus. Sie hatte Feierabend, genau wie er, doch im Gegensatz zu ihm, würde sie jetzt nach Hause gehen. Sie schlüpfte in ihre Jacke und spannte den Regenschirm auf, denn es regnete immer noch.
„Und was hast du heute Abend noch so vor?" fragte sie, als sie gemeinsam zur U-Bahn Haltestelle gingen. Louis zog den Stadtplan aus der Tasche und zeigte ihn Eleanor: „Ich versuche zwei Jungs zu finden, die ich auf der Straße gesehen habe und die meiner Meinung nach Hilfe brauchen. Wie geh es Rebecca?" - „Oh sie hat heute fast den ganzen Tag geschlafen, sich noch einige Male übergeben, aber ihr Zustand wird langsam beser." antwortete Eleanor und lächelte müde. Offenbar hatte die den ganzen Tag bei dem Mädchen verbracht, das sie gestern Abend gefunden hatten.
An der Haltestelle trennten sich ihre Wege. Eleanor nahm die District Line und fuhr in die eine Richtung, während Louis die Circle Line in die entgegengesetzte Richtung nahm. Es war gerappelt voll, wie immer um diese Uhrzeit und er hielt sich an einer der Halteschlaufen fest, um nicht umzufallen, während sich die Bahn ruckelnd in Bewegung setzte.
An der Haltestelle Embankment ließ er sich zusammen mit den anderen Pendlern aus dem Wagen schwemmen und ging durch die langen, unterirdischen Gänge zu den Rolltreppen, die einen wieder an die Oberfläche brachten. Es regnete immer noch und langsam wurde es dunkler. Louis stellte sich an einer Bushaltestelle unter und warf einen Blick auf die Karte von Niall, wo sich ein Kreuz genau an der Stelle befand, an der er gerade stand. Louis sah sich um und sah die Brücke, die von hier aus die Themse überspannte und recht breit war. Zwei Sitzbänke waren auf einer kleinen Plattform angebracht, damit man sich setzen und den Ausblick auf die Themse genießen konnte. Heute saß dort allerdings Niemand, denn der Ausblick war nicht sonderlich schön. Das Wasser des Flusses war grau und der Wind biss einem in die Haut, wenn man zu lange dort saß. Trotzdem sah sich Louis hier genau um, um sicher zu gehen, Zayn und Harry nicht zu übersehen, doch nach einigen Minuten musste er sich eingestehen, dass er hier wohl falsch war und machte sich auf den Weg zum nächsten Kreuz auf seiner Karte.
Das Glück war nicht auf seiner Seite. Bis 23 Uhr lief Louis alle Punkte ab, doch nirgendwo war auch nur eine Spur von den Beiden zu finden und das musste schon etwas heißen, denn mittlerweile hatte er einen guten Blick dafür entwickelt, Schlupfwinkel und potentielle Verstecke zu erkennen.
Vielleicht hatte er morgen mehr Glück.
Am nächsten Tag zog er schon früh, gemeinsam mit Liam los, um weiter nach den beiden Punks zu suchen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, ihnen zu helfen und manchmal musste man Jemanden zu seinem Glück zwingen. Wenn sie nicht erkannten, dass sie Hilfe brauchten, würde er sie ihnen eben immer wieder anbieten. Doch dazu musste er sie erst einmal finden und das war alles andere als einfach. Heute war es immerhin trocken, wenngleich der Himmel trotzdem voller Wolken war und man sich kaum vorstellen konnte, dass es vor wenigen Tagen noch sommerlich warm gewesen war. „Wir könnten die öffentlichen Toiletten an den U-Bahnhöfen checken." schlug Liam vor, nachdem sie eine große Runde gedreht hatten und erfolglos geblieben waren. „Wenn Zayn und Harry wirklich Heroin nehmen, dann ist die Toilette ein ganz guter Anhaltspunkt. Da hätten sie genug Ruhe, um sich zu spritzen. " sagte Liam und nickte weise. Louis verdrehte innerlich die Augen. Liam war ein netter Kerl, doch war er so linientreu und arbeitete gerne nach Schema X, dass es Louis immer ziemlich schnell nervte. Eine spontane Planänderung war mit Liam niemals möglich, denn das überforderte ihn völlig. Im Gegensatz zu Louis, der sich häufig von seinem Gefühl leiten lies, erstellte Liam sich am Schreibtisch jeden Morgen eine Liste mit Dingen, die er abarbeiten wollte, anstatt einfach zu tun, was ihm in den Sinn kam. Natürlich hatte diese Liste seine Vorteile, wenn man bedachte, dass er die Berichte, die sie den Sozialämtern über ihre Schützlinge abgeben mussten, immer pünktlich fertig hatte, während Louis sie häufig auf den letzten Drücker ablieferte. So kam es eben auch, dass er die Meinung vertrat, dass jeder Heroinabhängige, seine Drogen in öffentlichen Toiletten konsumierte, weil er das irgendwo einmal gelesen hatte. Weil ihm kein passendes Gegenargument einfiel, willigte Louis ein und sie nahmen sich sämtliche, öffentliche Toiletten im Umkreis vor.
Sie fanden zwei Erwachsene Fixer, die gerade ihre Spritzen wegwarfen und sie misstrauisch ansahen, als sie die Tür zur Toilette öffneten, und erwischte ein Pärchen inflagranti. Doch von Zayn und Harry war keine Spur zu finden.
Gegen Mittag saßen sie zusammen in einem kleinen Sandwichladen und aßen. Liam wollte sich danach auf den Weg zurück ins Büro machen, denn er hatte noch einige Berichte zu schreiben, weshalb Louis ziemlich demotiviert allein weiterzog. Er war frustriert, weil sie keinen Erfolg gehabt hatten. Es schien, als ob die Beiden wie vom Erdboden verschluckt waren, doch das konnte ja nicht sein. Er faltete den Stadtplan zusammen und schob ihn zurück in den Rucksack, dann fiel sein Blick auf das Schild der Tube und ihm kam ein Gedanke, der zwar hirnrissig, aber nicht unmöglich war: was, wenn die Beiden sich in einer der ungenutzten U-Bahn Stationen einquartiert hatten? Von denen gab es in London ziemlich viele: manche waren gebaut und nie eröffnet, andere nach jahrelanger Nutzung geschlossen worden, weil sie nicht mehr lukrativ genug waren. Kurzerhand kramte er sein Smartphone aus der Tasche und tippte „Unused London Tube Stations" in die Suchmaschine ein.
Da Niall gesagt hatte, Harry und Zayn hielten sich hauptsächlich in der City of Westminster auf, erschien es ihm logisch, nach verlassenen Stationen in diesem Bezirk oder in angrenzenden zu suchen. Leider schien es in Westminster keine verlassenen Stationen zu geben, aber auf der Picadilly Line, befand sich die Station Aldwych, die laut Google seit 1994 geschlossen war. Entschlossen packte er das Handy wieder weg und machte sich auf den Weg zu der Station, deren Eingangsgebäude laut Internet noch stand.
Weil er verhindern wollte, die Jungen zu verfehlen, sollten sie sich doch zufällig irgendwo Draußen aufhalten, ging Louis den ganzen Weg zu Fuß, obwohl er so fast 30 Minuten länger brauchte, als mit der U-Bahn, doch das war ihm egal.
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Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...