Nachdem er nur vier Stunden geschlafen hatte, wurde er von Liam geweckt, der neben dem Klappbett auf dem Boden kniete und ihn vorsichtig anstupste: „Lou, aufwachen." flüsterte er und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sofort schlug er die Augen auf und sah seinen Kollegen erschrocken an. „Hm? Was ist passiert? Ist was mit Harry?" fragte er verschlafen und setzte sich auf, doch Liam machte einen recht entspannten Eindruck, was ihn schnell wieder beruhigte. „Nein, es geht ihm gut....oder zumindest besser. Er hat aber nach dir gefragt." sagte Liam und machte sich einen Kaffee in der kleinen Küche, die sich ebenfalls im Raum befand. Louis schlug die Decke beiseite und angelte sich seine Jeans vom Boden. Während der Kaffee durch die Maschine in die Tasse lief, drehte sich Liam zu ihm um und sagte: „Du weißt aber, dass du heute frei hast, oder? Offiziell ist es dir gar nicht erlaubt, hier zu sein..." - „Ich weiß, Liam...Behalte es einfach für dich okay?Ich kann Harry jetzt einfach nicht allein lassen, nachdem was gestern passiert ist." sagte Louis, stand auf und nahm sich ebenfalls eine Tasse aus einem der Hängeschränke über der Spüle. Liam griff nach seinem Kaffee und seufzte, weil Louis nicht einsichtig war und nach Hause ging, nickte aber dann und ging zurück in sein Büro.
Mit wirren Haaren und müden Augen stand Louis wenig später vor der Zimmertür des Raumes, in dem er Harry gestern untergebracht hatte. Er klopfte leise an der Tür, falls Harry schlief und öffnete sie dann vorsichtig. Die Lampe auf dem kleinen Tischchen brannte und tauchte das kleine Zimmer, in dem nur ein Bett stand, in ein warmes Licht. Harry lag auf dem Bett und sah noch immer ziemlich mitgenommen aus, war blass und seine Wangen eingefallen. Er drehte langsam den Kopf, als er Louis hereinkommen hörte. „Guten Morgen. Wie geht es dir heute?" fragte Louis und setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Bett stand, die Kaffeetasse immer noch in der Hand. „Ein bisschen besser, aber ich fühl mich ziemlich schwach..." Er zog die Nase hoch und fuhr sich mit dem Handrücken darüber, wie er es im Kiosk schon einmal getan hatte, doch jetzt fing sie an zu bluten und er setzte sich erschrocken auf. „Bleib sitzen, ich hole dir ein Taschentuch." Louis verschwand im angrenzenden Badezimmer und kam mit einer Rolle Toilettenpapier zurück, die er Harry in die Hand drückte. Dieser wickelte sich ein paar Blatt ab und hielt sie sich unter die Nase. „Passiert das öfter?" - „Ab und zu." erwiderte Harry dumpf und sah prüfend auf das Papier, ob es vielleicht schon aufgehört hatte zu bluten. „Warum wolltest du mich sehen?" fragte Louis und trank den Rest seines Kaffees aus. Es wirkte noch nicht, sicherlich würde er sich gleich noch einen machen müssen. „Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Ich hab irgendwie das Gefühl, dass du der Einzige bist, dem ich hier vertrauen kann." Die Worte machten Louis unglaublich glücklich, denn es zeigte ihm, dass sich seine Arbeit in den letzten Tagen gelohnt zu haben schien.
Obwohl Harry gesagt hatte, dass er ihm vertraute, schien er nicht den Mut zu haben, sich bei Louis auszusprechen und so saßen sie eine ganze Weile schweigend nebeneinander, während Harry sich wieder auf den Rücken legte und an die Decke starrte. Louis musterte sein Gesicht: der Ring in der Unterlippe war schwarz und auch in seinen Ohren waren einige Ringe angebracht, was Louis erst jetzt auffiel. Seine Nase war gerade und seine Lippen voll und schön geschwungen, wenngleich sie immer noch ziemlich trocken und rissig waren. Während er ihn so beobachtete, wünschte sich Louis nichts mehr, als dass Harry aus der gestrigen Nacht lernte und sich dafür entschied, hier zu bleiben. „Würdest du gerne hier bleiben?" fragte er vorsichtig und sah den Punk an, der seinen Blick unsicher erwiderte. „Wie meinst du das? 'Bleiben'?" - „Naja, du könntest hier zusammen mit den Anderen in der WG leben. Du würdest Therapiestunden bekommen, um von den Drogen loszukommen und könntest ein neues Leben anfangen." Bei seinen letzten Worten hatte Harrys Gesichtsausdruck von interessiert zu grimmig gewechselt und er sagte tonlos und abweisend: „ Und was, wenn ich das gar nicht will? Vielleicht mag ich mein Leben, so wie es ist ja ganz gerne..." - „Willst du mich veräppeln? Jetzt mag das vielleicht noch ganz nett sein, aber was willst du tun, wenn du mal älter bist? Willst du auf der Straße leben, bis du grau bist?" Louis konnte nicht verhindern, dass er spöttisch klang, doch das war nun auch egal. Wollte Harry allen Ernstes einfach weiter auf der Straße leben? Louis hatte genug Statistiken gelesen, um zu wissen, dass ein Mensch, der eine gewisse Zeit auf der Straße gelebt und ein gewisses Alter erreicht hatte, meistens für immer auf der Straße blieb. Wollte Harry das wirklich oder konnte er sich einfach nicht eingestehen, dass er Hilfe brauchte? Die Stimmung zwischen ihnen beiden war gekippt und Harry sah Louis mit einem ziemlich bockigen Gesichtsausdruck an, schien für den Vorschlag, hier zu bleiben, nichts übrig zu haben und wich Louis Blick aus. „Gut, du musst tun, was du für richtig hälst und was in deinen Augen das Beste für dich ist." mit diesen Worten wandte er sich um und verließ das Zimmer wieder. Vielleicht überlegte Harry es sich ja anders, wenn er ihn mit dem Gedanken einfach mal alleine ließ.
Ein wenig demotiviert suchte er die WG auf in der Niall, Perrie und Rebecca lebten.
In der WG war es still und Louis ging geradewegs in die Küche, denn von dort fiel Licht auf den Flur. Perrie saß am Küchentisch und aß langsam und bedächtig eine Schale Schokoflocken mit Milch. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem hohen Dutt gebunden, trug eine Jogginghose und hatte die Beine auf den Tisch gelegt. Geschockt blieb Louis in der Tür stehen und sah sich um: hier sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. „Bist du für das hier verantwortlich?" fragte Louis und deutete mit hochgezogenen Augenbrauen auf das Chaos: zerrissene Zeitungen bedeckten den Boden, überall lag Geschirr herum, das zum Glück aus Plastik war und alles war mit Krümeln dekoriert, was, wie Louis vermutete der Inhalt einer Cornflakespackung gewesen war. „Nein, das war Rebecca. Sie ist irgendwie durchgedreht letzte Nacht und hat alle möglichen Sachen durch die Gegend geschmissen..." sagte sie und sah ebenfalls ein wenig bedauernd auf die Unordnung. Vermutlich war Rebecca auf Grund ihres Entzugs so ausgeflippt, da passierte es häufiger, dass Jemand die WG zerlegte – ein Grund, weshalb in der Küche nur Plastikgeschirr in den Schränken stand, denn auf die Dauer war es ein wenig teuer, ständig neue Teller und Tassen kaufen zu müssen. „Okay, dann räume ich mal ein wenig auf. Hilfst du mir?" fragte Louis Perrie, die nickte und aufstand. „Ich sag Niall mal Bescheid, der ist in den letzten Tagen sowieso viel zu faul..." Louis kramte in den Schubladen nach einer Mülltüte, schüttelte sie auf und begann damit, die Cornflakes einzusammeln, von denen einige bereits zu Krümeln zertreten waren. „Oh Gott, wer war das?" fragte Niall, und blieb etwas erschrocken in der offenen Tür stehen, als er das Chaos in der Küche sah. „Das war wohl Rebecca." antwortete Louis nur und drückte Niall ebenfalls eine Plastiktüte in die Hand, damit er anfing alles zusammen zu sammeln.
Weil es in der WG keinen Staubsauger gab, mussten die Cornflakes-Krümel per Hand aufgefegt werden, was ein wenig dauerte, Louis allerdings die Möglichkeit verschaffte, sich mit Niall noch einmal über Harry zu unterhalten. Der Ire geriet ganz aus dem Häuschen, als er erfuhr, dass einer seiner ehemaligen Mitstreiter auch hier war, dass er es kaum abwarten konnte, ihn zu sehen. So bliebt es Louis erspart, Niall direkt zu fragen, ob er einmal mit Harry sprechen könnte, denn er bot es von selbst an. „Wo ist er denn?" fragte er neugierig, als sie fast fertig waren. „In dem kleinen Schlafzimmer nebenan." antwortete Louis und Niall nickte: „Alles klar. Ich geh mal rüber und rede mit ihm." mit diesen Worten verschwand er aus der Küche.
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Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...