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Irgendwie hatte er es schon geahnt und trotzdem schien es, als fiele ein Gewicht aus großer Höhe in seinen Magen und der Mund klappte ihm auf. „...du musst nicht das Hilfswerk verlassen, aber diese Zweigstelle. Hier kannst du nicht bleiben, solange Harry hier ist. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, dich zu beurlauben, aber ich kann ja jetzt noch nicht sagen, wie lange Harry hier bleibt und so lange kann ich dir keinen bezahlten Urlaub geben. Und unbezahlt wollte ich dich auch nicht lassen – wir wissen ja Beide, wie teuer London ist. Deswegen habe ich schon mit der Zentrale telefoniert und die sagten mir, dass die Suchtstelle in Camden Town noch einen Mitarbeiter bräuchte. Du könntest direkt am Montag dort anfangen." Liam zog ein Blatt Papier zu sich heran, dass offenbar die Eckdaten der Suchtstelle enthielt, und las vor: „5 Kollegen, Schichtdienst, Beratung von Süchtigen zur Wahl der richtigen Vorgehensweise für Entzug, Jobsuche, Wohnungssuche oder sonstigen Angelegenheiten. Es wäre eher ein Bürojob und weniger das Arbeiten auf der Straße, aber die Menschen die dorthin kommen sind deutlich kommunikativer, weil sie freiwillig da sind." erklärte Liam, legte den Kopf schief und sah Louis fragend an. Louis seufzte und nickte langsam. Das war ganz schön viel Info auf einmal und er fühlte sich ein wenig überfahren, doch Liam hatte sein Bestes gegeben und so sagte er: „Ja, das klingt nach einer guten Lösung. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Nick mit Harry keinen Spaß haben wird, wenn der mitbekommt, dass ich gehe." Sein Kollege seufzte und nickte: „Ja, das kann sein, aber wenn du hier bleibst und er dich jeden Tag sieht, dann wird es ja auch nicht besser. Vielleicht würde er sogar gegen Nick rebellieren, nur um dir wieder zugeteilt zu werden. Und ganz ehrlich – DEN Stress will ich mir wirklich ersparen." Sie blickten einander an und Louis sah ein, dass Liam wirklich alle Möglichkeiten im Kopf durchgespielt hatte, die es geben könnte. „Okay, dann einigen wir uns also auf eine Kündigung und einen Dienststellenwechsel." sagte Louis und es fiel ihm sehr schwer, diese Worte auszusprechen. Es klang dann so beschlossen und er hatte keine Ahnung, wie um alles in der Welt er das Harry beibringen sollte. „Ich gehe mal das Schreiben holen, ja?" fragte Liam und sah ihn traurig an: „Tut mir wirklich Leid, dass wir es so machen mussten, aber anders wäre es nicht möglich gewesen. Du kannst Harry ja ab und zu besuchen, bis er soweit selbstständig ist..." - „Schon gut Liam. Ich weiß ja, dass du nur das Beste für alle willst." Dieser Satz hätte ironisch klingen können, doch Louis meinte ihn todernst. Er wusste, dass Liam unter anderen Umständen anders gehandelt hätte und auch, dass er nicht scharf darauf war Louis oder Harry wehzutun. Doch es ging nicht anders.

Als die Tür hinter Liam zufiel lehnte sich Louis mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl zurück und lies das alles erst einmal sacken: dann war es also endgültig: er würde das Hilfswerk verlassen und heute seinen letzten Arbeitstag haben. Weil er „nur" die Dienststelle wechselte, war es nicht nötig, dass man sich an die Kündigungsfristen hielt. Er hob den Kopf und ließ den Blick durch das Büro schweifen.

Drei Jahre hatte er hier an diesem Schreibtisch gesessen, Jugendliche betreut, Dramen erlebt und Erfolge verbucht. Alles in Allem war er hier wirklich glücklich und zufrieden gewesen und es fiel ihm wirklich schwer, sich vorzustellen, dass er heute seine Sachen zusammenpacken würde.

Am Besten er fing gleich damit an, dann war es sicherlich nicht so schlimm. Also stand er auf, ging zu seinem Schreibtisch und fing an, alle seine persönlichen Gegenstände aus den Schubladen zu kramen und diese in einen leeren Schuhkarton zu packen, der noch unter seinem Schreibtisch stand. Obwohl er 3 Jahre lang hier gewesen war, hatte sich gar nicht so viel persönlicher Krims Krams angesammelt, wie er angenommen hatte. Am Ende war der Karton nicht einmal ganz voll.

Liam kam zurück, als Louis gerade die letzte Schublade geschlossen und seinen Schreibtisch ein letztes Mal aufgeräumt hatte. Er hatte ein Blatt Papier dabei und legte es ihm hin.

„Hier, das ist der Aufhebungsvertrag. Ich hab gerade noch bei der Suchtstelle für dich angerufen und die freuen sich schon sehr auf dich. Oh du hast schon alles zusammengepackt?" er deutete auf den Karton, der auf dem Schreibtisch stand, während Louis das Papier zu sich herangezogen hatte und noch einmal alles überflog, bevor er nach einem Stift griff und seine Unterschrift darunter setzte. Je schneller das erledigt war, desto besser. „Willst du es Harry schon sagen?" fragte Liam und nahm das Papier wieder an sich, musterte die Unterschrift ein wenig traurig und legte es dann in seine Schublade. „Naja, ich werd's ihm schon sagen müssen oder? Nur, weil ich jetzt hier aufhöre, heißt das ja nicht, dass meine Gefühle für ihn abgeschaltet sind. Es wäre nur fair, wenn er es von mir persönlich erfährt, oder nicht?" sagte Louis und stand auf.

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