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Sie trieben sich bis Mittag am Picadilly Circus, Trafalgar Square und Buckingham Palace herum, doch von Harry oder Zayn war nichts zu entdecken. Mit Sicherheit waren sie äußerst wachsam, weil sie wussten, dass Louis sicherlich auf der Suche nach Harry war. Irgendwann musste Eleanor los, weil sie rechtzeitig zum Termin mit Rebecca wieder im Hilfswerk sein musste und Louis suchte alleine weiter. Einmal zog er sogar in Erwägung, noch einmal in der U-Bahn Station nachzusehen, doch er wollte dem Kioskbesitzer keinen Anlass geben, ihn verdächtig zu finden. Womöglich entdeckte er die Jungs womöglich und sie würden ihren Schlafplatz verlieren und das wollte Louis nicht verantworten. Ihm war kalt und sein Kopf tat weh. Die ständige Wachsamkeit war anstrengend und er hätte sich am Liebsten in ein Café gesetzt, um ein wenig abzuspannen, doch er wollte sich keine Pause gönnen, schließlich war er es gewesen, der Harry eine Gelegenheit zur Flucht verschafft hatte und das musste er jetzt wieder gutmachen. Doch so langsam fielen ihm keine Orte mehr ein, wo er suchen konnte.

Seufzend ließ er sich auf einer Bank gegenüber des Ausgangs einer Station nieder und lehnte sich zurück. Es deprimierte ihn, dass er keinen Erfolg hatte und die Angst, dass Harry etwas passiert sein könnte, machte ihm sehr zu schaffen. Bisher hatte er sich noch nie so sehr um einen Teenager gesorgt, den er zu betreuen hatte. Irgendwie berührte ihn Harry deutlich intensiver, als alle anderen bisher. Der Wunsch, ihm zu helfen, war fast übermächtig. Louis seufzte und kramte in seinem Rucksack nach einer Thermoskanne Tee, um sich ein wenig aufzuwärmen. Als er sie gefunden hatte, lehnte er sich wieder zurück und starrte auf den Ausgang der Station, wo die Menschen geschäftig herauskamen oder verschwanden.

Gerade, als er die kleine Tasse an die Lippen setzen wollte, sah er ihn. Zayn schob sich zwischen den Leuten hindurch, den Blick geradeaus geheftet. Louis folgte seinem Blick und erkannte tatsächlich Harry, der hinter einem Briefkasten auf dem Boden saß. Er trug tatsächlich noch die Jogginghose, hatte sie in seine Stiefel gesteckt und trug einen Pullover, der ihm ein wenig zu groß war. Vielleicht hatte Zayn ihm den geliehen?

Harry hatte den Kopf gesenkt und sah müde aus, während Zayn auf ihn zusteuerte. Louis behielt ihn im Blick und stand langsam auf. Wenn er sich unauffällig unter die Passanten mischte, dann würde er sich vielleicht bis zu ihnen heranschleichen können. Es war viel los auf der Straße und Louis wagte es kaum, den Blick auf etwas anderes zu lenken.

Diese Straßenkinder hatten das Talent, sich einfach in Luft aufzulösen und Louis wollte sich nicht abschütteln lassen. Dummerweise hatte er heute seine blaue Windjacke angezogen und die stach in dem Getümmel aus schwarzen und braunen Jacken und Mänteln ziemlich hervor. Als er auf der anderen Straßenseite an einem Zebrastreifen stand und ungeduldig darauf wartete, dass die Ampel umsprang, hob Zayn den Blick und sah ihm direkt in die Augen. Sein Herz begann zu rasen, als er zusehen musste, wie der Punk sich neben Harry kniete und ihm etwas sagte. Der Lockenkopf sah über die Schulter, blickte Louis an und sein Ausdruck wurde steinern. Er presste die Lippen zusammen und zog die Augenbrauen leicht hoch, dann ließ er sich von seinem Freund auf die Beine ziehen.

„Nein...scheiße....werd doch endlich grün...." flehte Louis die Ampel an und rannte los, als das Signal gewechselt hatte. Im Zick Zack brachte er die Passanten hinter sich, doch er wurde immer wieder angerempelt, was ihn dazu zwang, den Blick von den Jungen abzuwenden. Als er ihn wieder hob und endlich die andere Straßenseite erreichte waren sie verschwunden.

„FUCK!" schrie er und trat gegen den Briefkasten, an dem Harry noch vor wenigen Augenblicken gelehnt hatte.

Vorbeigehende Menschen warfen ihm missbilligende Blicke zu, weil er in aller Öffentlichkeit fluchte, doch das war ihm egal. Wie konnte man nur so ein Pech haben? Jetzt wussten Zayn und Harry definitiv, dass er auf der Suche nach ihnen war und waren mit Sicherheit noch wachsamer. Er würde es noch schwerer haben, sie wieder zu finden. Womöglich wechselten sie jetzt noch ihr Revier, dann wäre er völlig verloren und würde sie so schnell nicht wieder aufspüren. „Du bist ein Versager, Tomlinson." schalt er sich selbst und beschloss, es für heute bleiben zu lassen und zurück zum Hilfswerk zu fahren.

„Hast du ihn gefunden?" fragte Liam, als Louis das Büro wieder betrat. „Ja hab ich und ich hab ihn auch gleich in meinen Rucksack gepackt und mitgebracht..." antwortete sarkastisch und zog seine Jacke aus. Diese verdammte blaue Jacke! Sie hatte ihn verraten und dafür gesorgt, dass er Harry vielleicht nie mehr wiederfinden würde. „So ein mist", sagte Liam und sah Louis dabei zu, wie er sich den Beanie vom Kopf riss und sich auf seinen Stuhl fallen ließ. „Eleanor hat mir erzählt, wie es passiert ist. Aber mal ganz ehrlich Louis, das war auch ein bisschen leichtsinning von dir, eine Mittagspause zu machen, ohne einen Aufpasser bei Harry zu lassen. Oder ihn wenigstens einzuschließen." Louis setzte sich aufrecht hin und funkelte Liam wütend an. Immer wusste er alles besser und davon hatte er jetzt genug. Nicht nur, dass er sich Sorgen um Harry machte und Angst hatte, er würde nicht zurückkommen, jetzt musste er sich noch Vorwüfe von seinem ach so perfekten Kollegen anhören, dessen Schützling sich langsam immer besser machte. „Glaubst du, mir ist nicht bewusst, dass das saublöd war?", schrie er ihn an. „Aber das hier ist ein Jugendhilfswerk und kein Knast. Ich kann ihn doch nicht einfach so wegsperren. Und nur, weil DIR das mit Sicherheit nicht passiert wäre, musst du mir jetzt nicht auch noch Vorwürfe machen, ich weiß selbst, dass es meine Schuld ist. Deshalb bin ich auch gestern und heute auf der Suche nach ihm gewesen!" Liam nickte: „Ja und du solltest wirklich versuchen, ihn wieder zu finden. Immerhin bekommen wir Gelder, die du in den Sand setzt, wenn Harry nicht erfolgreich rehabilitiert wird-"

„DAS GELD IST MIR SCHEIßEGAL, LIAM! Hier geht es um das Leben eines jungen Kerls und nicht um Kohle, verdammt nochmal, es geht darum, ein Leben zu retten! Ach, was streite ich mich eigentlich mit dir herum? Ich mach jetzt erstmal ein paar Tage frei." - „Louis, mir geht es nicht hauptsächlich um das Geld. Ich will auch Leben retten. Du stellst mich hier hin, als sei ich ein eiskalter Typ. Aber ich bin eben realistisch und rational und du leider oft viel zu emotional." sagte Liam und Louis zuckte die Schultern: „Na und? Dann bin ich eben emotional. Ich lege meinen Beruf einfach nicht an der Eingangstür ab. Das kann ich einfach nicht." Schwer atmend packte Louis seine Sachen zusammen und machte sich auf zum Gehen. „Sollen wir dich anrufen, falls er auftaucht?" frage Liam ruhig, kurz bevor Louis die Tür erreicht hatte. „Ja, WENN er auftaucht, dann könnt ihr mich anrufen." sagte er kurz angebunden und zog die Tür mit einem Ruck hinter sich zu.

Mit schnellen Schritten stapfte Louis den Flur entlang. Hoffentlich begegnete ihm Niemand und fragte, wieso er so sauer war, denn sicherlich würde er ihn dann nur anschreien. Er schulterte den Rucksack, zog sich die Mütze wieder auf und öffnete die Eingangstür. Er war so wütend, dass ihm Tränen in die Augen gestiegen waren und ihm die Sicht verschwimmen ließen. Grob wischte er sie weg, ging dann die Stufen zur Straße hinunter und machte sich auf den Weg nach Hause.

Einige Tage mal nicht her zu kommen, würde ihm sicherlich gut tun und ihn ein bisschen auf andere Gedanken bringen. Sein Kopf fühlte sich an, als bestünde er aus einem einzigen Knoten und dieser musste ganz dringend gelöst werden.

Außerdem war sich Louis nicht sicher, ob er Harry als Betreuer zurücknehmen würde, wenn er wieder auftauchte. Vielleicht war es besser, wenn sich Eleanor oder Liam um ihn kümmerten, denn Liam hatte recht mit der Aussage, dass Louis häufig viel zu emotional reagierte. Er ließ den Job nahe an sich heran, trug die Schicksale mit denen er konfrontiert wurde mit sich herum und wälzte die Probleme der Jugendlichen im Kopf hin und her, um Lösungen für sie zu finden.

Auch wenn er es sich ungern eingestand, aber ab und zu wünschte er sich, er sei wie Liam. Er wünschte sich, dass ihn der Job erfüllte, aber nicht soweit ausfüllte, dass es in seinem Leben nichts anderes als das zu geben schien. Auf der anderen Seite war er an manche Fälle viel besser herangekommen, weil er sich den Jugendlichen geöffnet hatte und ihnen als Freund begegnet war. Ob Hary in ihm auch einen Freund sah? Eine Vertrauensperson? Jemanden, dem er sich ganz öffnen konnte? Vor seinem inneren Auge tauchten die Bilder der letzten Tage auf. Harry hatte ab und zu nach seiner Hand gegriffen und damit die unsichtbare Barriere zwischen ihnen überwunden.

Sicherlich hatte der Lockenkopf in ihm mehr als nur einen Betreuer gesehen, dessen war sich Louis sicher.

Oder war er einfach zu benebelt gewesen und hatte sich an die erstbeste Person gehangen, die verfügbar gewesen war und das alles war nur Zufall?

Way OutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt