Nach einigen Tagen fühlte sich Harry langsam besser. Dafür war Louis langsam am Ende seiner Kräfte angekommen. Er hatte wenig geschlafen in der letzten Zeit und auch die seelische Belastung, hatte ihn geschlaucht, sodass es manchmal passierte, dass er fast im Sitzen einschlief, wenn er bei Harry im Zimmer saß.
Langsam ließen auch die Symptome nach und man konnte dem Punk ansehen, dass er auf dem Weg der Besserung war; er hatte eine gesundere Gesichtsfarbe bekommen, sein Haar war nicht mehr so stumpf und verfilzte kaum noch, die günen Augen waren nicht mehr so blutunterlaufen und bekamen wieder ihren Glanz zurück, den sie vor langer Zeit einmal gehabt hatten.
Auch Harrys Stimmung wurde besser und das gefiel Louis am Allermeisten.
An einem Nachmittag lag Louis im Wohnzimmer der WG auf der Couch, während Harry und Niall gegeneinander Tischtennis spielten. Sie nutzten den Esstisch als Platte und hatten großen Spaß dabei, sich gegenseitig die Bälle um die Ohren zu hauen. „Ha, ich hab gewonnen!" rief Harry und riss die Arme in die Luft, nachdem der Ire den letzten Ball nur knapp verfehlt hatte. „Warte nur, das schreit nach einer Revange." sagte Niall und wollte gerade den Schläger wieder aufnehmen, als die Tür aufging und Liam hereinkam. Er hatte einen stolzen Gesichtsausdruck aufgesetzt und war in Begleitung von Eleanor, die ebenfalls strahlte. Louis hatte einen Verdacht, woran das liegen könnte. Und tatsächlich bestätigte Liam ihn wenige Sekunden später, indem er sagte:
„Niall, ich habe gerade einen Anruf bekommen: das Zimmer in dem betreuten Wohnen ist heute frei geworden. Du kannst sofort einziehen." Niall hielt inne, den Tischtennisschläger locker in der linken Hand und sah Liam mit offenem Mund an. Er schien es gar nicht glauben zu können. „Das heißt, ich kann hier ausziehen?" fragte er, als müsste er sich nochmals versichern, dass er auch wirklich alles richtig verstanden hatte.
„Ja und Rebecca hat dort auch ein Zimmer. Ihr macht heute einen großen Schritt in ein neues Leben." strahlte Eleanor sie nickte zur Zimmertür des Mädchens hin und verschwand dahinter. Niall strahlte und schien sich wirklich zu freuen, allerdings sah er gleichzeitig auch ein wenig besorgt aus. Es war ein großer Schritt, seinen persönlichen Betreuer hinter sich zu lassen und damit weiter auf ein eigenständiges Leben hinzuarbeiten. Er würde lernen müssen, Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen und das schien Niall ein wenig Angst zu machen. Liam hatte die Bedenken seines Schützlings natürlich bemerkt und sagte aufmunternd: „Niall, das wird toll. Du hast dort viel bessere Freizeitmöglichkeiten und mehr Freiheiten, als hier. Die anderen Jugendlichen in dem Haus sind etwa genauso weit wie du. Ich sehe dir an, dass du Respekt davor hast, aber ich hätte mich nicht um einen Platz für dich bemüht, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass du dafür bereit bist." Louis konnte nicht anders, als Liam dafür zu bewundern, wie er die richtigen Worte fand, um seinem Schützling Mut zu machen. „Okay, wenn du meinst. Dann werde ich mal meine Tasche packen." Niall warf Harry einen Blick zu, der nur nickte, legte den Schläger beiseite und verließ dann mit Liam zusammen das Wohnzimmer.
Kaum war der Ire aus der Tür, stützte sich Harry auf dem Tisch ab und ließ den Kopf hängen. Louis stand von der Couch auf und ging zu ihm herüber, legte ihm den Arm um die Schulter und zog ihn an sich. „Du wirst das auch schaffen, Harry. Du brauchst noch ein bisschen Zeit, aber dann wirst du ebenfalls auf eigenen Beinen stehen. Das verspreche ich dir." sagte er leise und drückte ihn aufmunternd. Sicherlich war Harry gerade erst klar geworden, wie viel Arbeit noch auf ihn zukommen würde. Der Lockenkopf sagte nichts, sondern nickte nur ernst und irgendwie bekam Louis das Gefühl, dass nicht Niall der Grund war, wieso Harry so niedergeschlagen wirkte. „Und was ist, wenn ich das gar nicht will?" Verständnislos sah Louis ihn an und Harry machte es deutlicher: „Naja, was wenn ich gar nicht von hier wegmöchte? Denn dann wärst du ja auch nicht mehr bei mir...." - „Aber Harry, so ist nunmal der Ablauf. Irgendwann musst du die nächste Stufe wagen, sonst kommst du nie am Ziel an." er versuchte beruhigend zu klingen, während er sich gleichzeitig fragte, wieso Harry nicht wegwollte. Insgeheim hoffte er ja, dass der Junge ihn wirklich gerne hatte. „Aber ich will nicht von hier weg. Ich will nicht, dass mir jemand anderes, außer dir, sagt was ich zu tun habe." er klang fast schon bockig und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Jetzt warte es doch erst einmal ab. Du weißt doch noch gar nicht, wie lange es bei dir dauert, bis du hier ausziehen darfst. Also mach dir jetzt noch keine Gedanken über Etwas, das dich noch nicht betrifft, das hält dich nur vom Wesentlichen ab, nämlich dich auf dich selbst zu fokussieren." Harry hielt kurz inne, als müsste er die Worte erst einmal sacken lassen, dann nickte er langsam und löste die Arme aus der Verschränkung: „Okay, bestimmt hast du recht, aber ich habe einfach Angst, dass ich es alleine nicht schaffe und irgendwann doch rückfällig werde." Seine Stimme zitterte, als er sprach und das, obwohl er sich offensichtlich sehr große Mühe gab, sie ruhig klingen zu lassen. Doch Louis fand es keineswegs schlimm, dass er Angst hatte – ihm würde es an Harrys Stelle doch genauso gehen.
„Du weißt nicht, was in der Zukunft passieren wird, Harry. Und jetzt hör auf, dir Gedanken zu machen, die dich ängstigen. Ich bin nämlich ganz froh, dass mein Schützling in den letzten Tagen recht glücklich ausgesehen hat, das hätte ich gerne wieder." Er schloss Harry in die Arme und drückte ihn an sich, ließ ihn dann aber schnell wieder los, falls Eleanor oder Liam zurückkamen. Nervös strich Harry sich die Haare aus der Stirn und räusperte sich verlegen. Louis ging es nicht anders und er sagte schnell: „Hey, was hälst du davon, wenn ich einkaufen gehe und dann kochen wir hier in der Küche was zusammen?" Der Punk nickte und spielte dabei mit den Zähnen an seinem Lippenpierching herum: „Ich kann aber nicht kochen." gab er zu und grinste. „Ich auch nicht. Bzw ich kann nur ein Gericht, aber das können wir ja machen." Sie sahen sich einen Moment an und mussten dann beide kichern, was Louis sehr glücklich machte, denn es war schön zu sehen, dass Harry endlich mal gelöst zu sein schien. Bevor Harry seine Meinung zum Kochen noch ändern konnte, schlüpfte Louis in seine Jacke, warf sich den Rucksack über die Schulter und machte sich auf den Weg.
„Louis, darf ich mitkommen?" fragte Harry vorsichtig und Louis zögerte: er war noch keine Woche clean und wenn er seinen Schützling jetzt mit nach draußen nahm, dann passierte vielleicht dasselbe, wie beim letzten Mal, also schüttelte er schnell den Kopf, bevor Harry es geschafft hätte, ihn mit einem Hundeblick um den Finger zu wickeln. Er zog sich die Mütze auf den Kopf, um nicht in das enttäuschte Gesicht sehen zu müssen und sagte dann aufmunternd: „Aber hey, du kannst doch schon mal eine Pfanne bereitstellen und einen großen Topf und Schneidebrettchen herrichten. Ich brauche wirklich nicht lange. Gibt es irgendwas, das du nicht gut verträgst?" fragte er noch. Schließlich wollte er sichergehen, dass er Harry mit dem Essen nicht versehentlich umbrachte, sollte dieser eine Allergie haben. „Heroin ist grade nicht so gut. Ansonsten geht alles." Überrascht hob Louis die Augenbrauen; wenn Harry schon so weit war, dass er Witze über seine Sucht machen konnte, dann ging es ja langsam wirklich bergauf mit ihm.
Optimistisch gestimmt ging Louis in den nächsten Sainsburys, kaufte Kartoffel und Hühnchen, Mozarella und Parmaschinken. Es war das einzige Rezept, das er von seiner Mutter einmal gelernt hatte und er kochte es häufig. Wenn er mal Zeit zum Kochen hatte gab es also:
Hühnerbrust, gefüllt mit Mozarella, in Parmaschinken gewickelt und dazu selbstgemachten Kartoffelbrei.
Mit einer Tüte bepackt, kam er 20 Minuten später zurück in die WG, wo Harry zu seiner Überraschung mit Eleanor zusammen am Küchentisch saß. Er sah ein wenig niedergeschlagen aus, seine Augen waren etwas gerötet und er zuppelte an seinen Fingern herum. Hatte er geweint? War etwas vorgefallen, während Louis einkaufen gewesen war? Er stellte die Tüte ab und begann auszuräumen, während Eleanor zu Harry sagte:
„...und mehr kannst du mir über Zayn nicht sagen?" Harry schüttelte den Kopf und senkte den Blick. „Nein, ich weiß leider wirklich nicht viel über ihn – seltsam, wenn man genauer darüber nachdenkt. Immerhin haben wir gemeinsam auf der Straße gelebt, da sollte man meinen, dass man sich ganz gut kennt." Nachdenklich und entschuldigend sah er Eleanor an, doch die schien keineswegs enttäuscht darüber zu sein, dass Harry ihr nicht viel Information zu Zayn hatte geben können.
Sie streckte die Hand aus und legte sie ihm tröstend auf die Schulter, dann klappte sie ihr Notizbuch zu und sagte: „Dann werde ich mich mal auf die Suche nach ihm begeben. Danke für deine Hilfe, Harry." Im Vorbeigehen warf sie Louis ein zufriedenes Lächeln zu und flüsterte: „Niall hat sich gerade von ihm verabschiedet, ich glaube, er braucht ein wenig Trost."
„Na, wollen wir anfangen?" fragte Louis und sah Harry aufmunternd an, der abwesend nickte und auf die Arbeitsplatte deutete, wo zwei Holzbrettchen lagen: „Wir können nicht am Tisch schneiden, die Messer in der Schublade sind mit Metallkettchen festgemacht." sagte er und klang ein wenig verwundert, doch Louis nickte: „Ja, das hat seine Gründe, die du dir vielleicht denken kannst." Louis tippte sich an die Wange, genau an die Stelle, wo Harry das T eingeritzt bekommen hatte und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
Dann schob er die Einkäufe zwischen sie und öffnete die erste Verpackung: „Los geht's."
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Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...