„Harry, zieh dich um und beeil dich, wir müssen los!" rief Warren ihm zu, als er die Zentrale erreicht hatte und gerade in den Dienstraum kam. Er nickte rasch, rannte dann zu den Spinden und legte seine Uniform an. Fast fühlte er sich, als schlüpfte er in eine Rüstung. Mit den Klamotten von Roten.Kreuz fühlte er sich immer sicher und mutig und die Angst, die er vorhin noch gehabt hatte, als man ihn zum Einsatz rief, war mit einem Mal verschwunden. Jetzt ging es nicht darum, dass er sich fürchtete, denn das war nicht wichtig. Es ging darum Menschenleben zu retten und seinen Beruf auszuüben – da hatte Angst keinen Platz.
„Bist du soweit?" fragte Warren, als er zwei Minuten später in der Garage auftauchte und nickte. Sie stiegen in ihr Fahrzeug, schalteten das Blaulicht ein und verließen das Gebäude, nachdem das Schiebetor nach oben gefahren war. „Was ist das genau für ein Einsatz? Ich hab nur im Fernsehen was gesehen..." fing Harry an und blickte durch die Windschutzscheibe hinaus auf die Straße. Alle Autos machten Ihnen Platz, als sie durch die Straße brausten. „Ein Amoklauf in einer Turnhalle, wenn alle Infos stimmen. Da war eine Veranstaltung und ein Mann hat um sich geschossen. Die Halle konnte evakuiert werden, aber soweit wir die Info haben, gibt es einige Geiseln und es nicht noch nicht klar, was der Schütze will. Außer uns sind noch andere Einsatzkräfte vor Ort, aber es können ja nie genug sein. Ganz schön spannend für dich, oder? Du bist gerade fertig und schon ein solcher Einsatz." Warren grinste zu ihm hinüber und Harry nickte: „Ja, das hätte ich auch nicht gedacht." antwortete er und war fast ein bisschen stolz darauf, dass man ihn mitgenommen hatte.
Sie bogen um eine Kurve und standen vor einer Polizeiabsperrung, die sie allerdings durchwinkte. Ein wenig langsamer fuhren sie nun durch Straßen, die wie leergefegt schienen. Kein Mensch war unterwegs und an den Straßenrändern standen Einsatzwagen dicht an dicht. Mehrere Sondereinsatzkommandos waren da und Männer in schwarzer Uniform, maskiert und bewaffnet sicherten die Seitenstraßen und das Gebäude ab. Zwei Hubschrauber flogen laut ratternd über ihren Köpfen herum, einer davon gehörte der Polizei, einer der Presse. „Und da sind sie auch alle wieder. Wie die Schmeißfliegen." grummelte Warren, nachdem sie den Wagen abgestellt hatten und mit den Erste-Hilfe Rucksäcken zu ihren Kollegen gingen, sie sich hinter einem Absperrband aufhielten, das den Vorplatz der Turnhalle weiträumig absperrte. Warren deutete nach links und Harry sah die Presseleute, die mit Kameras ausgestattet versuchten, ein Statement zu bekommen, doch die Polizei schien nicht bereit zu sein, jetzt ein Interview zu geben. „Wissen wir schon mehr?" fragte Warren einen Kollegen, als sie bei ihnen ankamen und hinüber zur Turnhalle blicken, wo sich nichts bewegte. „Der Täter ist vermutlich männlich und hat zwei Menschen getötet, einige sind schwer verletzt und befinden sich vermutlich noch im Gebäude." antwortete der Kollege und sah mit bangem Blick hinüber zur Turnhalle. „Ich hab keine Ahnung, wie die Polizei vorgehen will, aber ich hoffe, dass sie den Geiselnehmer dazu bringen, die Verletzten freizulassen. Eine Frau, die evakuiert wurde, sagte, dass sich eine Schwangere in der Turnhalle aufgehalten hat. Vielleicht lässt er wenigstens sie frei." Harry sah hinüber zur Turnhalle. Es war ein großes Gebäude mit einem Flachdach und nur wenigen Fenstern. Alles war still und nichts deutete auf Gefahr hin, wenn man die Horde an Hilfskräften ignorierte. Einige Rettungswagen standen in der Nähe, die Türen geöffnet und die Kollegen dort versorgten gerade noch die letzten Evakuierten, die natürlich unter Schock standen. Es passierte lange Zeit gar nichts und Harry hätte gerne gefragt, was nun der nächste Schritt wäre, doch vermutlich wussten das seine Kollegen nicht und die Polizei war sich bestimmt auch nicht sicher. Also blieb er bei den Jungs des Rettungsdienstes stehen, blickte weiterhin auf die Turnhalle und hoffte, dass das nervöse Herzklopfen bald nachließ. Doch die innere Anspannung wich nicht, was vielleicht ganz gut war, denn wenn man bei einem Amoklauf mit Geiselnahme im Einsatz war, sollte man wachsam bleiben.
Sie waren fast eineinhalb Stunden vor der Absperrung gestanden, als ein Polizist an sie herantrat. Er hatte einen Knopf im Ohr und lauschte noch einer Ansage, bevor er das Wort an sie richtete. „Wir konnten Kontakt aufnehmen. Im Gebäude befindet sich eine schwangere Frau. Der Geiselnehmer hat eingewilligt sie gehen zu lassen. Sie wird jeden Moment rauskommen. Sie darf aber nur von EINEM Kollegen in Empfang genommen werden, das ist seine Bedingung." - „Willst du das machen, Harry?" fragte Warren, nachdem der Polizist wieder gegangen war und ein Kollege schnaubte abfallend: „Er ist seit einer Woche fertig ausgebildet. Sollte nicht lieber ein erfahrener Kollege die Frau abholen?" - „Es ist keine Gefahrensituation. Man muss sie nur in Empfang nehmen, das ist alles. Deswegen habe ich Harry ja gefragt. Ich würde ihn nicht gleich die schwerste Aufgabe geben. Alles was er tun muss, ist die Frau abzuholen und die Erstversorgung zu leiten. Lass ihn doch mal machen, Keith, er muss auch Erfahrung sammeln." Harrys Mund war trocken geworden. Er sollte die Frau untersuchen und dafür sorgen, dass es ihr und ihrem Baby gut ging? Im Kopf ging er rasch nochmal die einzelnen Schritte durch, die er bei der Untersuchung machen musste, dann nickte er entschlossen. „Okay, ich mach das." sagte er und seine Stimme klang überraschend ruhig. „Gut, dann ist das jetzt Harrys Aufgabe." sagte Keith, dem deutlich anzumerken war, dass er nicht sonderlich viel davon hielt, den Neuen ranzulassen, aber Harry teilte Warrens Meinung: irgendwann musste man ja mal anfangen.
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Way Out
FanfictionLondon - Touristenmagnet und schillernde Metropole. Aber auch Heimat von Hoffnung und Hilflosigkeit. Louis arbeitet als Streetworker und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen, die auf der Straße leben, eine neue Perspektive zu bieten. Harr...