Gedankenverloren schritt Thorin die restlichen Treppenstufen hinauf, welche in silbernes Mondlicht getaucht waren. All die Nostalgie, von der er einst nicht zu träumen gewagt hätte, überrollte sein gesamtes Wesen. Jene Erinnerung, welche einen jeden Teil seines Körpers gänzlich erstarren ließ, versuchte er mit aller Kraft auszublenden. Ohne Erfolg.
Dabei war es nicht einmal der unbeschreibliche, Seelen durchdringende Schmerz seines Brustkorbes, als das Schwert ihn durchdrang, nicht die Entfernung des blassen Lichtes, welches nach und nach aus seinen Augen drang. Es war der letzte Funken des Lichtes, welches das Einzige erleuchtet hatte, was er zweifelsohne niemals in der Dunkelheit hatte zurücklassen wollen. Und als Thorin einst den Schmerz in seinen braunen, blassen Augen erblickt hatte, war es dem König mit jeder Faser seines Wesens klar geworden: Dass er niemand anderen lieber um sich hatte wissen wollen als Bilbo.
Und doch war er Thorin Eichenschild, der Erbe Durins. Ein König, welcher seinem Volk dienen und es mit Ehre anführen sollte. Ein Zwerg, der die Dunkelheit eines riesigen Berges schätzte, Gold sowie die Schmiederei. Bilbo, er war ein Hobbit, ein Halbling, der die Einfachheit seiner Höhle schätzte, die klare Luft der weiten Felder eines Ortes, dessen Beschaulichkeit einem täglich wiederkehrenden, sanften und doch trägem Musikstück glich. Zwischen den beiden lagen nicht bloß wenige Meter, sondern ganze Horizonte zweier Welten, die sich Thorins Logik nach nicht miteinander vereinen ließen. So nah er sich ihm auch fühlen mochte, im Kern waren sie Feuer und Wasser.
Wenngleich jedes von Dunjas Worten von Vorurteilen und Unwahrheiten gesprochen hatte, welche das Innere des Königs noch immer, beim bloßen Gedanken daran, zu einem unaufhaltsamen Beben verleitete; so war sie doch der lebende Beweis dafür, dass das, was ihn und Bilbo verband, nichts als ein verrückter Traum war, welcher im Außen auf wenig Zuspruch zu treffen vermochte.
Die Kälte, welche Thorins Adern durchdrang, ließ ihn nach Luft schnappen. Sein Verstand erzählte die immer gleiche Geschichte. Doch als er sich plötzlich an die Wärme von Bilbos Händen erinnerte, das Leuchten seiner honigfarbenen Augen, schmolz alle Kälte dahin.
Dass ich dich liebe.
Wieder und wieder kreisten die Bilder in Thorins Innerem. Warum hatte er nichts erwidert? Was mochte Bilbo nun von ihm denken? Und was war es bloß, dieses seltsame Band, welches zuwider jeglicher Logik und Vernunft zwischen ihnen existierte? Der Zwerg musste schwer schlucken und umfasste mit zitternden Händen das Gestein.
Gerade als er die nächste Stufe hinaufschreiten wollte, vernahm er den dumpfen Klang einer Frauenstimme. Sie war also hier, die Elbin. Als Thorin wenige Sekunden später auch noch die Stimme seines Meisterdiebes vernahm, machte sein Herz einen unerwartet großen Satz. Schnell hielt er in der Bewegung inne, wandelte ein kleines Stück zurück und verweilte dort hinter der steinernen Wand. Er versuchte, den Inhalt ihres Gesprächs zu ergründen, um sich schließlich gänzlich abzuwenden. All diese Gedanken und seine kraftlosen, zitternden Hände. Auf keinen Fall konnte Thorin seinem Meisterdieb so gegenübertreten.
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»Schicksal?«, erklang der dumpfe Ton von Bilbos Stimme. Kyria verfiel in eine ruckartige Bewegung, die sie einige Zentimeter von dem Zeitreisenden entfernte. »Was meinst du damit?« Ihr Atem wurde zu einem Hauch, ihre Augen verließen sein Blickfeld. Bilbo war klug.
»Ach, nichts«, zitterte ihre helle Stimme. Nun nestelte Kyria an den glitzernden Ringen - Begleiter Valinors, ein Geschenk ihrer Mutter. Aus den Augenwinkeln stierten sie seine neugierigen Augen an, mit eng anliegenden Augenbrauen durchbohrten sie die Elbin. »Da ist doch etwas. Etwas, das du nicht aussprichst«, bemerkte Bilbo. Noch immer verfolgt von unwiderruflichen Worten, Urteilen und ihren Schatten, richtete Kyria ihr gesamtes Wesen auf die Vorstellung magischer Klänge von Harfen und hoffte, die Wahrheit in ihren Augen zu verdecken. Der Halbling trat einen Schritt näher.
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A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...