Die Elbin tauchte an diesem Tage leider nicht mehr auf. Was hatte sie mit dieser Schale gewollt? Vermutlich hatte sie ein Heilmittel entwickelt; Elben waren bekanntlich Experten der Medizin und Heilmethoden. Sollte sie jedoch auch am nächsten Tage nicht auftauchen und würde die Krankheit nicht von selbst besser, so gab es keine Hoffnung für den weiteren Verlauf der Mission.
Inzwischen war es dunkel und kalt. Bilbo zitterte am ganzen Leib. Sein Magen war ein einziger Stein. Bisher hatte noch keine andere Elbe den Hobbit besucht, geschweige ihm etwas zu essen gebracht. Er war einsam.
Da sehnte sich Bilbo plötzlich nach dem gemütlichen Bett in seiner kleinen Hobbit-Höhle. Dort hätte er sich nun eine warme Suppe gekocht - soweit das in seinen Kräften gestanden hätte - sich gemütlich hingepflanzt und ein Buch gelesen. Bilbo genoss es sehr, Bücher zu lesen, denn in Geschichten konnte man der Realität entfliehen und Neues lernen; manchmal vergaß er seine Verzweiflung dann. So war er damals auch darauf gekommen, ein Buch zu schreiben, endlich die Wahrheit über sein Abenteuer aufzudecken. Auch wenn er die tiefere Wahrheit dahinter nie enthüllt hatte ...
Kein einziges Licht brannte in dem weißen Zimmer. Die weißen Vorhänge wirkten wie Geister. Dumpfe Stimmen drangen hier und da durch die edlen Hallen, ehe sie wieder verschwanden. Tief in seinem Inneren befürchtete Bilbo, alle anderen hätten ihn vergessen und würden ihn verhungern, wie verdursten lassen. Und wenn das nicht der Fall war, würde er früher oder später durch seinen Schüttelfrost erfrieren.
Die Kälte fühlte sich wie kleine Stichnadeln an, die Stück für Stück seinen eisigen Körper durchbohrten und dem Hobbit auch den letzten Hauch an Kraft stahlen. Doch niemals würde er aufgeben, niemals würde er sich so einfach abwimmeln lassen. Er musste kämpfen.
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Der Traum eines Zwerges
»Wach auf!«, rief Thorin mit stockendem Atem. »Es wurde Hilfe geschickt, du brauchst dich nicht zu fürchten!«
Der Hobbit konnte die Augen nicht öffnen, wie ein Felsbrocken sank sein Oberkörper tiefer und tiefer. Er lag in einer grauen Senke, auf einem Felsvorsprung. Sein Kopf schien zu brummen. Es war, als schlage jemand mit einem Hammer dagegen.
»Ich ... kann nicht. Mir ... Mein Kopf tut unbeschreiblich weh«, stotterte der Halbling mit letzter Energie. »Sie werden mir ... nicht helfen. Ich bin ... allein und brauche Hilfe.« Bilbos Gesicht war grau und blau.
Der Zwerg konnte es nicht fassen. Seine Augen füllten sich mit Flüssigkeit. Er war schweißgebadet. Sein dunkles Haar klebte.
»Du schwebst in Gefahr? Aber wieso?« Mit aller Mühe öffnete Bilbo die perlenfarbenen, blassen Augen – dabei trafen sie wie ein Pfeil den Blick des einen.
»Ich schaffe es nicht«, murmelte er. Verzweifelt sah der Zwerg zur Seite. Der Stich in seinem Herz vermischte sich mit der lodernden Flamme von Wut, die er auf die Elben hegte. Nie waren sie zur Stelle gewesen, wenn man sie wirklich gebraucht hatte.
»Ich beeile mich, wir sind am nächsten Tag da. Dieser Zauberer hat mich belogen. Das ist mir viel zu spät klar geworden«, stammelte Thorin. Der Hobbit brachte den Ansatz eines Lächelns zustande, brach dann allerdings kläglich ab.
»Ich kann bis dahin nicht ... Ich glaube ... ich schaffe es nicht«, stammelte Bilbo mit schwacher Stimme und blickte dem König entgegen. »Du musst auf dich aufpassen ... du musst deinen ... deinen Platz einnehmen im Erebor. Du darfst nicht der ... Krankheit verfallen. Ich flehe dich an, du musst ... du musst mir versprechen, dass du ... dich nicht verlierst.«
Welche Krankheit?
Bilbos Worte verloren an Klarheit: »Du darfst nicht gehen, ich ...« Der König stockte. Was war nur mit ihm los? Das war nur sein Meisterdieb. Viele geliebte Freunde hatte er gehen sehen; immer war er mit der Zeit darüber hinweggekommen. Dennoch war sein Herz erkaltet, mit jedem einzelnen Verlust.
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A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...