König unter dem Berge

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Das weinrote, edle Gewand mischte sich mit dem goldenen Bilderrahmen, der Zeichnungen seiner Ahnen zeigte. Sie benetzten das dunkle Zimmer. Seine schwarzen Haare waren von grauen Strähnen geziert. Seine Augen wirkten, als wäre ihr Blau verdünnt worden.

Mit einem winzigen Schritt näherte Thorin sich dem golden verzierten Spiegel - in der Mitte des Rahmens ein Bild, das ihm vertraut, doch fremd erschien. Wieder und wieder nahm er einen tiefen Atemzug, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Er erblickte den königlichen Umhang, der wie ein Netz auf seinen Schultern lag, schluckte schwer und wandte sich schließlich ab. So wandelte der König in Kreisen, während sein Kopf von fernen Träumen umkreist wurde.

Heute war es so weit; heute würde offiziell er, Thorin Eichenschild, König des Erebors, seinen Platz auf dem Thron einnehmen. Dem Platz, auf dem bereits sein Vater Thráin gesessen hatte; welcher einst Durins Thron gewesen war.

Nun blickte er absichtlich vom Spiegel auf den gekachelten Stein, doch er wagte es nicht, sein eigenes Angesicht zu erblicken. Auf Thorins Brust lag ein Stein. Sein Atem war flach und schnell. In seinem geistigen Auge sah er die Gesichter seiner hundertfachen Gefolgschaft: Ein tosendes Jubeln, laut wie ein Donnern, und dazwischen ... Da klopfte es an der Tür.

Thorins Angesicht erstarrte zu Eis. Zuerst erschien der weiße Bart in dem Türspalt, schließlich ein braunes, aus edelster Seide gefertigtes Gewand. Balins Gesicht war von Freude erfüllt.

»Bist du so weit?«, fragte er zur Tür deutend. Dahinter ein langer Flur, hinter welchem der Saal mit tausenden erwartungsvollen Blicken lag.

»Ja«, sprach Thorin, während seine Gedanken vom Gegenteil flüsterten.

Ihre Schritte hallten. Die mit feinen Mustern verzierten Steine, das grelle, schwach herabfallende Sonnenlicht; all dies nahm der Zwerg lediglich hinter einem dichten Schleier wahr. Für einen Moment erinnerte ihn diese Wahrnehmung an die Drachenkrankheit; an all die Tage, die er hinter einem dichten Nebel verbracht hatte. In denen sein Wesen vollends verschwunden gewesen war. Doch daran durfte Thorin nicht denken. Denn das Gemurmel unzähliger Stimmen traf nun seine Ohren, während ihn seine Beine wie schwere Felsbrocken vorantrugen.

»So, nun sind wir fast da. Dort drinnen scheint ein lebhaftes Geschehen zu sein. Sag, wenn du bereit bist.« Der Geist des Königs war von dichten Wolken umkreist. Er ballte die Hände.

»Thorin«, erklang es plötzlich hinter ihm. Die Wolken verflogen und machten Sonnenschein Platz.

»Bilbo«, stammelte er. Thorins Stimme zitterte. Nie zuvor hatten die Handlungen des Königs von Schwäche, gar Nervosität gesprochen. Doch jetzt konnte Thorin sie nicht mehr verbergen. In den Augen des Weißbärtigen erschien ein wissendes Blitzen, und so schritt Balin schon einmal in die tosende Halle.

»Wie geht es dir?«, fragte der Hobbit. Bilbo trug ein edles, bernsteinfarbenes Hemd. Seine Haare waren weniger lockig als sonst. Er musste sie gekämmt haben. Thorins Mimik sagte, was sein Mund nicht auszusprechen vermochte. Er richtete den Blick auf den matten Boden, dessen Grau an diesem Tage noch farbloser wirkte als sonst. Der Tumult in seinem Geist war lauter als die Stimmen seines Volkes.

»Ich wünschte, ich wäre woanders. Sogar Esgaroth erscheint mir angenehmer als dieser Saal«, versuchte er, seine Nervosität in Worte zu fassen. Bilbo näherte sich langsam, lauschte dem Stimmengewirr und blickte auf.

»Dann sei es«, sagte Bilbo sanft. »Stell dir vor, du wärst woanders. Oder stell dir eine Erinnerung vor, einen Moment, in dem du dich wirklich gut gefühlt hast. Glücklich. Das mache ich immer, wenn ich nicht mehr weiß, wohin mit mir.« Bilbos Mundwinkel formten ein helles Lächeln. Seine Augen waren warm und freundlich.

A Second Chance | Bagginshield Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt