Es war das Licht des halben Arkensteins, das Bilbo aus seinem Schlaf weckte. Der Hobbit blinzelte schnell mit den Augen und rieb sich über die Stirn. Dann weitete er die Augenlider.
»Was um alles in der Welt?«, entfuhr es Bilbo. Ein halbes Jahr war vergangen, seit er Kyria Lebewohl gesagt hatte. Ein halbes Jahr hatte er den halben Arkenstein beobachtet. Nie hatte das Relikt geleuchtet. Es war stets blass und farblos gewesen, ganz traurig hatte es ausgesehen. Nun schien sich seine Leuchtkraft sogar zu intensivieren.
Schnell sprang Bilbo aus dem Bett und lief zum Kaminsims. Er umarmte den zerteilten Arkenstein und drückte ihn fest an sich. Fasziniert betrachtete Bilbo das glitzernde Farbspiel. Es wurde heller und heller. Er hielt ihn so fest, als wäre er ein Teil von ihm. Ein Teil seiner Selbst. Und dieser sehnte sich nach seiner anderen Hälfte ...
An diesem Tage schien das Licht der Frühlingssonne nicht einfach nur weiß. Nein, es strich über die runden Fenster der gemütlichen Hobbit-Höhle, als würde es zu ihm sprechen. Es säte Samen einer neuen Welt, wie Bilbo sie nie gesehen hatte.
Alles machte der Hobbit wie gewöhnlich. Er schenkte sich Tee ein, aß ein Stück Brot und öffnete die Tür. Dann pflegte er seine Blumen und den kleinen Eichenbaum, der nun schon weit über seinen Kopf hinausragte.
Und dann tat Bilbo, was er Thorin versprochen hatte: Er erinnerte sich an alles, was geschehen war. An das Gute, an das Schlechte und daran, welch ein Glück er gehabt hatte, es nach Hause geschafft zu haben. Und wann immer er an sein Abenteuer dachte, war es ihm, als würde ein mächtiger Lichtstrahl geradewegs durch einen Nebel brechen. Das Abenteuer hatte sich verändert. Thorin lebte. Er lebte! Oh, welch ein herrlicher Tag es doch war!
Als Bilbo in seine Höhle trat, schimmerten die hölzernen Wände. Als sein Blick auf den Arkenstein fiel, schlug er die Hand vor die Augen. Ein solch gleißendes Licht hatte der Hobbit noch nie gesehen. Seine Leuchtkraft hatte sich verdoppelt. Es durchzog jeden Winkel der Höhle wie flüssiges Gold, das selbst die tiefsten Schatten zu erhellen vermochte. Blind, doch schwebend wandelte der Halbling durch sein Heim.
Und noch ehe er den Kaminsims erreicht hatte, geschah es: Da war ein Knarren. Ein Quietschen. Ein Lufthauch. Ein Windzug. Ein Aufschlag. Der Aufschlag von ... von Schuhen. Das Hallen eines Schrittes flog in Bilbos Ohren. Es durchschallte den Raum wie eine vertraute Melodie. Das flüsternde Knistern war erst ganz leise. Dann wurde es immer lauter. Ehrfürchtig fuhr Bilbo herum. Sein Herz machte einen Doppelschlag. Ein Kribbeln durchfuhr seine Brust. Seine Kehle war trocken. Es war nur ein einziges Wort, und doch ließ es die Luft wie Glas zerspringen.
»Bilbo?«, erklang es. Kopfschüttelnd nahm der Halbling die Hände von den Augen. Dunkle Farbtupfer lagen auf seiner Sicht. Dann wurde es weiß und dann ... dann ...
»Du sagtest ...«, erklang es. »Du sagtest, ich brauche nicht ...«
Die Sterne verschwanden aus Bilbos Augen. Da kamen Haare schimmernd wie Seide zum Vorschein. Hände stark wie Felsen. Und Augen ... blau wie der tiefe Ozean.
»Du sagtest, ich brauche nicht zu klopfen.« Bilbo fuhr sich durch die Locken. Blickte zu Boden. Blickte wieder hinauf. Schüttelte abermals den Kopf. Und sank in sich zusammen.
»Thorin«, hauchte Bilbo. Der Zwerg musterte den Halbling aus flackerndem Angesicht.
»Ja«, brachte Thorin knapp hervor.
Nervös richtete Bilbo seine Haare. »Wa-warum ... wie bist du ...? Wie kommst du ...?«
Thorins Augen waren warm wie ein Kaminfeuer, doch zerbrechlich wie Glas. »Ich-Ich bin hier, weil ...«, versuchte es der Zwerg. Aussichtslos. Thorins Herz klopfte genauso stark wie Bilbos. Dann hüllte sie die Stille ein. Und sie verweilte mit ihren stummen Blicken.
DU LIEST GERADE
A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...