Der Traum eines Zwerges
Vor seinen trüben Augen erschien inmitten der großen Halle der Thron. Eine riesige Menge versammelte sich. Lautes Jubeln begleitete jeden seiner Schritte. Die Zwerge waren nur auf ihn fixiert, obwohl er selbst sie kaum wahrnahm oder vielmehr versuchte auszublenden. Sein Hals war trocken und sein Gesicht blass. Mehr als eine graue Strähne durchzog sein Haar, ein Beweis dafür, wie lange der König sein Volk nicht gesehen hatte.
Vorsichtig ließ er den Blick von einer Seite zur anderen schweifen. Das Getöse wurde intensiver, durchdringender. Seine Beine wogen Tonnen. Nicht einem einzigen seiner Freunde konnte Thorin in die Augen sehen. Sie wussten nicht von seiner Trauer. Sie mussten nicht davon erfahren. Als König war es wichtig, die Pflichten über seine Gefühle zu stellen, zum Wohle seines Volkes. Das war ihm mehr als einmal eingetrichtert worden.
In der vordersten Reihe der steinernen, von oben und unten gehenden Reihen, begrüßten ihn die vertrautesten Freunde. »Wir sind so stolz auf dich, Onkel«, sprach Fili. Ein Lächeln, ein Nicken und stolze Gesichter. Sie hatten es verdient, glücklich zu sein. Schließlich fand er sich neben dem steinernen Thron wieder und erblickte Balin, der erhobenen Hauptes auf seinen König zutrat. In seinen Händen hielt er die Krone. Die braunen Augen des Weißbärtigen strahlten freudvoll. Der Tag, auf den Balin so lange gewartet hatte, war eingetroffen. Sie würden ihren offiziellen König, Thorin Eichenschild, in den prächtigen Hallen des Erebors willkommen heißen. Und so wie sie diesen Anlass als etwas ganz Besonderes erachteten, so war die Stimmung ihres Helden doch alles andere als festlich. Dabei hatte Thorin nun alles, was er sich immer gewünscht hatte. Beinahe alles.
»Euer Majestät. Uns allen ist es mehr als eine Freude, euch in diesen Hallen als unseren rechtmäßigen König unter dem Berge - Thorin Eichenschild, Sohn Thráins, Erbe Durins - begrüßen zu dürfen«, verkündete Balin feierlich. »Lang lebe der König!« Der Erbe Durins schluckte in seinem roten Gewand und ließ sich stumm krönen. Ein tosender Applaus, begleitet von donnerndem Stampfen, übertönte seinen Atem. Thorin zählte die Sekunden; sie wurden zu gefühlten Stunden.
Als der Krach endlich nachließ, blieb nur noch ein Geräusch, welches eindeutig aus hinterer Richtung stammte. Leises Klatschen, welches ihn magisch anzuziehen schien. Niemand sagte ein Wort, als Thorin kehrte und seiner Intuition folgte. Der Weg führte die Treppe nach oben bis zu den hohen Gängen. Schließlich erkannte er eine Gestalt, etwas kleiner als er. Sein Herz machte einen Satz. »Bilbo?«, fragte er heiser.
Der Hobbit lächelte und machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich dachte, du wärst ...«
»Nein«, sprach der Meisterdieb. »Ich lebe.« Bilbos Blick fiel auf die schimmernde Krone. Thorin bemerkte dies.
»Oh Bilbo. Was habe ich bloß getan? Sie feiern einen Helden. Einen Helden ohne wahre Verdienste.« Irritiert sah der Halbling auf.
»Es war nicht meine Tapferkeit, die uns so weit gebracht hat. Ohne dich wären wir nicht halb so weit gekommen. Dir verdanke ich meinen Thron. Dir verdanke ich ... mein Leben.« Bilbo hielt seine rechte Hand fest verschlossen, als würde er etwas verbergen. Die Linke war hinter seinem Rücken versteckt.
Mit einem Blitzen in den Augen sprach der Hobbit: »In einigen Punkten magst du recht haben, Thorin. Ich war vielleicht eine Hilfe, doch die wichtigsten Schritte hast du alleine gemacht. Auch ich habe euch - dir - viel zu verdanken. Ich wäre nicht der, der ich heute bin, ohne unser Abenteuer.« Bilbo nahm die linke Hand hinter seinem Rücken hervor. Das bekannte rote Buch kam zum Vorschein.
»Es gehört dir. Ich habe die gesamte Geschichte aufgeschrieben.« Mit zitternden Händen nahm der Zwerg das Exemplar entgegen. »Und das Beste daran ist, dass die Geschichte ja eigentlich noch gar nicht vorbei ist. Es wird mehr als ein weiteres Buch zu füllen geben, wenn ich bei euch bleibe und eure Kultur kennenlerne.« Thorin schüttelte verdutzt den Kopf.
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A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...