Ein ehrwürdiger Freund

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Vor langer Zeit

»Kyria, wo willst du denn hin?«, fragte die blonde Elbin im roten Gewand. Verunsichert folgte sie ihrer Tochter bis zur Tür der weißen, aus Quarz geformten Festung.

»Bleib doch stehen und lass uns reden!« Schweren Herzens blieb Kyria auf der Stelle stehen.

»Verzeiht, ich kann nicht bleiben.« Auch ihre beiden jüngeren Geschwister hatten ihr Verschwinden bemerkt und liefen ihrer Schwester hinterher.

»Jetzt warte doch mal!«, rief die rothaarige Audra. Sie nahm etwas aus ihrem Beutel und reichte es Kyria. Es war eine tränen förmige Kette.

»Du darfst nicht ohne deinen Glücksbringer gehen, verstanden?«

»Und ich«, ihr braunhaariger Bruder Faol hielt Kyria eine kleine Puppe hin, die sie einst zu zweit aus Stroh gebastelt hatten, »muss dir auch noch etwas mitgeben.«

Kyria lächelte und umarmte beide herzlich. »Ich danke euch für euer Verständnis.«

»Können wir nicht mitkommen?«, fragte Faol traurig.

»Leider lautet die Antwort nein. Meine Mission ist von großer Bedeutung. Ihr werdet hier gebraucht, bei unserer Familie.«

Die beiden Geschwister traten ein Stück zurück, um ihr zu signalisieren, dass sie bereit für den Abschied waren. Die Älteste der Geschwister erhob die Hand, winkte und blickte anschließend nach vorn.

Mehr konnte sie nicht tun, denn wer sich ins Ungewisse wagte, durfte die Vergangenheit nicht der Zukunft vorziehen, oder wie auch immer die Lektion in diesem Fall lautete.

~~~

Am Steg legte gerade ein kleines Boot an, in dem sich drei Gestalten befanden, die sich auf den Weg an Land machten. Unter ihnen war der große Zauberer im weißen Gewand, der seinen Freunden half, an Land zu gehen.

Von dort aus machten sie sich auf den Weg in das Dorf, in dem viele Elben lebten, die Kyrias Familie aber nie besuchte. Sie lebten lieber für sich, und so hatte Kyria das Dorf nur zweimal in ihrem langen Leben gesehen.

Die grünäugige Elbin versteckte sich hinter einem Baum, schloss die Augen und wartete, bis die Schritte leiser wurden. Dann folgte sie ihnen langsam, immer auf der Hut, nicht entdeckt zu werden.

Gegen Abend hatte sie endlich ihr Ziel erreicht. Die drei Neuankömmlinge waren in einer Kutsche ein ganzes Stück weit gefahren worden und bereits in ihrer Unterkunft angekommen.

Die Karte fest in der Hand ging sie weiter geradeaus, bog einmal ab und kam zu einem großen Haus, das Platz für zehn Personen bot. Erst als die Sonne ganz hinter dem Horizont verschwunden war und sich hinter einem der schneeweißen Vorhänge eine große Gestalt abzeichnete, wagte sie zu klopfen. In der Hoffnung, niemanden zu wecken.

Der Schatten hinter dem Vorhang bewegte sich, öffnete leise die Tür und runzelte die Stirn.

»Guten Abend. Seid Ihr Gandalf?«, fragte Kyria, biss sich auf die Unterlippe und lächelte nervös. »Er wird mich für verrückt halten«, dachte sie, doch sein Erstaunen hielt sich allem Anschein nach in Grenzen.

»Kyria. Freut mich, dich kennenzulernen. Ich habe dich schon erwartet.« Freundlich öffnete der Zauberer die Tür.

»Wir reden am besten im Speisesaal. Die Holzwände sind leider sehr schallhart.« Die anderen Bewohner schienen tatsächlich schon zu schlafen. Also folgte die Elbin den Anweisungen des Zwerges.

»Ich bin froh, dass du diese Aufgabe übernommen hast«, sagte Gandalf und stellte ihr eine Tasse mit frisch gebrühtem Tee zur Seite.

»Bilbos Lieblingstee. Den ganzen Weg hierher hat er mir Geschichten erzählt. Von Besuchern, die seine Rezeptur entweder scheußlich oder köstlich fanden, und von ihren amüsanten Reaktionen. Er ist ein brillanter Geschichtenerzähler.« Gandalf musste bei diesen Worten schmunzeln.

A Second Chance | Bagginshield Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt