Zuerst fühlte er eine strömende Wärme, die seinen Lebensgeist wach hielt. Schließlich nur noch Kälte, die seinen gesamten Körper einhüllte. Es war vorbei. Es war endgültig vorbei. Durch die Schwere des Momentes fand der Halbling die Kraft aufzuatmen, nur um ein letztes Mal die Luft in seiner Lunge zu spüren.
Bilbo hatte sein Ziel erreicht. Thorin lebte. Seine Gedanken wurden immer leiser und undeutlicher. Thorin lebte. Er atmete. Er durfte nicht weinen. Nein, Thorin sollte nicht dasselbe durchmachen müssen, was Bilbo einst erlebt hatte. Das war nicht seine Absicht gewesen. Nein, er würde darüber hinwegkommen. Ein König würde er sein. Über den Erebor sollte er herrschen. Seine Bestimmung leben.
Auch Thorins Stimme wurde leiser. Bilbo dachte an den Zettel, den er geschrieben hatte. Er war fort. Nein, es war nicht wichtig, dass er seine Gefühle kannte. Es spielte keine Rolle mehr. Im Gegenteil, es würde die Situation nur schlimmer machen. Mühselig versuchte Bilbo die letzten Worte hervorzubringen, Thorin zu sagen, dass er nicht wirklich gehen würde. Dass er noch immer hier war, so wie der Halbling es einst herausgefunden hatte. Doch auch dieser Versuch scheiterte kläglich. Ein letzter Blick in seine eisblauen Augen. Es war in Ordnung. Bilbo war alt, sehr alt sogar. Es gab keinen besseren Ort, um sein Leben zu verlassen. So erschien ihm Thorins Gesicht wie die Erfüllung eines ewigen Traums, wie das letzte Licht des nun endenden Augenblicks. Für die Sekunde war Bilbo glücklich. Für den einen, letzten Augenblick, war all jener Schmerz vergessen, der ihn lange Zeit erfüllt hatte. Dann war alles verschwunden.
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Die Luft schien von Minute zu Minute kälter zu werden. Thorin erinnerte sich an Kili, der ihn nach Bilbos Tod gefunden und mühsam auf ihn eingeredet hatte, ohne eine Reaktion zu erhalten. Er erinnerte sich an seine Freunde, die ihn nach Ewigkeiten endlich dazu bringen konnten, ihnen über das Eis zu folgen. Der Weg war lang gewesen, Thorin hatte nicht ein Wort gesprochen. Nun saß er hier, inmitten des Erebors und der Krieg war vorüber. Die Menschen hatten wenige Opfer gehabt und auch die anderen der drei Heere waren fast vollzählig auf dem Weg in ihre Heimat. Balin hatte sie mit erfreutem Blick empfangen, der sich augenblicklich getrübt hatte, als er erfuhr, dass Bilbo nicht mit ihnen gekommen war. Das war inzwischen eine Stunde her.
Der weißbärtige Zwerg kam mit gesenktem Kopf auf seinen König zu, ließ sich neben ihm auf einem Baumstumpf nieder und wartete auf eine Reaktion. Thorins Augen waren leer und von Schmerz durchdrungen. Sie starrten ins Nichts. Balin seufzte. »Ich bin hier«, sprach er ruhig. »Ich bin da, wenn du mich brauchst.« Sein Anführer brachte noch immer kein Wort zustande. Keine Miene regte sich.
»Es tut mir schrecklich leid, was geschehen ist, Thorin ... Bilbo war ein guter Freund, nicht wahr?«, versuchte Balin es vorsichtig. Thorin bewegte seinen Kopf leicht nach links, sah den anderen jedoch nicht an. »Er war nicht nur ein ...«, hauchte seine Stimme kläglich. Es war mit Worten schwer zu beschreiben, was er fühlte. »... Freund?«, beendete der weißhaarige Zwerg den Satz. Unsicher verschränkte der König die Arme. »Er war ... Er ... Er ... Er war ...« Warm blickte Balin zu seinem alten Freund.
»Er war ... Ein Teil ... unserer Gemeinschaft.« Weiter kam Thorin nicht, ohne zu schlucken. Es war noch immer unvorstellbar, dass Bilbo nicht mehr bei ihnen war. »Er hat mir das Leben gerettet«, Balin nickte verständnisvoll, »und seines dafür ... gelassen.« Der Schmerz ließ Thorins Hände verkrampfen. Sein Gesicht war aschfahl. Balin hatte seinen König noch nie zuvor weinen gesehen. Ein ungewohntes Bild, welches jegliche Erinnerungen überspielte. Balin bemerkte: »Er war etwas Besonderes, nicht? Etwas ganz Besonderes.«
Ja. Thorin erinnerte sich an ihr Abenteuer, an all die Male, in denen Bilbo ihn gerettet, ihm Mut zugesprochen hatte. Die Gedanken, die sie geteilt hatten, dass er ihn nicht hatte gehen lassen wollen, zu ihnen zurückgekehrt war, als er es nicht hätte müssen. Es war mehr gewesen, was den Hobbit bewegt hatte, als die Mission, die sie zu erfüllen hatten. Ein Mal hatte Thorin bereits geglaubt, ihn verloren zu haben; nun war diese Vorstellung Realität geworden. Bilbo war fort. Nichts konnte diese Leere füllen.
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A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...