Heiße Glut stob dem König entgegen, als er die Mine betrat. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, seine Beine tonnenschwer. Mindestens fünfzig Arbeiter schlugen mit schweren Werkzeugen auf die harten Steine. Jeden Tag fanden sie mehr Reichtümer. Ein Vierteljahr war es her, seit dem Besuch in Beutelsend, und nicht ein Tag verging, an dem Thorins Gedanken nicht weit ab von dem prächtigen Berg schwebten, zwischen den Feldern einer grünen Welt.
Da erschien Runas Gesicht inmitten des flammenden Saals. »Ist es nicht herrlich?«, fragte sie. »All die Reichtümer des Berges! Ich hätte nie gedacht, dass noch so viel Gold versteckt ist. Vor uns liegt eine herrliche Zukunft.«
Die Aussicht des Königs hätte wahrlich beträchtlich sein müssen. Massen an Gold füllten die große Halle. Der leblose Körper des Drachen war mithilfe vieler Hände und eines Zaubers beseitigt worden. Nun konnten sie diesen Berg wieder ihre Heimat nennen. Doch Thorin Eichenschild entrann kein Laut. Er starrte nur finster drein, als der durchdringende Klang ewiger Werkzeuge wie jeden Tag in seinen Ohren lag. Ihm war nicht nach einem Gespräch zumute.
Zwar hatte er Runa längst verziehen, dass sie ihnen bei Smaugs Eroberung den Rücken gekehrt und mit einem Teil des Schatzes geflohen war, allerdings schien sie seit seiner Rückkehr, wie ein Schatten, ständig an ihm zu kleben. Also beendete er ihr Gespräch mit einem bloßen: »Das mag sein.«
Seine Beine flohen nahezu aus der lärmenden, heißen Mine und fanden ganz alleine den Weg zur Treppe. Der lange Weg war noch immer so anstrengend wie am ersten Tag. Schweren Herzens wandelten Thorins Beine den schmalen Flur entlang, ehe sie auf der linken Seite Halt machten.
Durch den ovalförmigen Türspalt blies frischer Wind, die eingeklappten Fensterscheiben waren staubig. Nichts hatte sich verändert. Die rot-goldene Decke war noch immer kraus, auf dem Nachttisch lag noch immer eine mit Tinte verschmierte Feder und auf dem steinernen Tischchen stapelten sich die Bücher.
Schmunzelnd strich der Zwerg über das oberste und stapfte auf das ungemachte Bett zu. Dies war Bilbos altes Zimmer. Hier hatten sie sich zum ersten Mal geküsst. Der laue Sommerwind wirbelte um Thorins Nasenspitze, als spräche er zu ihm. Als würde ein wenig Auenlandluft die Einsamkeit des dunklen Raums vertreiben können. Doch dem war nicht so. Unzählige Meilen trennten den König von seinem einstigen Meisterdieb.
»Was soll ich bloß tun?«, fragte Thorin den Geist der Elbin. »Wie soll ich meiner Rolle gerecht werden? Wo finde ich die zweite Hälfte? Ich kann nicht einfach aufbrechen. Ich habe Pflichten.«
Seufzend wog der König das zerteilte Relikt in den Armen. »Wenn du mir den Weg zeigen könntest, dann würde ich ihm folgen.«
Thorin seufzte, als sein Blick aus dem runden Fenster fiel, hinab auf einen kaum erkennbaren Abgrund. Als hätte man seine Gedanken erhört, tauchte plötzlich jemand anderes auf.
»Ich wusste, dass ich dich hier finde.«
Der Zwerg zuckte zusammen. Es war die Stimme seines treuesten Beraters.
»Du musst die Zeit vergessen haben. Grimdal und Thamgrim haben um deinen Rat gebeten. Sie sind sehr aufgebracht, dass du dich kaum noch zu ihnen wagst.«
Thorins Miene verfinsterte sich. Er drehte sich zur Hälfte um. Aus dem Augenwinkel betrachtet, sprach Balins Gesicht weder von Zorn noch Angst. Lediglich Verständnis durchleuchtete seine dunklen Augen. Ruhig beendete Balin die Mitteilung:
»Doch ich schätze, das kann warten.«
Langsam betrat der Weißbärtige den anheimelnden Raum und schaute sich um. Endlich hatte Thorin sich ganz herumgedreht.
»Seit wir wieder hier sind, sprichst du kaum noch mit uns. Es ist, als wärst du gar nicht richtig da.«
Der König schluckte aus verstecktem Gesicht.
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A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...