Stille. Nichts als Stille. Kein einziges Geräusch erfüllte den Raum. Keine Schritte, keine Stimmen, kein Gelächter. Nichts.
»Wie kann Stille nur so laut sein?«, fragte sich Thorin, als sein Herz einen weiteren Salto machte. Ununterbrochen zogen die Worte durch seinen Kopf, drehten Kreise. War es eine Sekunde, die er bereits schwieg? Oder eine Minute? Sein konzentrierter Blick fixierte den rissigen Pfad. Dabei betrachtete er die Umgebung nicht wirklich, sondern blickte in sein Inneres. Noch immer hallten die Worte nach; waren sie das Einzige, was er vernehmen konnte.
Dass ich dich liebe.
Eine wohlige Wärme breitete sich aus und veränderte die Wahrnehmung der in Wirklichkeit kalten Luft des Berges. Thorins Verstand glich einem in einen Wirbelsturm geratenen Gegenstand, der ohne Sinn für hier und dort, unten oder oben, umhertrieb. Mit aller Mühe lichtete er das Chaos und versuchte, einen inneren Kompass zu finden. Als der König ihn in der Vorstellung in beiden Händen hielt, zeigte der Pfeil allerdings weder nach Norden noch nach Süden, sondern lediglich dorthin, wo sie beide jetzt -gemeinsam - waren.
Zu ihm.
Thorin musste schwer schlucken und blieb dabei noch immer an ein- und demselben Fleck, als wäre er zu Stein geworden. Kein Gedanke, kein Wort. Ihre warmen Hände fanden noch immer festen Halt. Ganz langsam erweiterte sich Thorins Sichtweite. So erkannte er, dass auch Bilbos träumerischer Blick in weiter Ferne versunken schien. Dass seine Augen mit hellem Licht erfüllt waren; dass sie ihm Licht schenkten.
Nun hätte Thorin bemerken müssen, dass dies eine viel zu reale Vorstellung war, ein Traum. Ja, so musste es sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich beide, hier und heute, so nah waren, alles, was sie hierher gebracht hatte ...
Dass ich dich liebe.
Mit einem Mal kam der Wirbelsturm zur Ruhe. Doch während Thorins Bewegung anhielt, schlug er nicht auf dem Boden auf. Nein, stattdessen war es, als wäre er noch nie zuvor so leicht gewesen. So kam es, dass sie einfach nur beieinander saßen und in dieser seltsamen, friedlichen Stille verweilten, die keinerlei Worte brauchte.
Als jeder Gedanke zu verschwimmen schien in ihrer gegenseitigen Präsenz, vernahmen sie erst spät, wie die Stille dem Laut von Stimmen wich. Als ihre Freunde hinter der steinernen Wand hervorkamen, erstarb deren Gespräch augenblicklich. Die Augen des einen wanderten zuerst zu dem König, dann zu dem Meisterdieb, dessen Anwesenheit der andere erst langsam gewahr wurde.
Der Blick des jungen Zwerges weitete sich, Fassungslosigkeit lag auf seiner Stirn. Wenige Sekunden verstrichen, ehe sich seine Gesichtszüge zu etwas Neuem wandelten.
»Bilbo!«, sprach Kili heiser, ehe er sich seinem Onkel zuwandte. »Wie? Wie kann das sein? Du bist ja am Leben!« Auch auf Filis Gesicht zeichnete sich ein breites Lächeln ab. Ihre Hände lösten sich mit einem Mal voneinander, ehe Thorin den Platz verließ, um seine Neffen, nach all den friedlosen Tagen, endlich erneut mit gesenktem Kopf zu begrüßen.
»Es ist gut, dass ihr hier seid«, sprach der König monoton. Der vergangene Moment lag noch immer in der Luft und von nun an, auf ewig, in seinem Gedächtnis. Sie war eine wahrhaftige Erinnerung, genau wie all jene, die zu seinem anderen Leben gehörten. So wanderte Thorins Blick abwechselnd von Kili zu Fili, welche kleine Augen hatten. Sie mussten erschöpft sein. Mit einem Mal erwachte eine Erinnerung in ihm, ließ ihn innerlich zusammenzucken.
Jegliche Anspannung löste sich, als ihm gewahr wurde, dass sie der Vergangenheit angehörte, dass sie ja den Kampf gekämpft hatten, dass Kili und Fili am Leben waren. So wurde auch Thorins Gesicht mit Leben erfüllt.
Bilbo spürte eine eiserne Kälte, welche sich von seinem gesamten Körper zu nähren schien. Auch der Halbling erhob sich und suchte einen Platz im Raum, der abseits der anderen lag. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals, seine Hände zitterten und sein Kopf war blechern. Als Kili den Fluchtversuch des Hobbits bemerkte, kam er schnell auf ihn zugerannt.
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A Second Chance | Bagginshield
FanfictionBilbo ist gemeinsam mit Frodo nach Valinor gereist, wo er seinen Ruhestand genießt oder es zumindest versucht. Als eines Tages schließlich eine Elbin auftaucht und ihm die Chance gibt, zurück in die Vergangenheit zu reisen und sein Schicksal zu verä...