IX - Jorian (4/5)

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Jorian blieb allein zurück. In seinem Kopf drehte sich ein Karussell aus Fragen. Er seufzte. Noch in der Nacht hatte er gedacht, den Kopf ein wenig freizubekommen zu haben, doch nun sah er ein, dass dies ein Irrtum gewesen war. Das Gespräch mit Tore war so eigentümlich gewesen, dass es seine volle Wirkung erst jetzt entfaltete. Er ging ein paar Schritte und merkte, dass er zitterte.

In einer Nische, in welcher eine kleine Bank vor einem Fenster stand, ließ er sich nieder und versuchte, sich zu beruhigen. Um sich abzulenken, zog er seine Karte aus der Tasche und betrachtete sie. Tatsächlich war sie an den Rändern feucht geworden und das Papier hatte begonnen, sich zu wellen, aber die Linien und Eintragungen der Karte waren davon nicht betroffen.

Es frustrierte ihn, dass ihm das System hinter den Zahlen nicht klar wurde. Der erste Bereich enthielt nur Bücher, deren Titel oder Verfasser mit dem Buchstaben ›A‹ begannen. Der zweite Bereich enthielt Bücher, die mit ›A‹ oder ›B‹ begannen. Der dritte Bereich bereits enthielt Bücher, deren Titel mit einem ›A‹, ›B‹ oder ›C‹ beginnen konnte. Warum aber ein Buch, welches mit ›A‹ begann, in einem der anderen Bereiche auftauchte, blieb ihm verborgen. Das Buch »Die 7 Bestien« stand weder unter ›D‹ noch unter ›B‹. Und er fand es auch nicht im Bereich ›U‹, wo es vielleicht nach dem Verfasser »Ulisko« hätte stehen können. Als er eines Tages nicht weitergekommen war, hatte er die entsprechenden Regalreihen abgesucht und jedes einzelne Buch angeschaut. Zu seinem Glück waren die Bereiche der ersten Buchstaben noch klein gegenüber den späteren. Je weiter es im Alphabet voranging, desto länger wurden auch die Regalreihen dazu. Bei ›U‹, dem 21. Bereich, hatte er fast aufgegeben. Hier standen schon sehr viele Bücher und die Ahnung, dass er auch hier nicht fündig werden würde, hatte ihn beinahe zurückgehalten. Doch der kleine Hoffnungsschimmer, das Buch so zu finden, hatte ihn weitermachen lassen. Er war zerknirscht gewesen, als diese Hoffnung zuletzt enttäuscht wurde.

Er packte die Karte wieder ein und machte sich auf in Richtung der Bibliothek. Je schneller er fertig wurde, desto schneller konnte er das Schloss verlassen, ein Wunsch, der sich nach der Begegnung mit Tore nur noch verstärkt hatte.

Auf dem Weg zur Bibliothek fühlte er sich beobachtet, immer, wenn ihm jemand im Gang entgegenkam. Er versuchte sich klarzumachen, dass dies nur eine Einbildung war, doch bei jeder Begegnung kehrte das Gefühl zurück und ließ sich schwerer vertreiben als zuvor. Er war froh, als er die Bibliothek erreicht und Nush ihm das Portal geöffnet hatte. Bei Nush zumindest war er sich sicher, dass ihm seine Blicke folgten, so lange er ihn sehen konnte. Als er eintrat, sah er zu seiner Überraschung auch den Libror. Er stand vor dem Kasten, welchen Nush ihm bei seinem ersten Besuch als Katalog gezeigt hatte. Der Libror hatte offensichtlich bereits getrunken. Sein Blick war glasig. Als Jorian näher trat, hörte er ihn leise vor sich hinmurmeln: »Die ganze Arbeit, die ganze Arbeit.«

Seine Stimme hatte fast etwas Weinerliches angenommen. Als er Jorian sah, wandte er den Blick vom Kasten ab und sah ihn einen Moment überrascht an.

»Du kommst immer noch hierher?«, fragte er ihn mit unfreundlicher und verärgerter Stimme. Hinter sich hörte Jorian, wie Nush seinen Platz auf dem Hocker wieder einnahm. Er nickte. Der Libror wischte sich mit dem Armrücken über die Stirn.

»Wieso?«, fragte er Jorian in herausforderndem Tonfall.

»Ich suche immer noch ein Buch.«

Der Libror grinste ihn böse an.

»Ha!«, stieß er triumphierend hervor und ein hämisches und trockenes Lachen folgte. »Gib es auf!«

Jorian sah den Libror an, wandte sich dann jedoch ohne Antwort ab und ging Richtung Bibliothek.

»Sie hat früher so gerne gelesen, weißt du?«

Jorian verlangsamte seine Schritte. Es war das erste Mal, dass der Bibliothekar von sich aus etwas zu ihm sagte. Jorian hatte zwar keine Ahnung, wovon der Libror sprach, doch ein Gedanke kam in ihm auf. Vielleicht war er betrunken genug, ihm etwas über die Systematik der Bibliothek zu verraten. Er blieb stehen und drehte sich um.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt