XI - Elno (1/3)

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»Bist du bereit?«, fragte Girion.
Elno nickte. Ja, er war bereit, auch wenn er nicht genau wusste, was ihn erwartete.

Tenolia trat neben ihn. Sie musterte ihn kritisch, dann griff sie in ihren Mantel und überreichte ihm einen Gurt, an dem ein kurzes Schwert in einer schmuckvollen Schwertscheide steckte.

»Du repräsentierst unseren Clan, merk dir das!«, sagte sie streng, doch zu Elnos Verwunderung lag Wohlwollen in ihrem Blick.

»Lass gut sein, Tenolia.« Manaron lächelte Elno aufmunternd zu. »Hör mal, Elno, wenn dir das zu viel ist, kannst du hierbleiben.«

»Nein«, antwortete Elno. Er wollte nicht hierbleiben. Er wollte dabei sein, wenn sie Prinz Aik an die Abgesandten des Königs übergeben würden, des Königs des Freien Reiches.

Elno hatte viel Zeit mit Prinz Aik verbracht, der ihm ein netter Junge zu sein schien. Es hatte ihm gutgetan, sich um jemanden kümmern zu können, der hier noch neuer war als er selbst. Seit ihrer Rückkehr vom Kampf gegen die schwarzen Drachen war Athea in helle Aufregung versetzt. Erst jetzt merkte Elno, wie ruhig das Leben hier vorher doch gewesen war. Wachen patrouillierten nun Tag und Nacht, auf dem Boden und in der Luft. Nur zwei Wochen waren vergangen, aber so viel kann sich in zwei Wochen ändern, kann sich in einer Nacht ändern, dachte Elno. Er seufzte und wie jedes Mal, wenn er an die Nacht zurückdenken musste, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Es wirkte immer noch alles so unwirklich, auch wenn er sich an alles erinnern konnte, als wäre es gerade erst geschehen. Die eisige Luft, die Angst, das Feuer. Und Miro.

Miro hatte überlebt. Er war zwar immer noch angeschlagen und lag im Heilergarten, wo er Tag für Tag versorgt werden musste, doch er lebte. Elno hatte ihn jeden Tag besucht, auch wenn die Heiler es missbilligten und Miro ohnehin nur geschlafen hatte. Die Wunde hatte sich immer noch nicht vollständig geschlossen, auch wenn sie bereits verheilte. Meister Hoergel hatte ihm nichts darüber erzählen wollen, aber Elno vergaß die Bilder nicht, wie immer mehr Blut aus Miros Wunde gequollen war, nachdem Manaron sie zu heilen versucht hatte.

»Es war eine böse Wunde, von etwas Bösem geschlagen!«, war alles, was Elno aus ihm herausbekommen hatte.

Auch sonst gab es vieles, was Elno nicht verstand oder dessen Tragweite er nicht absehen konnte. Er hatte viele Fragen beantworten müssen. Zweimal war er zusammen mit Finiel vor den Rat gerufen worden, wo sie das Geschehene hatten berichten müssen. Im Gegenzug gesagt hatte man ihnen wenig und Elno war sich nicht einmal sicher, ob er das schlimm fand. Er war froh, wenn er sich so wenig wie möglich damit beschäftigen musste und so verbrachte er die Zeit damit, Prinz Aik ein wenig in Athea herumzuführen. Manaron hatte ihm gesagt, dass er sich erst einmal erholen und wieder zu den anderen Jungreitern stoßen solle, wenn er sich bereit dafür fühlte. Das tat er nicht. Es war schwer genug gewesen, wieder im gemeinsamen Schlafsaal zu übernachten, nachdem er nach ein paar Tagen das Heilerhaus wieder verlassen hatte. Die anderen beobachteten ihn und tuschelten hinter seinem Rücken, wenn er vorbeiging.

Piules hatte ihn zu Elnos Überraschung in den Arm genommen, als er ihn wiedergesehen hatte.

»D... Duuu lebst!«, hatte Piules gesagt, was Elno erneut überraschte, denn er war sich gar nicht bewusst gewesen, dass dies in Frage gestanden hatte. Aber wenn man Piules noch weniger sagte, als man ihm selbst sagte, dann wunderte es ihn eigentlich nicht, dass Piules sich die schlimmsten Sorgen gemacht hatte.

Piules erzählte, dass er in jener Nacht Manaron alarmiert hatte, nachdem Elno nicht aufgetaucht war.

»E... eerst hhaaabe ich gewartet, wi... wi... wie in der einen Nacht, wwwwo du weg warst!«, hatte er gesagt, »ab... aber irgendwas hhahahat mir Sorgen gemacht!«

Seitdem betrachtete Elno Piules aus einem anderen Blickwinkel. Er hatte nicht gewusst, dass Piules seinen nächtlichen Ausflug bemerkt hatte, in der Nacht des Sturms. Und es wunderte ihn, dass Piules nichts dazu gesagt hatte.

»Iiiich dachte, du triffst dididich mmmit Ffffiniel!«, hatte Piules auf seine Nachfrage geantwortet. Wie sehr er damit recht gehabt hatte, war Piules nicht bewusst und Elno war froh, dass er nicht weiter nachfragte.

Der nächtliche Ausflug im Sturm war weiterhin sein und Finiels Geheimnis und sie hielten die Waffen aus dem Clan von Vuete weiterhin versteckt. Elno hätte fast alles ausgeplaudert, doch Finiel hatte ihn davor bewahrt, ihr Vorhaben zu verraten.

»Verlier nicht den Kopf!«, hatte sie ihm eingeschärft. »Wir wollen Nela doch immer noch holen, oder? Das ist jetzt sicher nicht einfacher geworden!«

Finiel, so schien es Elno, schien die Nacht besser zu verkraften als er. Vielleicht, weil sie nicht die ganze Zeit dabei gewesen war, weil sie die Präsenz der schwarzen Drachen nicht so spürte wie er, oder weil es Miro und nicht Briesene gewesen war, der fast gestorben wäre. Elno wusste es nicht. Vielleicht ist sie auch einfach stärker als ich, dachte er, und diese Antwort schien ihm die plausibelste zu sein. Immerhin war sie auch älter, doch er wusste, dass das nicht alles sein konnte, denn was sie erlebt hatten in der Nacht, hätte wohl sicher auch manch Erwachsenen völlig aus der Bahn geworfen. Ihr Bruder Finfar verbrachte nun viel Zeit mit ihr und einmal hatte er Elno böse angeschaut.

»Dass du Finiel da mit reingezogen hast!«, hatte er gesagt, aber seine Augen verrieten, dass er froh war, dass sie heil zurück waren, dass sie beide heil zurück waren. Das war ein gutes Gefühl und überhaupt merkte Elno, dass er mittlerweile so etwas wie Freunde gefunden hatte im Clan von Ketena, denn neben Finiel, Piules und Finfar kamen auch Gitto, Roderic und sogar Gordwyn, erkundigten sich danach, wie es ihm ging und wie es ihm ergangen war. Bei seinem Bericht starrten sie ihn meistens ungläubig an und Elno hatte den Eindruck, als glaubten sie ihm nicht alles. Vielleicht ist das auch besser so, dachte er dann und er nahm es ihnen nicht übel.

Auch mit Estelion hatte er noch einmal gesprochen und das Gespräch hatte sehr lange gedauert. Estelion hatte ihn noch einmal intensiv nach allem gefragt, was er und Finiel schon beim Rat erzählt hatten. Vor allem für sein inneres Feuer interessierte er sich.

»Das ist kein Zauber, der so einfach gezaubert werden kann«, hatte Estelion ihm erläutert. »Wir kennen ihn eigentlich nur aus alten Berichten. Genauso, wie, dass Drachen Feuer spucken können.« Er hatte eine Pause gemacht, sein Blick war kurz in die Ferne geglitten und Elno sah, wie ein Schatten von Traurigkeit über sein Gesicht huschte. »Dass schwarze Drachen Feuer spucken können, wussten wir allerdings.«

Auch hatte Estelion wissen wollen, wieso Elno überhaupt zu Miro hinausgelaufen war. Elno hatte nur die Schultern gezuckt. Auch wenn er nicht genau verstand wieso, aber er wollte Estelion nicht alles erzählen und behielt seine geistige Zwiesprache mit Miro geheim, genauso wie seinen Besuch im Inneren Heiligtum.

Estelion schien zu ahnen, dass Elno ihm nicht alles sagte, doch er beließ es dabei. »Wenn dir noch etwas einfällt, kannst du jederzeit mit mir darüber sprechen, Elno«, hatte er ihm gesagt und Elno verstand die Aufforderung dahinter, ihm die volle Wahrheit zu sagen, sehr wohl.


Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt