Nach der Begegnung mit der Königin Ijarias hatte Jorian wenig von Nikia und Aik gehört. Nikia machte ihre Ankündigung, Prinz Aik eine weitere Einladung schicken zu lassen, nicht wahr. Das hatte Jorian zu seiner eigenen Überraschung ein wenig enttäuscht, umso mehr, als er eines Tages bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster der Bibliothek Nikia und Prinz Aik gemeinsam durch den Palastgarten schlendern sah. Seine Beobachtung hatte ihm einen Stich versetzt, ohne, dass er genau sagen konnte, wieso.
Dann hatte eines Tages doch wieder jemand einen Brief unter seiner Tür hindurchgeschoben. Er war nicht von Prinz Aik, sondern zu Jorians Überraschung von Nikia. Er hatte mit »Mein lieber Jorian« angefangen und der Hoffnung, dass er mit seiner Arbeit gut vorangekommen sei. Dann hatte sie ihn an den baldigen Geburtstag von Prinz Aiks Großmutter erinnert und an sein Versprechen, mit ihr zusammen dort hinzugehen.
Der Brief hatte gemischte Gefühle bei Jorian ausgelöst. Einerseits freute er sich darüber, dass Nikia sich wieder bei ihm meldete, andererseits verspürte er einen Widerwillen dagegen, an den Geburtstagsfeierlichkeiten teilzuhaben. Er war noch nie auf einer solchen Feier gewesen und er ahnte, dass außer ihm ausschließlich Adlige anwesend sein würden. Es war einfach gewesen, in der Sonne unter einem Kirschbaum sitzend eine Zusage zu machen. Etwas anderes schien es ihm jetzt, sein Versprechen tatsächlich einzulösen. Hinzu kam, dass Nikia ihn bat, schon vorher bei ihr und ihren Eltern vorbeizuschauen, weil sie ihn kennenlernen wollten. Darauf hatte er bei weitem überhaupt keine Lust. Er ahnte schon, was hinter dieser Einladung steckte, die sicher nicht von Nikia selber kam, auch wenn er das nicht ganz ausschließen konnte. Es musste den Eltern, die offensichtlich versuchten, eine Beziehung zwischen Nikia und dem Prinzen einzufädeln, sauer aufstoßen, dass ihre Tochter mit jemand anderem zu den Feierlichkeiten gehen würde. Noch dazu mit jemandem, der selbst nicht aus dem Adel stammte. Mit einem Mal kam er auch sich selbst als unangemessene Begleitung für Nikia vor und das Hochgefühl, welches er noch beim Verlassen der Bibliothek gehabt hatte, wurde schwächer. Als er seine Kammer erreicht hatte, war es ganz verschwunden. Unsicher suchte er aus seinen Sachen die besten Kleidungsstücke heraus. Er hatte sie noch kein einziges Mal getragen, seit er im Palast war und sie waren für ihn sehr teuer gewesen. Als er sie nun überzog, kamen sie ihm trotz allem schäbig und billig vor. Mit einem unguten Gefühl zog er am Klingelzug und fragte den kurz darauf erscheinenden Diener nach den Räumlichkeiten der Coldibs.
Auf den Gängen war mehr los als sonst, anscheinend machten sich auch andere Gäste bereit, die Feierlichkeiten aufzusuchen. Der Diener führte ihn durch den Gang in einen anderen Bereich des Westflügels und blieb dann vor einer Tür stehen.
»Soll ich Euch ankündigen?«, fragte er höflich. Jorian schüttelte den Kopf. Er beobachtete den Diener, bis er den Gang verlassen hatte. Einen Moment stand er regungslos vor der Tür, dann fasste er sich ein Herz und klopfte.
Es dauerte wenige Augenblicke, dann wurde die Tür aufgerissen und er erblickte Nikia, die ihn fröhlich begrüßte.
»Jorian!«, rief sie und er hatte den Eindruck, sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Er verbeugte sich höflich, was Nikia mit einer Grimasse quittierte. Dann lächelte sie ihn an.
»Komm rein!«, sagte sie und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen.
Wenn Jorian schon von seinen eigenen Räumlichkeiten beeindruckt gewesen war, so machten ihn die der Coldibs schlicht sprachlos. Er stand in einer Art Vorzimmer zu einem Salon, den er durch eine Öffnung, deren Seiten mit schweren samtenen Vorhängen bestückt waren, erkennen konnte. Vom Vorraum gingen zwei Türen nach links und rechts ab und eine kleine Wendeltreppe führte nach oben. Ein Diener, der Nikias Verhalten kritisch zu beäugen schien, verbeugte sich steif und machte dann einen Schritt zwischen den Vorhängen hindurch in den Salon. Nikia nickte ihm zu und Jorian folgte ihm.
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Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sich
FantasyEntdecke den Untergang Ijarias - Ein episches Abenteuer voller Mut, Magie und Freundschaft! Ein dunkler Schatten zieht auf über Ijaria, der prachtvollen Hauptstadt des Freien Reiches, und das Schicksal von drei jungen Helden steht auf dem Spiel. Eln...