III - Vinja (2/2)

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Auch wenn sie zuvor erst einmal in der Stadt gewesen war, so wirkte der Weg über die große Hauptstraße weniger bedrohlich. Sie lief den Weg hinauf zum Brunnen, wo sie wieder eine kleine Pause einlegte.

Als sie den Platz erreichte, an welchem das Scrivorium lag, blieb sie stehen und suchte den Kupferschilling hervor. Einen Moment hielt sie ihn unschlüssig in der Hand, dann trat sie an die Scheibe des Scrivoriums und spähte hinein. Hinter dem Tresen stand ein Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Dieser Mann trug eine schwarze Robe und hatte fast eine Glatze. Nur an seinen Schläfen wuchsen dicke Büschel weißer Haare. Enttäuscht trat Vinja von der Scheibe zurück. Sie hätte dem anderen Schreiber gerne den fehlenden Kupferschilling gegeben, den sie ihm schuldig geblieben war. Dieser Mann hier würde vermutlich gar nicht wissen, worum es ging und nachher verursachte sie noch Schwierigkeiten.

Vinja ließ den Schilling wieder in der Tasche verschwinden und zog stattdessen die Karte hervor. Einige Punkte, die ihr Vater eingetragen hatte, befanden sich in der unmittelbaren Nähe, manche waren weiter weg. Vinja versuchte, sich eine sinnvolle Reihenfolge zu überlegen, beschloss dann aber, sie einfach der Reihe nach abzuarbeiten. Es war sinnlos, sich zu beeilen. Zu Hause würde nur noch mehr Arbeit auf sie warten und mit den längeren Wegen würde sie mehr von der Stadt kennenlernen.

Ihr erstes Ziel führte sie in ein Viertel, in welchem die Häuser größer und aufwendiger wurden und weiter auseinander standen. Die Straßen waren sauber und gepflegt und zum Teil säumten Bäume den Straßenrand. Hier waren weniger Menschen unterwegs und die, die sie traf, musterten sie mit kritischem Blick. Viele von ihnen trugen teure Kleider und Vinja erkannte darin den Grund, warum ihr Vater sie nach hier geschickt hatte.

Sie brachte Werbeschriften zu zwei Tuchmachern und ein paar Schneidern, aber auch Privathäuser waren dabei, in welchen besonders wohlhabende Leute zu wohnen schienen. Vinja war froh, dass ihr die Bediensteten öffneten und sie nicht direkt mit der feinen Gesellschaft zu tun hatte, wie ihr Vater die reiche Bevölkerung immer nannte. In Halwar war es nur selten vorgekommen, dass jemand aus dem Adel persönlich in ihren Laden gekommen war, aber wenn, dann hatte sich Vinja immer unwohl gefühlt. Sie erinnerte sich noch gut an den arroganten Siero Djino, der sich immer selbst von der Qualität der Wäsche überzeugen wollte und Laeda Berenia, die hin und wieder vorbeikam, um sich über zu schwachen Duft oder fusselig gewordenen Stoff zu beschweren. Stets hatten sie Vinja von oben herab behandelt. Demgegenüber waren die Gespräche mit Dienern, die von ihren Sieros und Laedas vorbeigeschickt wurden, entspannt und manchmal sogar lustig gewesen, wenn sie kleinere Geheimnisse und Peinlichkeiten aus der feinen Gesellschaft ausplauderten.

Hier in Ijaria schienen die Bediensteten allerdings die Arroganz ihrer Herren und Herrinnen übernommen zu haben. Sie musterten Vinja argwöhnisch, wenn sie an ihre Türen klopfte. Die Werbeschriften nahmen sie mit gerümpfter Nase entgegen. Vinja fragte sich, wie sie wohl reagiert hätten, wenn sie ihnen einen von Belfonsos selbstgemachten Gutscheinen überreicht hätte.

Der letzte Punkt führte Vinja hinaus aus dem feinen Viertel und in Richtung des Berges und der großen Festung im Zentrum Ijarias. Während sie lief, betrachtete sie das eindrucksvolle Gebäude mit seinen Mauern und Türmen. Sie nahm sich vor, einen Umweg zu machen, und sich die Festung aus der Nähe anzuschauen, wenn die Zeit reichen würde. Doch die Straße, der sie gerade folgte, machte einen Knick. Nun lief sie geradewegs auf ein Gebäude zu, das auf den ersten Blick nicht weniger Aufmerksamkeit auf sich zog als die Festung auf dem Berg, wenn auch weniger durch eine ansprechende Bauweise.

Die Wände des Gebäudes waren flach und gerade und es hatte die Form eines großen Quaders. Das Dach war ebenfalls flach und die Fenster klein und eckig. Es war größer als die anderen Gebäude und auch breiter. Die Steine waren dunkel und je näher Vinja dem Gebäude kam, desto mehr hatte sie den Eindruck, es würde auf sie zu kippen.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt