»Hey«, sagte plötzlich eine freundliche Stimme neben ihr, die Vinja bekannt vorkam. Sie öffnete die Augen und blickte in das Gesicht einer Frau. Sie brauchte einen Moment, bis sie das Gesicht richtig einordnen konnte. Dann erinnerte sie sich. Es war die Frau aus der Königsgarde, die sie getroffen hatte, als sie die Werbeschriften für Belfonso verteilt hatte.
»Hey«, antwortete Vinja matt. Sie wollte aufstehen, aber die Frau winkte ab.
»Bleib sitzen.«
Vinja ließ sich zurück an den Pfosten sinken. Die Frau, die nicht viel größer war als sie selbst, schaute Vinja an. Ihr Gesicht zeigte den Ansatz eines Lächelns.
»Vinja, richtig?«
Vinja nickte.
»Ich habe gerade eine hübsche Summe Geld verloren, weil ich auf dich gewettet habe.«
Vinja schirmte die Augen mit den Händen gegen das Licht der tief stehenden Sonne ab und schaute hoch. Ich werde wohl nie mehr meine Ruhe haben, dachte sie resignierend.
»Ihr hättet nicht auf mich wetten sollen.«
Die Frau hob den Blick und schaute über den Platz.
»Ja, vielleicht«, sagte sie beiläufig, »aber dafür ist es jetzt zu spät. Das Geld ist weg.« Sie schaute zurück zu Vinja. »Man könnte sagen, du schuldest mir jetzt was.«
Vinja schaute zu Boden. Nahm das alles nie ein Ende?
»Ich habe kein Geld, mit welchem ich Euch etwas zurückzahlen könnte.«
Die Frau nickte.
»Das habe ich mir schon gedacht.« Sie seufzte und zuckte mit den Schultern. »Dann ist es wohl einfach weg, nicht wahr?«
Vinja antwortete nicht. Sie nickte nur, ohne den Blick zu heben.
Die Frau lehnte sich neben ihr an den Zaun und schwieg. Vinja wäre gerne aufgestanden und gegangen, doch sie hatte das Gefühl, sich dann übergeben zu müssen. Nach einer Weile begann die Frau wieder zu sprechen.
»Tut es noch sehr weh?«
Vinja schüttelte den Kopf, auch wenn es nicht die Wahrheit war. Alles tat noch weh und Vinja spürte, wie hinter dem körperlichen Schmerz noch etwas anderes lauerte, doch sie spürte bereits, wie es sich langsam den Weg nach oben bahnte und an ihr zu nagen begann. Es war das Gefühl absoluter Einsamkeit.
»Du bist mutig.«
Vinja schaute zu ihr hoch und dann wieder weg.
»Ich bin nicht mutig«, antwortete sie mit belegter Stimme, »ich wäre weggelaufen, wenn ich gekonnt hätte.«
Die Frau betrachtete Vinja nachdenklich.
»Nein«, sagte sie schließlich, »nein, ich denke, das wärst du nicht.«
Vinja wandte der Frau irritiert den Kopf zu.
»Was?«, fragte sie überrascht, obwohl sie die Worte genau verstanden hatte.
Die Frau antwortete nicht sofort, sondern ließ ihren Blick erneut über den Platz wandern.
»Dieser Junge, der dich herausgefordert hat, kanntest du ihn?«
In Vinja krampfte sich etwas zusammen und sie ballte die Fäuste.
»Ja«, presste sie hervor.
»Aber du magst ihn nicht, oder?«
»Nein!«
Ihrer Übelkeit zum Trotz stand Vinja auf.
»Siehst du«, sagte die Frau mit einem Lächeln, »deswegen denke ich, du wärst geblieben. Ich weiß zwar nicht, warum du den Jungen nicht magst, aber die Angst vor der Schande, wegzulaufen, war größer als die Angst vor einer Niederlage.« Sie nickte Vinja zu. »Ich respektiere das.«
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Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sich
FantasyEntdecke den Untergang Ijarias - Ein episches Abenteuer voller Mut, Magie und Freundschaft! Ein dunkler Schatten zieht auf über Ijaria, der prachtvollen Hauptstadt des Freien Reiches, und das Schicksal von drei jungen Helden steht auf dem Spiel. Eln...