IX - Vinja (4/5)

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»Keine Bewegung!«

Dann hörte sie ein Schnaufen und auch wenn die harte Stimme, die einer Frau gehören musste, ihr einen Schreck hatte in die Glieder fahren lassen, so war es dieses Schnaufen, das ihren ganzen Körper erstarren ließ. War das ein Tier? Aber was für ein Tier gab ein solches Schnaufen von sich? Es klang gefährlich, bedrohlich und Vinja hatte etwas Vergleichbares noch nie gehört. Sie spürte einen heißen Atem an ihrem Rücken. Irgendetwas stieß Luft durch seine Nüstern aus. Selbst wenn Vinja gewollt hätte, sie wäre nicht in der Lage gewesen, einen Fluchtversuch anzutreten, geschweige denn, zu kämpfen.

»Steh auf und dreh dich um«, sagte die Frauenstimme. Sie klang so herrisch dabei, dass Vinja es tat, ohne zu überlegen.

Auf das, was sie dann sah, war sie nicht vorbereitet. Eines ihrer Beine gab nach und sie torkelte hilflos zur Seite, wo sie sich an einem Baum festklammerte, ungeachtet der Raupen und ihrem Raupengewebe.

Vor ihr stand eine Bestie. Wenn es ein Tier war, dann war es das hässlichste und bedrohlichste Tier, das Vinja je in ihrem Leben gesehen hatte. Das Biest war etwas kleiner als ein Pferd. Es hatte einen fast schon fetten Körper, an welchem man bei jedem seiner stoßartigen Atemzüge die ausgeprägten Muskeln erkennen konnte. Gestützt wurde der Leib von Beinen, die zu kurz wirkten, aber nicht weniger kräftig waren als der Rest des Körpers. Auf einem kurzen Hals saß ein Kopf, der entfernt vielleicht an den eines Hundes erinnerte, eines Hundes, den Menschen vermutlich mit Stöcken und Steinen aus dem Dorf treiben würden, wenn sie ihn sähen. Die Schnauze hatte zwei fast schlitzartige Nasenlöcher, die sich weiteten, wann immer das Biest Atem holte. Darüber saßen zwei dunkelgrüne Augen, klein und boshaft. Die glänzende und zugleich ledrige Haut war tiefschwarz, sodass Vinja den Eindruck hatte, selbst vor einem sternenlosen Nachthimmel müsste sich dieses Etwas noch dunkel abheben. Ein bedrohliches Knurren stieg aus der Kehle der Bestie hervor.

Spätestens jetzt wäre Vinja davongerannt, alles hinter sich lassend und hätte sich am nächsten Tag irgendwo von den Raupen fressen lassen, wenn sie gekonnt hätte. Doch ihre Beine fühlten sich an wie Gummi und kein Körperteil schien ihrem Willen zu gehorchen. Sie stieß einen merkwürdigen Laut aus, der wie ein Wimmern klang.

Auf dem Rücken des Biestes saß eine Frau. Sie trug eine schwarze Lederrüstung. Soweit Vinja sehen konnte, waren an mehreren Stellen rote Flicken aufgenäht. Über ihren Rücken hatte sie einen ebenfalls dunklen Mantel geworfen. Sie war groß, viel größer als Vinja, hatte langes, schwarzes Haar, das ihr in einem geflochtenen Zopf über den Rücken fiel. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen und das gab ihrem Gesicht einen strengen Ausdruck. Sie musterte Vinja kurz abschätzend, dann schob sie ein Schwert, das sie in ihrer Hand gehalten hatte, in eine Schwertscheide, die sich auf ihrem Rücken befand.

»Wer bist du? Was machst du hier?«, fragte die Frau gereizt.

Vinja starrte sie an, starrte das Biest an und dann wieder die Frau. Sie konnte nicht antworten. Ein Gefühl, als falle sie, machte sich in ihr breit. Das, das alles, es war einfach zu viel für sie. Für einen Moment tanzten Sterne vor ihren Augen. Ihre Beine gaben nach und kraftlos sackte sie in sich zusammen. Die Frau schwang sich von dem Biest herunter und trat auf Vinja zu. Ärger zeichnete sich in ihrem Gesicht ab.

»Wie du heißt, was du hier machst, so schwer ist das doch nicht zu verstehen.«

»Ich ...«, begann Vinja. Sie starrte die Frau an und dann an ihr vorbei auf das Ungetüm, das ihr offensichtlich als Reittier diente.

»Reizend«, sagte die Frau. »Weißt du überhaupt, wo du hier bist? Was bringt dich hierher? Ich kann mich kaum daran erinnern, jemals jemanden gesehen zu haben, der hier übernachtet hat. Und dann das Feuer! Hast du eine Ahnung, wie schnell dieses Zeug hier Feuer fängt?«

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt