»Da!«, rief jemand laut. Es gab Lärm. Äste brachen, das Geräusch von Schwertern, die gezogen wurden. Kampfeslärm, dann Schreie. Vinjas Atem ging flach und schnell. Noch einmal warf sie einen Blick zurück. Dann zog sie mit zitternden Händen ihr eigenes Schwert aus der Scheide.
Vorsichtig trat sie in das Wäldchen. Ein Ast knackte unter ihren Füßen und sie zuckte zusammen. Sie packte ihr Schwert fester und schlich vorsichtig durch den Wald nach vorn. Der Lärm hatte nachgelassen. Ein weiterer lauter Schmerzensschrei ließ Vinja erschauern, aber es gab kein Zurück mehr. Eine Lichtung kam in ihr Blickfeld und schon bevor Vinja aus dem schwachen Schutz der kümmerlichen Bäume trat, hatte sie gefunden, weswegen sie hier war.
Auf der Lichtung hatten sich Verfolger mit ihrer Beute einen Kampf geliefert. Ein Mann lag abseits mit dem Gesicht nach unten auf dem harten Boden und rührte sich nicht. Eine weitere Gestalt stand wie Vinja beinahe im Geäst, in der Hand ein Schwert, dessen Spitze fast den Boden berührte. Die Gestalt blickte gehetzt hin und her. Zwei der Männer kämpften noch, aber der Kampf schien sich dem Ende zu nähern. Einer der Männer lag auf dem Boden, während der andere ihn fast auf ihm kniend mit dem Schwert bedrohte. Der Mann hielt mit seinem eigenen Schwert dagegen, aber die Klinge des anderen kam unaufhaltsam näher.
»Na los!«, rief die Gestalt am Rande der Lichtung. »Töte ihn! Töte ihn!«
Vinjas Herz blieb beinahe stehen und die Situation, bedrohlich wie sie war, wurde noch unwirklicher, als sie es ohnehin schon war. Etwas an der Stimme kam ihr bekannt vor, aber sie passte nicht hierher, gehörte nicht hierhin.
Der Mann, der auf dem anderen kniete, gab einen angestrengten Laut von sich und drückte sein Gewicht weiter nach vorne. Vinja sah, wie die Verteidigung des Liegenden beinahe zusammenbrach, es konnte sich nur noch um Sekunden handeln und das Schwert des anderen würde ihn durchbohren. Er würde sterben.
»Nein!« Vinja machte einen Schritt auf die Lichtung. Sie hatte laut gerufen und alle Blicke drehten sich zu ihr. Die Gestalt am Rande der Lichtung, der am Boden Liegende und auch sein Angreifer, alle schauten sie an.
Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, den sich der Angreifer zu spät wieder seinem Opfer zuwandte, aber zu spät war zu spät. Der Unterlegene fing sich einen Moment früher wieder von seiner Überraschung, drehte sich auf die Seite, sodass sein Angreifer fast auf ihn stürzte und dann stieß er von unten sein Schwert nach oben. Sein Angreifer gab ein röchelndes Geräusch von sich, versuchte sich zu erheben, griff nach der Klinge, die seinen Brustkorb durchbohrt hatte, starrte ungläubig noch einmal auf den anderen Mann und dann noch einmal kurz zu Vinja, dann brach er zusammen.
»Verdammt!«, rief die Gestalt am Waldrand. Einen Moment schien sie hin- und hergerissen zwischen einem Angriff auf Vinja und der Flucht, dann entschied sie sich für letzteres. Wieder knackten Äste, ein Krachen, das sich schnell entfernte.
Vinjas Blick glitt zu den am Boden liegenden Männern. Sie musste schlucken. Ihr Mund war plötzlich so trocken, als hätte sie Mehl gegessen. Ihre Knie wurden weich und das Schwert in ihrer Hand zitterte. Einen Moment wurde es still auf der Lichtung, dann gab der Mann, der nur knapp seinem Ende entgangen war, ein röchelndes Husten von sich.
Mit wackeligen Beinen trat Vinja auf die Lichtung hinaus und ging auf den Mann zu. Nervös blickte sie zu den Angreifern, doch sie lagen regungslos, wo sie niedergegangen waren. Als sie den dritten Mann erreichte, wurde ihr schnell klar, dass es auch um ihn schlimm bestellt war.
Sein Gesicht war bleich und feucht und seine Lippen bildeten einen dunklen Kontrast zum Rest, die Augen waren halb geschlossen. Sein Gesicht musste einmal schön gewesen sein, aber jetzt wirkte es wie das eines Toten. Als Vinja sich näherte, ging ein Zucken durch den Körper und die Hand schloss sich noch einmal fester um das Schwert. Unter gequältem Stöhnen versuchte der Mann sich aufzurichten. Vinja machte einen Schritt zurück und der Mann öffnete die Augen. Einen Moment ging sein Blick ins Leere, dann fixierte er Vinja. Als er sie sah, entspannte er sich und sank zurück auf den Boden. Er atmete schwer und Vinja sah, wie eine Träne aus dem Augenwinkel des Mannes lief. Mit einem Mal hatte sie einen dicken Kloß im Hals.
Dieser Mann lag im Sterben.
Hilflosigkeit überkam sie und für einen Moment vergaß sie alles um sich herum, vergaß die Dunkelheit der Nacht und die vertraute Stimme des dritten Verfolgers, der geflohen war.
Einen Moment wurde ihr Blick trüb und ein Schwindel überkam sie. Der Geruch von Kampf und Blut wurde ihr bewusst und Übelkeit stieg in ihr auf.
»H... hilf mir!«
Vinja zuckte zusammen. Der Mann auf dem Boden hatte die Augen geschlossen, aber es war er gewesen, der gesprochen hatte.
»Hilfe ist unterwegs«, sagte Vinja. Der Mann schüttelte den Kopf.
»Für mich... Für mich ist es zu spät«, presste er hervor. Wieder rollten Tränen über sein Gesicht. Er atmete ein paar Mal stoßartig und kurz ein und aus, dann beruhigte er sich. »Du musst... etwas für mich tun!«
Vinja kam näher an ihn heran, denn die Stimme war nun kaum noch ein Flüstern.
»Du musst eine Nachricht für mich überbringen, du musst!« Auch wenn er kaum noch hörbar war, so bedurfte es keiner Worte, um seiner Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Wieder ging sein Atem schnell und flach. Er hustete kurz, dann setzte er wieder an.
»Sag Moy... Sag Moywin, dass sie recht hat. Sag ihr... die Schatten erheben sich.«
Plötzlich drehte er den Kopf ruckartig zu Vinja und öffnete die Augen. Erschrocken zuckte Vinja zurück.
»Sag es nur ihr, verstanden? Sag es nur Moywin!«
Vinja starrte den Mann an. Er wandte den Blick Richtung Himmel und sein Blick schien ins Leere zu wandern. Panik ergriff Vinja. Sie wollte etwas tun, ihm irgendwie helfen, aber sie wusste nicht wie. Dann kam ihr mit einem Mal ein Gedanke und wenn sie ihn jetzt nicht fragen würde, dann würde sie es nie mehr tun können.
»Wer ist Moywin?«, fragte sie fast panisch.
Noch einmal drehte der Mann seinen Kopf zu ihr. Verzweiflung stand in seinem Blick, die Angst, dass seine Nachricht nicht ihr Ziel erreichen würde.
»Moywin!«, sagte er noch einmal, als würde eine weitere Wiederholung etwas bringen, »im weiß... im weißen Wald. Such sie dort.«
Mit einem Mal lief ein Zittern durch seinen Körper. Seine Finger richteten sich auf, als wolle er jemandem winken, dann erschlafften sie und glitten zu Boden. Ein letzter Atem verließ seinen Mund, dann war er still.
Er war tot.
Vinja starrte auf den Mann, der nun regungslos wie die anderen auf der Lichtung lag. Es war, als würde sich alles um sie herum verändern. Die Geräusche, die Gerüche, alles wirkte entfernter und kam nur dumpf und gefiltert zu ihr durch. Sie hörte das Blut in ihren Ohren pochen.
So war es also, wenn jemand starb, wenn jemand getötet wurde, ermordet wurde. Sie blickte auf das Schwert, das sie immer noch in den Händen hielt und es fühlte sich mit einem Mal fremd an und schwer. Um sie herum knackte es im Geäst. Wie lang hatte sie hier gesessen? Wer kam? Waren es Tiere aus dem Wald?
»Da!«, hörte sie eine Stimme rufen. »Da ist jemand!«
Fußgetrappel, noch mehr knackende Äste, noch mehr Stimmen. Und während die Stimmen immer näher kamen, so schienen sie Vinja gleichzeitig immer weiter weg zu sein. Es war heller geworden, doch begannen dunkle Flecken vor ihren Augen auf- und abzuspringen, zogen vom Rand immer weiter in die Mitte und dann griff eine alles umfassende Schwärze nach Vinja und zog sie mit sich.
![](https://img.wattpad.com/cover/351273895-288-k879140.jpg)
DU LIEST GERADE
Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sich
FantasíaEntdecke den Untergang Ijarias - Ein episches Abenteuer voller Mut, Magie und Freundschaft! Ein dunkler Schatten zieht auf über Ijaria, der prachtvollen Hauptstadt des Freien Reiches, und das Schicksal von drei jungen Helden steht auf dem Spiel. Eln...